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Phoenix: Wolfgang Amadeus Phoenix Der Albumtitel! Und dann das Cover: bunte Bömbchen auf rosafarbenem Grund! Beinah sieht es so aus, als wollte das Versailler Quartett Phoenix mit aller Gewalt seinen guten Ruf als geschmackssichere Band zerstören. Aber gemach: das gelingt ihnen gücklicherweise nicht. “Wolfgang Amadeus Phoenix” ist voller eingängiger, perfekt arrangierter Popsongs, die Phoenix' Meisterschaft im Verschmelzen von Disco und Rock unter Beweis stellen. Die Instrumentierung ist vertrackt-vielschichtig und doch leicht wie Baisers, ohne den unschönen Beigeschmack von “Arbeit”. Gewohnt sanft und antimacho-/-mackermäßig singt Thomas Mars über Franz Liszt, Rom oder Zäune in New York, in der Mitte des Albums leisten sich Phoenix den Luxus der zweiteiligen Experimentaletüde “Love Like A Sunset”, um dann geschmeidig mit dem eingängigen “Lasso” weiterzumachen. Großer Pop! Ferientauglichkeit: Sehr hoch. Phoenix vereinen Intelligenz mit Leichtigkeit, was das Motto eines jeden Urlaubs sein sollte. ◊ ◊ ◊
Benjamin Diamond: Cruise Control Vier Jahre ist es her, seit man zuletzt von Benjamin Diamond, der Stimme von “Music Sounds Better With You” gehört hatte: sein zweites Soloalbum “Out of Myself” erschien 2005 und überzeugte durch einschmeichelnde Harmonien. Die neue Platte “Cruise Control” führt diese Linie weiter, Songs wie “1000 Lives”, das rhythmisch lebhafte “Still” und das discoide “Baby's On Fire” eignen sich ideal, die Cruise Control (= Tempomat) des Cabrios einzuschalten und die Haare im Wind flattern zu lassen, während man die Cote d'Azur entlangbraust. Diamond mag es auch gefühlvoll und hat Balladen wie “The Letter” an Bord, die aber weniger Atmosphäre entfalten als die hedonistisch-poppigen Tracks. Bitte auch das Cover beachten: Diamond verpflichtete Guy Peellaert, der u.a. für die Filmplakate von “Taxi Driver” und “Short Cuts” verantwortlich zeichnet. Ferientauglichkeit: Hoch. Hat einige Schwächen im Mittelteil, was ja auch im schönsten Urlaub mal vorkommt. ◊ ◊ ◊
Eels: Hombre Lobo Tom Waits hat mal gesagt, dass er sich auf jedes neue Album von Mark Oliver Everett alias “E”/The Eels freut – eine Wertschätzung, die beidseitig ist, denn Waits ist E's großer Held. Im Werk beider gibt es Ähnlichkeiten, die mit den rauen Stimmen anfangen und mit den skurrilen Stories nicht aufhören, doch man darf wohl behaupten, dass E vom Leben heftiger in die Mangel genommen wurde als Waits (siehe Everetts Autobiographie “Glückstage in der Hölle”). Musik war und ist, so platt es klingt, E's einziger Ausweg aus privatem und sonstigem Unglück. Auch “Hombre Lobo” steckt voll tragischer Geschichten, in denen unerfüllte Liebe noch das kleinste Problem ist. Dennoch ist “Hombre Lobo” nicht depressiv geraten: E variiert auf dieser Platte den Blues, Rocker wie “Tremendous Dynamite” und “Lilac Breeze” treffen auf herzzerreissende Balladen wie “In My Dreams” und “The Longing”, die trotz aller Traurigkeit Trost verbreiten. E läßt dich nicht allein, denn er weiß, wie's in der Hölle aussieht. Ferientauglichkeit: Erstaunlich hoch, eine Platte zum Unterwegssein, am besten allein. ◊ ◊ ◊
Grizzly Bear: Veckatimest Veckatimest ist der Name einer winzigen Insel auf Cape Cod – die vier Musiker von Grizzly Bear wollten schon durch den Titel ausdrücken, dass das neue Album unter den inspirierenden Eindrücken verschiedener Aufnahmeorte entstand. “Veckatimest” verbreitet aber keineswegs Ruhe- und Rastlosigkeit, sondern viel mehr eine träumerisch-sanfte, ungreifbare, von amerikanischem Folk, Psychedelic und Surfsound geprägte Stimmung, die am besten zur “blauen Stunde” paßt, wenn die Sonne langsam untergeht und man von einem heißen Tag erschöpft auf kühle Laken sinkt. Grizzly Bear sind ja berühmt für ihren an die Beach Boys erinnernden engelsgleichen mehrstimmigen Gesang, den sie auch auf “Veckatimest” ausgiebig darbieten, besonders schön ist das bei “All We Ask” und “Fine For Now” gelungen und auch bei “Two Weeks”, zu dem Beach House-Sängerin Victoria LeGrand als Chordame eingeladen wurde. Ferientauglichkeit: Hoch, weil man schon durch die Musik die Wellen am Strand leise plätschern hören kann. ◊ ◊ ◊
