Abkühlung im August
Anni Hogans »Kickabye« liegt in einer luxuriösen Neuausgabe vor. Ein Blick zurück auf die anderen Achtziger.
Es ist Hochsommer; die Stadt trägt wenig Stoff und viel Haut. Höchste Zeit für dunkle Gedanken also, höchste Zeit, daran zu erinnern, dass die achtziger Jahre nicht nur neon und pink waren. Je nach musikalischer Sozialisation (das eine schloss das andere nicht mal immer aus) waren sie auch grau bis schwarz. Im Juli 1982, einem Sommermonat also, eröffnete im Londoner Stadtteil Soho ein Club, der auf den schönen Namen Batcave hörte. Maßgeblich beteiligt: Nick Wade alias Nik Fiend, Sänger bei Alien Sex Fiend. Damit ist die schwarze Katze aus dem härenen Sack; das Batcave wurde zum Anlaufpunkt der britischen Gothics, in der Folgezeit sogar zum Pseudonym für die ganze Frühphase der Szene. Nun ist Gothic ein schillernder Begriff. Im Batcave traten schon die »klassischen« Gothbands wie Alien Sex Fiend und Christian Death auf. Andere Batcave-Gänger, ob als Gäste oder Künstler, waren: Siouxsie Sioux, Steve Severin, Robert Smith, Ultravox, Nick Cave, J. G. Thirlwell (Foetus), Lydia Lunch, Ian Astbury, Vince Clarke (Depeche Mode), Boy George, Danielle Dax, The Damned, The Bollock Brothers, Wayne County, die Virgin Prunes, Test Dept., die späteren Sigue Sigue Sputnik und Marc Almond. Ein buntes Völkchen also, überhaupt nicht homogen, vielmehr individualistisch und stilbewusst. Unter den DJs, die regelmäßig das Batcave bespielten, war Annie (sie schreibt sich mittlerweile nur noch Anni) Hogan, ebenso Bandmitglied bei Almonds Willing Sinners und Marc & The Mambas.
1984 gab Jessamy Calkin, mit Nick Cave & The Bad Seeds befreundete Journalistin und Fotografin, Hogan eine Auswahl ihrer literarischen Texte. Hogan war von ihnen so angetan, dass sie Calkins Arbeiten zur Grundlage ihrer 1985 auf Cabaret Voltaires Doublevision-Label erschienenen EP »Kickabye« machte. Man darf das ein Familienalbum nennen: Siouxsie & The Banshees-Drummer Budgie trommelte, Gini Ball, die Frau von Soft Cells David Ball, spielte Geige. Marc Almond (»Burning Boats«) und Nick Cave (»Vixo«) sangen neben Hogan, die ihrerseits in Lydia Lunchs Wohnung lebte. Seit kurzem liegt »Kickabye«, klangtechnisch aufwendig restauriert und mit einem Füllhorn an Bonusmaterial versehen, darunter Aufnahmen mit Barry Adamson und Yello, als Doppel-CD wieder vor. Es ist sozusagen Anni Hogans fortlaufendes Arbeitsjournal aus den Jahren 1984 bis 2009. Schlägt man es auf, ist man möglicherweise verblüfft. Die Musik, sie ist fragil, melancholisch gar. Sie kann dunkel sein, ist aber nicht düster, nur weil da jemand auf Teufel komm raus (oder daher) tief und bedeutungsschwer sein möchte. Die Tracks mit Nick Cave und Marc Almond sind recht rostig und rustikal, dazu aber gibt es viel Piano, ätherische Stimmeffekte und Atmosphäre überhaupt. Zur Erinnerung: Am Anfang von Gothic standen Postpunk und der klingende Zauberkasten der Avantgarde. Aber benutzen wir für »Kickabye« keine Schubladen und erfinden schon gar keine neuen. Hören wir uns lieber Anni Hogan, sie arbeitet immer noch als Komponistin und Club-DJ, einfach an. Mittlerweile ist übrigens ein Wind aufgezogen und hat der Sonne einen Vorhang verpasst. Spätestens morgen werden wir sie vermissen.