Favourite chords
and hidden hooks...
John K. Samson - live in Münster
Es kommt nicht allzu häufig vor, dass mir jemand eine Platte von einem mir bis dato unbekannten Künstler empfiehlt, ich sie mir anhöre und völlig begeistert, um nicht zu sagen aus dem Häuschen bin. So geschehen in 2003 mit dem Album „Reconstruction site“ von The Weakerthans. Großartige Songs, toll arrangiert und sehr außergewöhnliche Texte, zumindest was ich davon verstanden habe. Zwei Alben gab es bis dato schon und in 2007 erschien schließlich der bisher aktuellste Wurf „Reunion tour“. Die Band stammt aus Winnipeg in Kanada, tourt auch regelmäßig in Deutschland und hat eine eingeschworene Anhängerschaft, zu der ich mich nunmehr auch rechne. Kopf der Band ist zweifellos John K. Samson, der auch Mit-Gründer von Arbeiter Ring Publishing, einem eher linksorientierten Verlag ist. In diesem Jahr ist John K. Samson mit der Single „City Route 85“ im Gepäck auf Solopfaden unterwegs und gastiert in Münster im Sputnik Café.
Im Vorprogramm spielt Missincat, eine junge Dame in Begleitung eines Gitarristen bzw. Cellisten. Bei Akustikshows existiert immer das Problem des laut quatschenden Publikums. Gerade Support-Acts sind hier gestraft, da der Großteil des Publikums lieber über den Top-Act fachsimpelt oder sonstige interessante oder auch uninteressante Geschichten zum Besten gibt. Die Künstler müssen gegen eine Lärmwand ansingen und auch dem potenziell interessierten Konzertgänger wird das Zuhören nicht leicht gemacht. Bei einem Tom Liwa-Konzert habe ich gar zwei junge Damen deshalb einmal wüst angeraunzt. Wie gerade beschrieben ist auch die Situation im Sputnik Café bei Missincat, die sich tapfer durch den Zehn-Songs-Gig spielt. Im Stimmengewirr sind durchaus ein paar schöne Lieder zu entdecken. So gut, dass geraunzt werden musste, war es aber dann doch nicht.
Der Aufmerksamkeitspegel beim Publikum steigt gewaltig, als John K. Samson seine Vorbereitungen auf der Bühne trifft. Mikro justieren, Gitarre stimmen, Tee und Rotwein bereitstellen, Schuhe binden, Sweatshirt ausziehen und wahrscheinlich nochmal „Sicherheitspippi“ (Eltern wissen was das ist!). Eine kleine Clubbühne ohne Vorhang bietet für den interessierten Konzertbesucher wahrlich das eine oder andere zu entdecken. Dann geht es los mit „One great city!“, einer Homage an Winnipeg mit dem Refrain „I hate Winnipeg“. Das Publikum singt bereits bei diesem kaum besser als Opener hätte gewählt werdenden Lied vom Reconstruction site-Album dezent mit. Dann ein Lied über die Katze Virtute und „Night Windows“ vom letzten Weakerthans-Album. Danach der erste neue Song von der aktuellen Single. Drei, vier weitere Neuheiten, die gegenüber dem älteren Material doch etwas schwächeln, sollen es dann im zwanzig Lieder umfassenden Programm noch werden. Ansonsten Weakerthans-Songs von allen vier Platten in grandiosen Versionen. Bei alleine gesungenen, nur mit der Akustikgitarre begleiteten Liedern trennt sich nachhaltig der Spreu vom Weizen. Und heute abend gibt es ausschließlich Weizen. „Pamphleteer“, „None of the above“ oder „Everything must go“ sind Lieder von schlichter Schönheit. Nicht nur „Favourite chords“ sondern auch „Hidden Hooklines“, d.h. bezaubernde Gesangslinien, in die man sich erst auf den zweiten Blick verliebt, durchziehen das Programm dieses tollen Konzerts. Und dabei fehlt sogar mein Lieblingslied „Psalm for the elks lodge last call“ – soviel zu außergewöhnlichen Texten. Aber die Komplexität der Texte beeinträchtigt nicht die Textsicherheit großer Teile des Publikums, die Mr. Samson an den Lippen kleben. Nach ca. 80 Minuten inklusive Wunschkonzert im Zugabenblock sind Tee und Rotwein leergetrunken und ein glücklich dreinschauendes Publikum wird nach einem wunderbaren Solo-Konzertabend beseelt in die „Cruise Night“ entlassen.