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Zoot Woman: Things Are What They Used To Be Das Bedürfnis nach Superstars oder wenigstens irgendwie wichtigen Bands ist ungebrochen – der mediale Wirbel um Zoot Woman zeugt davon. Von der „Rückkehr der Disco-Dandys“ ist die Rede, ihr drittes Album nach sechsjähriger Veröffentlichungspause wird je nach Sichtweise als kleines oder großes Comeback verkündet. Dabei wissen die Brüder Johnny und Adam Blake und Madonna- und Killers-Producer Stuart Price natürlich, wie schnell man im gefräßigen Popbetrieb weg vom Fenster sein kann und nennen die neue Platte ironisch „Things Are What They Used To Be“ - alles wie gehabt, oder? Nicht ganz: „Wir wollten immer so aussehen, wie unsere Musik klingt“, sagt Price über das Bandkonzept. Die weißen Anzüge ihrer Anfangsphase 2001 wirkten klinisch-kühl und over the top, genau wie ihr das Achtzigerjahre-Revival einläutende Album „Living in a Magazine“. Zoot Womans aktuelle Outfits sind weniger spektakulär (Cardigans, enge Hosen, Halstücher), aber nachhaltiger und so klingt auch „Things...“: Die Achtziger sind ganz klar die Basis, auf der hier agiert wird: Hooks und Refrains gehen sofort ins Ohr, Johnny Blakes Stimme ist sehnsuchtsvoll schmachtend und distanziert zugleich. Die Produktion aber ist eindeutig jüngsten Datums und kein bisschen retro und unterlegt die Synthiepop- und Eurodisco-Entwürfe mit satten, knalligen Beats und ordentlich Tiefe. Hier und da fließen New Order'eske Gitarren ein („Lonely By Your Side“), bei „Saturation“ wird Techno-Ekstase kontrolliert im Zaum gehalten, „Live in My Head“ und „Just A Friend of Mine“ sind perfekte, glitzernde Hits für Clubs und Charts. Und der weiße Anzug darf auch nochmal aus dem Schrank geholt werden, ist ja ein quasi zeitloses Stück – wie „Things Are What They Used To Be“. (Review erschien zuerst bei titel-magazin.de) ◊ ◊ ◊
The XX Auch beim Quartett (zwei Jungs, zwei Mädchen) The XX aus London dienen die achtziger Jahre als Referenz und Nährboden, allerdings nicht die haarlackglänzende, schultergepolsterte Variante, sondern die düster-melancholischen Eighties, die von The Cure zu „17 Seconds-“ und „Pornography“-Zeiten und Joy Division, die am häufigsten als Vergleich herangezogen werden. Mindestens so oft erwähnt wie der Joy Divison-Vergleich wird die unerhörte Jugend von The XX: 19 Lenze zählen die Bandmitglieder im Durchschnitt, was ihnen seitens vieler Kritiker den beliebten „Wunderkind“-Status einbringt: okay, okay, sie sind Kids – waren Joy Division und The Cure aber auch, als sie ihre ersten und mit Verlaub bahnbrechenden Platten aufnahmen. Aber das nur nebenbei. Das Debüt von The XX ist an Minimalismus kaum zu über-/unterbieten, was schon mal sehr sympathisch ist: Young Marble Giants lassen grüßen, pluckernde Drumcomputer untermalen atmosphärische Gitarren- und Bassläufe (bei „Infinity“ fühlt man sich als älterer Mensch stark an Chris Isaaks „Wicked Game“ erinnert), dazu spartanische Keyboards, Romy Madley Croft und Oliver Sim wechseln sich mit ihrem schläfrig-kühlen, aber nicht unterkühlten Gesang ab. Dass The XX keine Achtziger-Retroband sein wollen, zeigen sie mit dezent eingesetzten R'n'B-Elementen und sachte groovenden Beats („Basic Space“, „VCR“) - was aus dem Album natürlich keine Dancefloorscheibe macht. The XX reihen sich mit ihrem Debüt in die gleiche Linie wie Crystal Stilts und Pains Of Being Pure At Heart, die auf jeweils eigene Art pophistorische Sounds neu interpretieren – bleibt abzuwarten, ob es ihnen gelingt, etwas wirklich Neues zu schaffen. ◊ ◊ ◊
The Stone Roses Echt aus den Achtzigern sind The Stone Roses aus Manchester, die sich ihrerseits auf die sechziger Jahre bezogen und Gitarrenpop mit typischen Endachtziger-Ravebeats kombinierten ... die Retrospirale kreist und kreist. SonyBMG veröffentlicht pünktlich zum zwanzigsten Geburtstag des „besten Albums aller Zeiten“ (New Musical Express) das Debütalbum der Stone Roses in vier (!) verschiedenen Ausführungen, satt.org liegt das schmucke 2 CD + DVD-BoxSet vor: CD 1 beinhaltet das komplette Album plus dem auf dem Originalalbum leider nicht vertretenen Hit „Fools Gold“, CD 2 enthält Demoaufnahmen, auf der DVD kann man das legendäre Konzert der Band um Ian Brown vom 12.8.1989 im Blackpool Empress