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Nick Cave
& Warren Ellis:
White Lunar
Mute Records 2009
Doppel-CD
» myspace
» mute
Foto: Steve Gullick
Nick Cave:
Der Tod des Bunny Munro
Kiepenheuer & Witsch 2009
Übersetzt von Stefanie Jacobs
Geb., 320 S., € 19,90
» kiwi-verlag.de
* (Black Spring Press, 1989, auf Deutsch »Und die Eselin sah den Engel«, erschienen im Verlag Peter Selinka, TB-Ausgabe bei Piper, inzwischen in 13. Auflage)
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Men at Work
Die müssen früh raus: Nick Cave und Warren Ellis veröffentlichen ausgewählte Filmmusiken. Cave selbst hat seinen zweiten Roman vorgelegt.
Als Jugendlicher wollte er Maler werden. Zwei der frühen Zeichnungen Nick Caves finden sich auf dem Cover von »Prayers on Fire«, einer gallig-grotesken Platte, die er 1980/81 mit seiner frühen Band The Birthday Party aufnahm. Und ja, es sind Bilder aus der damaligen Caveschen Welt. Das eine zeigt einen Totenkopf, aus dem Tentakel wachsen, das andere eine Teufelsfigur. Und selbst der Gehörnte sieht irgendwie erschrocken aus. Als das Album herauskam, hatte Cave der Kunsthochschule längst den Rücken gekehrt und sich aufs Schreiben konzentriert. Sein Vater hatte ihn in jungen Jahren mit Dostojewski und Nabokov vertraut gemacht. Schuld, Sünde und Sühne (beziehungsweise oft das Ausbleiben letzterer) wurden seine wiederkehrenden Themen in Songs, Büchern und Filmen. Ende der Achtziger trat er in John Hillcoats Gefängnisdrama »Ghosts...of the Civil Dead« auf. Und weil Cave ein Arbeiter ist, schrieb er mit Blixa Bargeld und Mick Harvey gleich noch den Soundtrack dazu. Etliche weitere sollten folgen. Jetzt hat er mit Warren Ellis, Kompagnon Caves bei den Bad Seeds und Grinderman, eine Auswahl neuerer Filmmusiken veröffentlicht. »White Lunar« heißt die schmucke Doppel-CD. Sie klingt in der Tat etwas mondsüchtig und traumverloren. Fans von Caves Gesang seien gewarnt, sein Bariton ist selten nur zu hören. Wer aber Ellis’ Dirty Three, die späten Talk Talk oder prinzipiell Instrumentalmusik liebt, könnte an den freischwebenden, ätherischen Instrumentals je nach Gusto helle oder dunkle Freude finden. CD 1 enthält Stücke aus den beiden John-Hillcoat-Produktionen »The Proposition« (2005) und »The Road« (nach Cormac McCarthy, noch nicht veröffentlicht) und Andrew Dominiks »The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford« (2007). CD 2 versammelt Musik für Projekte weniger bekannter Regisseure: Geoffrey Smiths »The English Surgeon« über einen englischen Neurochirurgen in der jetzigen Ukraine und Matthew Watsons »The Girls of Phnom Pen« über Menschenhandel in Kambodscha. Hinzu kommen vier unveröffentliche Stücke aus Caves und Ellis’ Archiven und ein sehr kratzbürstiger Hidden Track. Diese zweite CD ist die gelegentlich deutlich ungemütlichere der beiden. Könnte interessant werden, das für nächstes Jahr angekündigte Grinderman-Album, von dem Ellis sagt, es ließe sich als Meeting von Stoner Rock, Sly Stone und Amon Düül beschreiben. Vielbeschäftigte Leute also, die wir uns als Frühaufsteher vorstellen sollten.
Damit auch gar keine Müdigkeit aufkommt, hat Cave jetzt, zwanzig Jahre nach seinem literarischen Debüt »And the Ass Saw the Angel«*, seinen zweiten Roman vorgelegt. Verdammnis und Besessenheit allerorten. Unlängst wurde er von Ridley Scott um das Skript für »Gladiator II« gebeten. Caves Vorlage gilt als unverfilmbar. Am Mangel an starken Bildern liegt das sicher nicht. Auch »Der Tod des Bunny Munro« lebt von eindrucksvollen Motiven, angefangen mit Bunnys Frau Libby, die sich im orangefarbenen Nachthemd erhängt, das sie in ihrer Hochzeitsnacht trug, über die entzündeten roten (Häschen-)Augen von Bunny junior und Kylie Minogues goldenen Hotpants. »Ein Monster« wollte Nick Cave mit seiner Hauptfigur Bunny Munro erschaffen. Als seine Inspirationen nennt er das Markusevangelium und Valerie Solanas’ »SCUM«-Manifest. Zu Beginn des Romans findet man Bunny ganz sympathisch, ein bisschen haltlos und verwirrt vielleicht, aber wer wäre das nicht nach dem Selbstmord seiner Frau? Doch Bunnys Sex- und Drogenbesessenheit wird im Lauf der Geschichte immer grotesker und monströser. Selbst vor dem Missbrauch einer halbtoten Junkiefrau schreckt er nicht zurück. Bunny Munro ist ein von seinen Trieben Getriebener und weiß, dass er bald sterben wird, ja, muss. Er hat also nichts zu verlieren. Seine Sexphantasien sind kalt und freudlos, in der Realität begattet er jedes weibliche Wesen, das nicht bei drei auf den Bäumen ist; als Handelsvertreter für Kosmetik trifft er zudem auf viele unbefriedigte, gelangweilte Hausfrauen. Aber wahre Liebe kann Bunny weder empfinden noch geben. Zwanghaft sucht er nach Erlösung (noch so ein wiederkehrendes Motiv in Caves Œuvre), die er – im Diesseits zumindest - nicht finden wird. Nach dem Tod seiner Frau steigt Bunny mit seinem neunjährigen Sohn ins Auto und fährt einfach los; ein gehetztes Roadmovie ohne Ziel und Plan beginnt. Die Passagen mit Bunny junior sind die psychologisch stärksten und anrührendsten des Romans: Der Kleine ist seinem verantwortungslosen Vater ausgeliefert und fürchtet sich vor ihm, gleichzeitig liebt und bewundert er ihn; will ihm gefallen und sorgt sich um ihn. Den erwachsenen Bunny hingegen verunsichert die vorurteilsfreie Liebe des Jungen – mit Bunny Munros Vater, einem dahinsiechenden bösartigen Greis, findet das fatale, unauflösbare Vater-Sohn-Dilemma seine Ausweitung. Bunny junior ist in dieser Konstellation der (noch) einzige Unschuldige, der unter dem Schutz seiner Mutter steht, die ihm nach ihrem Tod wie ein Engel immer wieder erscheint. Cave verwischt in »Der Tod des Bunny Munro« die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit – besonders eindrücklich in der Erlösungsphantasie des sterbenden Bunny und profiliert sich als beeindruckender Schriftsteller. Auf seinen dritten Roman will man nicht noch mal zwanzig Jahre warten müssen.