Cats on Fire: Our Temperance Movement Finnland hatte man in letzter Zeit eher als Metalimporteur auf dem Schirm (wobei Bands wie Lordi und Apocalyptica die gefälligere Seite ausmachen), weniger aber als Hort des eingängigen Pops. Doch im Städtchen Turku leben Mattias, Ville, Kenneth und Henry, die seit 2001 unter dem Namen Cats on Fire unwiderstehliche Gitarrenpopsongs basteln: melancholisch, aber nie hoffnunglos, an großen britischen Vorbildern wie den Smiths und den Housemartins orientiert, doch mit genügend Mut zur eigenen Note. Die Gitarren jangeln, Bass und Drums drängeln sich nicht in den Vordergrund, sind aber da, wenn man sie braucht und wenn Mattias Zeilen wie “I`m one of the fallen leaves covering your garden / blackened by neglect from you” singt, weiß man wieder, dass die erste unglückliche Liebe nie vergessen werden kann. Ferientauglichkeit: Sehr hoch. Songs to remember – die auch einen häßlichen Ort verzaubern können. ◊ ◊ ◊
The Maccabees: Wall of Arms The Maccabees sind fünf Jungmänner aus Brighton, die seit 2005 zusammen Musik machen – weshalb sie sich nach jüdischen Freiheitskämpfern benannt haben, die ungefähr im Jahre 100 v. C. aktiv waren, weiß der Himmel. Musikalisch blicken The Maccabees zwar nicht ganz so weit zurück, orientieren sich aber dennoch eher an britpoppigen Traditionen als an avantgardistischer Moderne. Mit Pathos in der Stimme und Folk im Gitarrenriff beschreiten The Maccabees Wege, die vor über zwanzig Jahren von Bands wie Big Country eingeschlagen wurden. Jüngere Kritiker, die BC nicht mehr kennen, fühlen sich an Bloc Party und Editors erinnert, was nicht ganz falsch ist, denn bei Tracks wie “One Hand” oder “Can You Give” flirren nervöse Drumbeats, die auch im Club gut funktionieren dürften. Am euphorischsten klingen The Maccabees aber immer dann, wenn sie die ganz große Hymne rauslassen, wie z.B. “Young Lions”. Ferientauglichkeit: Hoch, am besten eigene Gitarre mitnehmen, um am Lagerfeuer miteinstimmen zu können. ◊ ◊ ◊
New York Dolls: 'Cause I Sez So Yay! “Why, why? – because I sez so!” So selbstbewußt eröffnen die New York Dolls ihr neues Album, das zweite seit ihrer von Morrissey initiierten Reunion im Jahre 2004. Von den Original-Dolls sind heuer nur noch Sylvain Sylvain und David Johansen übriggeblieben, die restlichen Puppen sind längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen, zuletzt verstarb Arthur Kane recht prosaisch an Leukämie. Wer von der Vergangenheit der NYD als glammy Protopunkband im New York der Früh- und Mittsiebzigerjahre keine Ahnung hat, könnte an “'Cause I Sez So” trotzdem seine Freude haben: David Johansen verfügt über die mit Verlaub geilste kaputte Rockstimme der Welt, die Sissies wie Mick Jagger ziemlich schwach dastehen lassen. Musikalisch gewinnen die Dolls heute zwar keinen Originalitätspreis mehr, aber der raue, direkte Blues'n'Roll von Songs wie “Muddy Bones” und “Better than you” oder augenzwinkernde Schmachtfetzen wie “Lonely So Long” gehen doch ziemlich gut rein. Ferientauglichkeit: Sehr hoch, bevorzugt beim Vater-Sohn-Zelten. ◊ ◊ ◊