Ballroom und sechs Videos angucken, dazu gibt’s ein dickes Booklet mit vielen Fotos und Linernotes von John Robb (Gründer der Punkband The Membranes und Autor von „Punk Rock“). Alles im schicken Schuber und Digipak im Jackson Pollock-Design. Hört man das schmale Euvre der Stone Roses heute – sie veröffentlichten nur zwei Alben, „The Second Coming“ erschien 1994 - fällt auf, wie gut der damals so revolutionäre Sound altert, nämlich gar nicht. Für Singlehits wie das zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex oszillierende „I Wanna Be Adored“, die psychedelischen „Madchester“-Ravetracks „She Bangs the Drums“ und „Fools Gold“ oder die unbeschwert-naiven Songs „Bye Bye Badman“ und „Made of Stone“ würde so manche Britpop-Epigonentruppe ihre Omas verkaufen. Aber solche grausamen Gedanken kommen gar nicht erst auf, wenn man ein Ringel-T-Shirt anzieht, eine Pille mit Smiley drauf einwirft und bis zur Dehydration tanzt. ◊ ◊ ◊
The Low Anthem: Oh My God, Charlie Darwin Wenn mit dem Sommer die Festivalsaison langsam zu Ende geht, können sich die Musikliebhaber auf die Clubkonzerte im Herbst freuen. Folkfreunde werden gespannt sein, wie die drei Multi-Instrumentalisten von The Low Anthem ihr in den USA gefeiertes, drittes Album bei ihrem erneuten Gastspiel auf europäischen Bühnen umsetzen. Ben Knox Miller und Jazzbassist Jeff Prystowsky lernten sich an der Brown University von Rhode Island kennen. Die klassische Komponistin Jocie Adams kam Ende 2007 zum Trio und ersetzte Bluesmusiker Dan Lefkowitz. 200 Jahre nach Charles Darwins Geburt nehmen The Low Anthem die Hörer nun mit auf eine mal verträumte, manchmal stürmische Reise, die mit Produzent Jesse Lauter auf dem winterlichen Block Island entstanden ist. Hymnisch und melodisch beginnt der Longplayer mit den Folkballaden „Charlie Darwin“ („And who could heed the words of Charlie Darwin/ Fighting for a system built to fail”) und „To Ohio“, der Blues hat auf „Oh my God“ aber auch in der neuen Besetzung seinen Platz: mit „The Horizon is a Beltway” und „Home I´ll never be” wird es plötzlich rau, stampfend und traurig. Stimmlich und musikalisch vielseitig ist dieses Trio aus Neuengland, „Home I´ll never be“ ist eine Jack Kerouac-Ballade, bekannt in der Version von Tom Waits. Klarinette und Mundharmonika klingen bei Songs wie „Ticket Taker“ und „To the Ghosts who write History Books“ mit, die eingängigen Melodien und Harmonien des Trios werden gerade nach dem großen Erfolg der Fleet Foxes viele Anhänger finden. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
Arctic Monkeys: Humbug Ohrwürmer müssen natürlich nicht immer tanzbare Temposongs à la „I bet you look good on the dancefloor” sein. Dass es auch anders geht, hat Alex Turner bereits im letzten Jahr mit den Last Shadow Puppets und dem „Age of the Understatement“ gezeigt. Ausgerechnet mit Queen Of The Stoneage Josh Homme schalteten Turners Arctic Monkeys nun bei den Aufnahmen für das dritte Bandalbum „Humbug“ auch öfter mal einen Gang runter. In der kalifornischen Mojave-Wüste wurden Songs wie die erste Single „Crying Lightning“ und der glanzvolle Schlusspunkt „The Jeweller`s Hands“ aufgenommen. Mehr Tiefgang ist beim Quartett aus Sheffield angesagt, vor allem im dramatischen „Dance Little Liar“ klingen Turners neue musikalische Vorlieben mit. Tiefer und deutlicher wird die Verneigung vor Größen wie Scott Walker dann aber noch bei Songs, die mit Stammproduzent James Ford in Brooklyn eingespielt wurden. „Secret Door“ und „Cornerstone“, das sind fast schon Schnulzen, die eben auch einen Las Vegas-Film untermalen könnten. Der Album-Opener „My Propeller“ wurde dann auch an der US-Ostküste aufgenommen. Und ist dann wieder einer dieser liebenswerten Ohrwürmer, für die Songwriter Alex Turner so verehrt wird. Krachig und rotzig wie in den Anfangstagen klingt „Humbug“ zwischendurch dann aber auch mal, etwa mit „Potion Approaching“ und „Pretty Visitors“. Bei der Kombination Arctic Monkeys & Josh Homme ist das ja auch wenig verwunderlich. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
