Neue Deutsche Welle: für die einen Sinnbild des kompletten Grauens, für andere eine Zeit, in der deutschsprachige Musik endlich mal cool und lustig war. Tatsächlich verbindet wohl jede/r andere Bands und Songs mit der sogenannten NDW, die Anfang der achtziger Jahre die hiesige Popszene durcheinanderwirbelte. Waren die Fehlfarben mit ihrem epochalen Album „Monarchie und Alltag“ NDW oder war es eher die alberne Fraktion vom Schlage UKW, die sinnentleerte „moderne Schlager“ wie „Sommersprossen“ zum Besten gaben? Waren es Ideal mit „Blaue Augen“, Nena oder Extrabreit, ZaZa oder Frl. Menke? Oder Nina Hagen? Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie gegensätzlich und vielgesichtig die NDW-Szene war, die keine homogene Szene oder Bewegung im eigentlichen Sinne war – zu unterschiedlich waren die Ansätze, die von lupenreinem Punk bis zum Rudi Schuricke-Revival reichten. Was war das Neue an der NDW? Man entdeckte die deutsche Sprache als Pop-Sprache. Das hatte Udo Lindenberg zwar schon viele Jahre zuvor getan, seine musikalische Umsetzung war aber eher Honkytonk-rockistisch, also altmodisch. NDW-Bands orientierten sich an den neuen Sounds, die aus Großbritannien herüberschwappten: Punk, New Wave, Ska – zu den neuen deutschen Texten sollte auch auf moderne Weise getanzt werden! Hollow Skai, Gründer des legendären Labels No Fun Records, also NDW-Kenner und Protagonist gleichermaßen, heute Buchautor, Journalist und Lektor, hat mit „Alles nur geträumt: Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle“ die erste umfassende kritische Betrachtung jener Musik vorgelegt, die sich so schwierig in eine einzige Schublade stecken läßt. Er skizziert die Anfänge von Bands wie Male und Mittagspause in Düsseldorfs Ratinger Hof, beschreibt die Szenen in Hamburg, Berlin, Hannover und anderswo und weist immer wieder auf augenscheinliche Widersprüche hin: warum zum Beispiel wurden Rockmucker wie Spliff oder die Spider Murphy Gang ganz selbstverständlich NDW-Bands genannt, obwohl sie doch offensichtlich völlig andere Konzepte verfolgten als DAF, Hans-A-Plast oder Palais Schaumburg? Skai begnügt sich nicht mit dem nostalgischen Blick zurück, sondern verfolgt die Spuren, die die NDW hinterließ: direkte Nachfolger wie Die Mimmis, Die Ärzte und Die Toten Hosen liegen auf der Hand, aber auch spätere (bzw. jüngere) Bands wie Tocotronic, Blumfeld, Wir sind Helden, Die Sterne (sorry für die lapidare Aufzählung) zehren und profitieren vom selbstverständlichen Umgang mit der deutschen Sprache, den die NDW – wenn auch mit vielen Kollateralschäden – vorbereitet hatte. Hier ein kurzes Interview mit dem Autor:
Ist die NDW wie Punk: je genauer man hinschaut, desto mehr zersplittert sie in tausend Einzelteile und ergibt überhaupt kein homogenes Bild?
Genau, und das war ja das Schöne an der NDW, dass sie so vielfältig war.
Da so viele Bands und Einzelkünstler ausscheiden: wer ist denn nun wirklich NDW? Fehlfarben und DAF oder Extrabreit oder UKW und Hubert Kah?
Im Zweifel eher Fehlfarben und DAF als UKW und Hubert Kah. Aber es waren natürlich alle: die einen waren die Innovatoren, und die anderen die Nachahmer und Absahner.
Ist es nicht seltsam, dass ein von Alfred Hilsberg bzw. Sounds geprägter Begriff zur Trademark einer sehr kommerziellen Bewegung wurde? Warum zog "Neue deutsche Welle" solche Riesenkreise?
Weil es zum ersten Mal eine eigenständige deutsche Popmusik in diesem Ausmaß gab, und weil dieser Begriff das besser ausdrückte als der des Postpunk, was die NDW ja auch war.
Hollow Skais persönliche NDW-Lieblingsband und -platte:
Hans-à-Plast und ihr erstes Album (das mit der Ratte)
Für meine Generation (Jahrgang '68/'69) war die NDW die erste selbstmiterlebte neue Musikrichtung, die einen natürlich in besonderem Maße berührte (selbst so schreckliche Sachen wie die "Sennerin vom Königssee") - wie war das für Dich/Sie, der ein paar Jahre älter ist?
Für mich war die NDW so was wie die zweite Jugend, wobei ich die kommerziellen Ausläufer genauso schlimm fand wie den alten deutschen Schlager.
Wie konnte es überhaupt passieren, dass so unterschiedliche Acts wie Fehlfarben und UKW oder Spider Murphy Gang und DAF unter einem Banner segelten?
Weil die Medien und die Plattenfirmen nicht im Ansatz verstanden haben, worum es (uns) ging, sondern jeden unter Vertrag nahmen, der deutsch sang und nicht bei drei auf den Bäumen war, und ihn als NDW-Act verkauften.
Warum wurde der Begriff NDW so schnell so peinlich? Liegt das am Wort "deutsch", das man als Musiker nicht unbedingt dauernd vor sich hertragen will oder lehnen Musiker Etiketten sowieso schnell ab (siehe Hamburger Schule)
Weil unter diesem Begriff plötzlich Gruppen firmierten, die damit nichts zu tun hatten (und mit denen wir nichts zu tun haben wollten).
Warum konnte es nicht gelingen, den Begriff "deutsch" positiv zu besetzen (empfinde ich jedenfalls so)?
Eine Zeitlang war das ja der Fall, aber angesichts von Hubert Kah oder den Crackers war das nicht mehr möglich.
Gibt es Bands/Künstler, die überhaupt nichts mehr über diese Zeit sagen wollten und Interviews für das Buch ablehnten?
Der einzige, der ein Interview abgelehnt hat, war Alfred Hilsberg.
Der Moment, in dem die Welle endgültig brach:
Als BAP die Bildfläche betraten.
Trotz aller Peinlichkeiten ist die NDW heute noch wahnsinnig beliebt (siehe Musicals, Auftritte alter Recken wie Markus, Sampler, Discoabende, etc.) - werden deutscher HipHop oder Bands wie Wir sind Helden/Juli/Silbermond ähnlich nachhaltige Wirkung haben?
Nein, weil sie nicht Teil einer so umfassenden Bewegung/Szene/Entwicklung waren.
Und warum wehren sich Bands wie Mia. so dagegen, als NDW-Epigonen
bezeichnet zu werden, obwohl sie das modisch und musikalisch eindeutig sind?
Keine Ahnung, frag sie doch mal.
Warum trägt Hollow Skai heute noch den alten nom de guerre?
Warum nennt sich Muddy Waters immer noch Muddy Waters? Weil dieser Name viel besser zu mir passt. Gott sei Dank war mein „nom de guerre" nicht Kai Kotze oder Votze Flamenco.
Und: was ist denn nun der Fluch, was der Segen der NDW?
Na, der Fluch sind natürlich Gänsehaut, Ixi etc., und der Segen, dass damals eine Infrastruktur und Labels und Vertriebe entstanden sind, von denen Bands noch immer profitieren.