Patrick Wolf: The Bachelor Patrick Wolf hat Großes vor: seine neue Platte plante er ursprünglich als Doppelalbum, “The Bachelor” ist von seinen Erfahrungen mit Scheidung und Junggesellentum (Bachelor!) geprägt. Album Nr. 2 wird “The Conqueror” heißen und die Rückkehr zu Liebe und Glück beinhalten. Patrick fand selbst, dass das ein bißchen viel auf einmal ist und entschloß sich zur getrennten Veröffentlichung – in 2010 erscheint das Ganze dann als Doppelalbum unter dem Titel “The Battle” (aufgenommen in Hastings). Spätestens jetzt sollte klar sein, dass Wolfs Popentwurf nicht mainstreamkompatibel ist: mit spielerischem Ernst und der Souveränität des klassisch ausgebildeten Synästheten baut Wolf aus Klassik, Hardrock, Folk und elektronischen Einsprengseln seine aus Zeit und Raum gefallenen Miniepen, als Gäste sind Alec Empire und Tilda Swinton zu hören. Martin Büsser nennt das “eigenweltlich” und vergleicht Wolf mit Kate Bush – dem ist nichts hinzuzufügen. Ferientauglichkeit: Bedingt, da Konzentration erforderlich. Wenn doch, dann am besten auf einem schottischen Schloss. ◊ ◊ ◊
Auch Thomas Backs weilte unter südlicher Sonne, fand im Gegensatz zu CM aber Zeit für zwei ordentliche Rezensionen:
Manic Street Preachers: Journal for Plague Lovers Nach 14 Jahren erinnern die Manic Street Preachers mit einem kompletten Album an ihren spurlos verschwundenen Gitarristen und Poeten Richey James Edwards. „Journal for Plague Lovers“ vereint 13 Lyrics aus Edwards Feder. Wenige Tage vor seinem Abschied hatte der Gitarrist seinen Freunden noch Notizbücher voller Gedanken und Songtexte hinterlassen. Während das „Journal for Plague Lovers“ im UK gefeiert wird und die offiziellen britischen Albumcharts auf Platz 3 enterte, dürfte die Resonanz im deutschsprachigen Raum deutlich verhaltener ausfallen. Denn: die Manic Street Preachers sind hier vor allem durch ihr 1996'er Comebackalbum „Everything must go“ bekannt geworden und heute zumeist mit hymnenhaften Midtemposongs aus den späten 90er-Jahren im Dudelfunk zu hören. Richey James Edwards und ein Album wie „The Holy Bible“ (1994) fanden hier zuvor wenig Beachtung. Die Sprachbarriere wird ihren Teil dazu beigetragen haben, auch musikalisch waren die Waliser mit wütenden Statements wie „Faster“ oder „Revol” in der Musikwelt der frühen 90er-Jahre ziemlich weit vom Massengeschmack entfernt. Zwischen Mainstream-Hits wie „Mmm Mmm Mmm Mmm“ und „Black Hole Sun“ durfte damals im Frühstückradio höchstens die Single „Motorcycle Emptiness“ gespielt werden. Für Freunde des klassischen Manics-Rocks der frühen Tage ist das „Journal for Plague Lovers“ 2009 dafür eine runde Sache. Mit „In Utero“-Produzent Steve Albini haben Nicky Wire, James Dean Bradfield und Sean Moore ihre Rückkehr zu den musikalischen Wurzeln konsequent fortgesetzt, das Frontcover ziert wie bei „The Holy Bible“ ein Gemälde von Jenny Saville. Rau und unpoliert geht es mit „Peeled Apples“ los, als sei wieder 1993. Temporeiche Nummern wie „Jackie Collins Existential Question Time“ und „Marlon J.D.“ sind bester, melodischer Manics-Rock, zum Abschluss singt Bassist Nicky Wire „William`s Last Words“. Auch 2009 werden die Songs des „Journal for Plague Lovers“ kaum im Radio zwischen Weichspülmelodien und Werbespots zu hören sein, Singleauskopplungen wird es auf Wunsch der Band zudem gar nicht geben. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
My Latest Novel: Deaths & Entrances Als „die schottischen Arcade Fire“ wurden My Latest Novel vor drei Jahren beim Erscheinen ihres Debütalbums „Wolves“ bezeichnet. Mit dem Nachfolger „Deaths & Entrances“ machen die Brüder Gary und Chris Deveney mit ihren Mitmusikern da weiter, wo sie 2006 begonnen haben: melancholischer, zum Teil bombastischer Indiepop mit einem oft mehrstimmigen Gesang und einer sehr interessanten Instrumentierung inklusive Geigen, Violinen und Xylophon bringt epische, melodische Werke wie „Dragonhide“, „Lacklustre“ und das großartige „I declare a ceasefire“. Ganz schön dramatisch, diese Songsammlung. Auch die Lyrics sind zum Teil ziemlich bewegend. Der Bandname der Fünf aus Greenock ist hier ja auch ganz schön verpflichtend. „Deaths & Entrances“ dürfte vor allem viele Verehrer von Arcade Fire begeistern. Und kann sogar mehr bieten als eine verkürzte Wartezeit auf Album Nummer drei der Kanadier. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
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