Mos Def: The Ecstatic Mos Def (Most Definitely), von seinen Eltern 1973 Dante Terrell Smith genannt, gehört nicht zu den goldkettenbehangenen Macho-Rappern vom Schlage 50 Cent, P. Diddy oder Snoop Doggy Dogg. Seit seinem Debütalbum von 1998, das er mit Talib Kweli veröffentlichte, versteht sich Mos Def als Hip Hopper mit sozialem Gewissen und Bewusstsein, als einer, der zudem keine stilistischen Grenzen akzeptiert, für den Soul und Reggae genauso zur Black Music gehören wie Funk und Rap. Mit „The Ecstatic“ sorgt Mos Def, der auch als Schauspieler aktiv ist und in bereits über dreißig Filmen mitgewirkt hat, für die Hip Hop-Überraschung des Jahres: stimmig greifen hier Latin, Ragga, Soul, Funk und spanische Rhythmen ineinander, sogar Elektro á la Ed Banger passt hier noch rein. Dazu intelligente, anti-machistische Texte, die sich nicht vor Romantik fürchten („Worker´s Comp“). ◊ ◊ ◊
Pissed Jeans: King of Jeans Schonungslose Lyrics über frühzeitigen Haarausfall, zensierte Filme und Lippenpiercings, herausgegrollt von Matt Korvette: Pissed Jeans aus Pennsylvania legen zwei Jahre nach ihrem Sub Pop-Debüt „Hope for Men“ mit „King of Jeans“ ein nicht minder derbes Brett nach. Irgendwo zwischen Noise, Hardcore, Blues und Punkrock Big Black, Black Flag, Flipper, Melvins und The Jesus Lizard entfesselt sich hier Jungsmusik reinster Couleur. Schwer und dröhnend, aber auch raffiniert tänzelnd mit sensiblen Momenten, wenn man´s grade gar nicht erwartet. Wirkt ungefähr so wie der von Kopf bis Fuß tätowierte, zwei Meter große kahlrasierte Dosenbiertrinker von nebenan, der sich als heimlicher Rimbaud-Leser mit einer Schwäche für die Peanuts entpuppt. ◊ ◊ ◊
Shantel: Planet Paprika Wer schon mal einen „Bucovina Club“-Abend besucht hat, weiß, dass man dafür ebenso gemacht sein muss wie für Crustcore im Keller des letzten besetzten Hauses der Stadt: Seit der Frankfurter DJ und Produzent Stefan Hantel alias Shantel vor einigen Jahren seine bukowinischen Wurzeln entdeckte und diese äußerst gewinn- und partyträchtig einsetzt, tanzen weltweit Heerscharen zu seinen osteuropäisch gefärbten Mixes. Rumänische, russische, polnische, tschechische, kasachische, bulgarische Melodien und Rhythmen vereinen Alt und Jung, Aussiedler und Schrebergärtner, so lange der Wodka in Strömen fließt. Jetzt hat Shantel auf dem Planeten Paprika angedockt, sprich: Ungarn ist dran, wobei Shantel mit „Planet Paprika“ einen eher mythischen Ort meint, der in uns allen steckt. ◊ ◊ ◊
Joakim: Milky Ways Joakim Bouaziz gilt als perfektionistischer Tüftler, der am liebsten alles selber macht: in kompletter Eigenregie entstand auch sein 2007er-Album „Monsters & Silly Songs“, das den französischen Remixer und Producer (für Simian Mobile Disco, Annie, Alter Ego, etc.) einem breiten Publikum bekannt machte. Bei der neuen Platte „Milky Ways“ ist nun alles anders, Joakim nahm seine Tourband Ectoplasmic, jetzt „The Disco“ mit ins Studio und arbeitete zusammen mit den Musikern an neuen Tracks. Ergebnis ist ein enorm offenes Album: der achtminütige Opener „Back to Wilderness“ trägt Spuren von Krautrock und Captain Beefheart in sich, die Single „Spiders“ verknüpft Acid House und Italo-Disco, an anderen Stellen gibt’s Afrobeats, Jazz- und Waveeinflüsse. Teilweise sehr weird, aber faszinierend – manchmal ist es doch ganz gut, wenn man sich nicht nur auf sich selbst verlässt. ◊ ◊ ◊
The Poem is You: TPIY Die im Moment sehr beliebte Americana-Schublade wurde im Sommer 2008 auch für The Poem is You mit seinen Musikern aus Berlin, Brüssel und Dresden weit geöffnet. Kein Wunder, wenn auf dem Albumcover von „The Promised South“ Indianer durch einen Canyon reiten und auf dem Longplayer mit akustischen Gitarren und harmonischen Gesängen in entspannter Lagerfeueratmosphäre musiziert wird. Zwölf Monate später kommen Daniel Bock, Marie G.S. Reiter und Co. mit dem zweiten Album „TPIY“ zwar weiterhin fröhlich und relaxt daher, musikalisch hat sich die Band in dieser kurzen Zeit jedoch deutlich weiterentwickelt. Produzent Christian Ramisch, der nun wohl auch zur Band gehört, hat dem Album deutlich seinen Stempel aufgedrückt: Songs wie „Hostages“, „How did I end up here“ und „The Profile“ bringen melodischen Gitarrenpop, elektronische Beats untermalen das sperrige „Fine“. Besinnlich wird es zwischendrin mit Balladen wie „North by Northwest“ und akustischen Gitarren. Eine wirklich feine Scheibe, die Lust auf mehr macht. (Thomas Backs) ◊ ◊ ◊
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