Die Mutmacherin
Geboren am 02. Juni:
Die Provokateurin und Glückssucherin
Lydia Lunch wird heute 50.
Wer sich mit ihr über die wilde Vergangenheit unterhalten will, New York und No Wave, den ganzen genialen und wunderschönen Lärm, der oder die kriegt eine Rechnung gestellt. Für umsonst redet Lydia Lunch nur über die Gegenwart. Überhaupt empfiehlt es sich, sie nicht als Rockmusikerin zu bezeichnen. Lunch sieht sich als Konzeptkünstlerin. Du hast etwas zu sagen? Dann suche dir Gleichgesinnte, tu dich mit ihnen zusammen, arbeite, dokumentiere das Ergebnis. Und dann fange wieder von vorne an. So umreißt sie ihre Herangehensweise, so sind ihre mehrere Dutzend Platten entstanden, die nervenzerfetzend und verführerisch, das gelegentlich sogar gleichzeitig, klingen. Lunch, sie wird schon mal als die weibliche Antwort auf Henry Rollins bezeichnet, gründete 1976 Teenage Jesus & The Jerks, eine ohrenbetäubende Combo, die bis heute Folgen hat. Sie arbeitete mit J. G. Thirlwell, Kim Gordon, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Sonic Youth, Nick Cave, Marc Almond, Billy Ver Plank, Steven Severin, Robert Quine, Sadie Mae, Michael Gira, Rowland S. Howard, The Birthday Party, den Einstürzende Neubauten, Die Haut, den Anubian Lights, Omar Rodriguez-Lopez und Joseph Budenholzer. Der Englischlehrer, der ihre Bücher im Leistungskurs behandelt, muss schon sehr mutig sein. Ihre Filme sind genauso deutlich.
Foto: Marc Viaplana
Lunch, Politik und Sexualität sind ihre Themen, ist Provokateurin und sieht sich selber als Glückssucherin. Ihr Kontostand ist in all den Jahren nicht explodiert, trotzdem ist es wenig ratsam, sie als Loserin zu etikettieren. Lunchs Kunst ermutigt, den Fehdehandschuh zu werfen und den Weg notfalls alleine zu gehen. Ihre ideale Coverversion wäre Brecht/Weills »Pirate Jenny«: »Meine Herren, da wird wohl Ihr Lachen aufhören«. Am besten natürlich in Nina Simones Arrangement. Unnötig zu sagen, dass ihr Werk als kompliziert gilt. Dabei ist es völlig nachvollziehbar. David Thomas, auch er einer der eigentlich einfachen Schwierigen, hat es mal auf den Punkt gebracht: Britney Spears ist es, die kompliziert ist. Lunch versteht ganz leicht, wer Musik, Literatur und Film als lebenserhaltende und -verändernde Praktiken begreift, sei es als Konsument oder Künstler. Auf Sartorial Records ist jetzt eine Zusammenarbeit mit James Johnston, Terry Edwards und Ian White (Gallon Drunk) erschienen. »Big Sexy Noise« heißt die Platte, und genauso klingt das auch. Dann macht sie mit dem Turntable-und-Laptop-Zauberer Philipe Petit mitternächtlichen Ambient. Lydia Lunch, ohne sie täten viele, die hier unterwegs sind, nicht das, was sie tun, feiert heute Geburtstag. Wir sagen danke.
» lydia-lunch.org
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» myspace.com/lunchp