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Madder Mortem: Eight Ways Peaceville
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Madder Mortem: Eight Ways
Selbst innerhalb einer Szene, die stets bemüht ist, neue Härte- und Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen, wirken Madder Mortem wie ein schroffer Solitär. Metal spielen sie, ja, aber niemals würden die fünf Norweger ihr Werk irgendeiner Konnotation verpflichtet sehen, die die Nennung dieser Musikrichtung nach sich zieht. Klar, jeder zweite Künstler behauptet von sich, mit seinem Schaffen wahlweise die eigenen Dämonen auszutreiben oder den wirklich tiefsten Empfindungen nachzuspüren. Auf Madder Mortem trifft beides jedoch so sehr zu, dass einem der Atem stockt: „A Different Kind of Hell“ führt das wie kein anderes Stück auf diesem neuen, immerhin schon fünften Album der Band vor; niemand wird danach noch bezweifeln können, dass Schönheit schrecklich und Schrecken schön sein kann.
Songs im eigentlichen Sinne sollte man freilich nicht erwarten – eher schon Rituale, in denen Klänge umher irrlichtern, in denen der eben noch feste Boden plötzlich surrealistisch zerfließt, in denen aus dem Nichts vulkanische Berge wachsen, hinter denen neue Wahrheiten und neue Irrwege lauern: „Every corner holds a shadow to expose / every closet has a skeleton to show“, singt Agnete M. Kirkevaag, die Madder Mortem seit 1993 gemeinsam mit ihrem Bruder mit jedem Album in Quantensprüngen voranbringt.
An sie knüpften sich mit dem Debüt „Mercury“ die hohen Erwartungen verschiedenster Vertriebspartner: Hatten in den Neunzigern nicht ganz andere Bands gezeigt, dass sich mit einer sich als zarter, fragiler Engel gebärdenden Frau am Mikrofon gutes Geld verdienen lässt? Madder Mortem haben nie etwas davon gesehen, weil sie nie waren, wozu man sie oft machen wollte. Das liegt natürlich auch an der hochkomplexen und dichten Musik, in der nie nur eine Gitarre, nie nur ein Schlagzeug, nie nur ein Bass zu hören ist, sondern in der ein dunkles, im besten Wortsinne okkultes Summen den eigentlichen musikalischen und atmosphärischen Kern trägt. Das liegt aber vor allem an Kirkevaags einmaliger Stimme, die für die gesamte Metalmusik das ist, was Kate Bush, Jarboe, Björk und Diamanda Galas in anderen Bereichen sind. Himmlisch, melancholisch, diabolisch, majestätisch, exzentrisch – sie ist immer gleichzeitig alles und niemals nur das, was man von ihr erwartet und vermutet. „She“, hat Virginia Woolf einmal in ihrem Roman „Orlando“ geschrieben, als würde sie von Kirkevaags Stimme sprechen, „had a great variety of selves to call upon, far more than we have been able to find room for, since a biography is considered complete if it merely accounts for six or seven selves, whereas a person may well have as many thousand.“
Jahrelang hatte Bands wie Opeth im Metal das Monopol auf komplizierte, filigrane, mit krassen stilistischen Brüchen aufwartende Musik, deren Komplexität gleichsam nichts an emotionaler Wucht gekostet hat. Dass in ihrem Schatten ein Genie herangewachsen ist, das kaum jemand zur Kenntnis nimmt, ist eine Schande. Künstlerisch wird „Eight Ways“ lange Zeit allein auf weiter Flur stehen: Niemand ist in Sicht, der eine ähnliche Vielfalt auf so engem Raum kreieren könnte. Und Madder Mortem selber werden wieder Jahre brauchen: „Das Arbeiten an einem neuen Album ist wie eine Schwangerschaft“, hat Agnete M. Kirkevaag einmal ausgeführt. „Man beobachtet, wie die Musik allmählich wächst und mehr und mehr Hingabe von einem verlangt. In den letzten Wochen bin ich keine besonders ausgeglichene Person mehr. Wer mich um sich herum haben will, muss dann einiges aushalten können.“ Die kreativen Wehen seien ihnen gegönnt.