Cobra Killer: Uppers and Downers
J. Mascis (Dinosaur jr.), Thurston Moore (Sonic Youth), Jon Spencer und Die Prinzen (!) auf einem Album? Was sich zunächst anhört wie ein schlechter Scherz, kam auf Einladung von Gina v. D'Orio und Annika Line Trost, seit über zehn Jahren zusammen unterwegs als Cobra Killer, zustande und funktioniert prächtig. Die beiden Berlinerinnen sind ohnehin bei ihren KollegInnen im Popgeschäft schwer beliebt und durften ihre plakativ-provokante Elektronik- und Rotwein-Show bereits als Supportact von Peaches, Le Tigre, Marilyn Manson und eben Sonic Youth vorführen. Auf ihrem fünften Album, das im Studio „Andere Baustelle“ der Einstürzenden Neubauten aufgenommen wurde, ziehen Cobra Killer alle Register: krachiger Elektro meets rumpelndes Garagenschlagzeug meets sexy Sirenengesänge und ungezogene Texte wie „Schneeball in die Fresse“. Dabei klingen Gina und Annika so wild und unternehmungslustig, als wäre Electroclash gerade erst erfunden worden – und ihre Gäste, am eindringlichsten J. Mascis' typisch jaulende E-Gitarre bei „Hang Up the Pin Up“, scheinen sich hervorragend zu amüsieren. Auch wenn Cobra Killer sich für ihre Bühnenshow mal was Neues überlegen dürften (seit 1998 betreten sie die Bühne mit halsbrecherisch hohen Stilettos, werfen den Sequencer an und übergießen sich dazu mit billigem Rotwein), ist „Uppers and Downers“ eine hochwillkommene Ladung Energie für kalte Tage.
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Disco Diva Delights Volume 1
Was haben unsterbliche Discohits wie „I Will Survive“, „Hot Stuff“, „Lost in Music“, „Le Freak“ und unzählige andere gemeinsam? Richtig, sie werden von Frauen gesungen. Dass Gloria Gaynor, Donna Summer oder Sister Sledge dabei häufig nur die Texte männlicher Songwriter und Komponisten interpretieren, steht auf einem anderen Blatt und soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Festzuhalten ist, dass Dancemusic und weibliche Stimmen spätestens seit Mitte der siebziger Jahre untrennbar miteinander verbunden sind, was auch heutzutage z.B. im Vocal House eindrucksvoll unter Beweis gestellt wird. Doch die Hits von Donna und Gloria sind über die Jahre ziemlich totgenudelt worden und es gibt nicht wenige, die die Tanzfläche unter Schmährufen verlassen, wenn die Eröffnungstakte von „It´s Raining Men“ ertönen. Deshalb gibt es jetzt den von Steve Kotey zusammengestellten und mit amüsanten Linernotes versehenen Sampler „Disco Diva Delights Vol. 1“: fünfzehn unbekannte, dafür unverbraucht klingende Discosongs von 1977 bis '82, gesungen von – leider – unbekannten Damen wie Toni Van Duyne, Melody Stewart, Ysanne Carniss, Kathi Baker oder die Französin Judith. Bei einigen Stücken wie „Height Report Disco“ von The Wonderband stellt sich die Frage, warum ihnen nicht derselbe Erfolg wie den oben genannten zuteil wurde; und Dee Dees Coverversion von Screamin' Jay Hawkins' Bluesklassiker „I Put A Spell On You“ rechtfertigt schon allein die Anschaffung dieses Albums!
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Charlotte Hatherley: New Worlds
Little Sister Records/Rough Trade
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Charlotte Hatherley: New Worlds
Charlotte Hatherley ist eine prima Teamworkerin: Knapp zehn Jahre spielte sie Gitarre in der irischen Band Ash, aktuell tritt sie mit Bat For Lashes auf, und unlängst verstärkte sie – auf dessen Einladung wohlgemerkt – die Tourband ihres persönlichen Helden Bryan Ferry. Doch am allerbesten ist die 30-jährige auf ihren Soloalben, wenn sich die Aufmerksamkeit der HörerInnen ungestört auf ihre Stimme und Gitarrenspiel konzentrieren kann. Hatherleys mittlerweile dritte Soloplatte “New Worlds”, erschienen auf ihrem eigenen Label Little Sister, macht demnach auch wieder ganz viel Spaß, verbindet Collegerock US-amerikanischer Prägung mit Britpop und einer sehr geschmeidigen Produktion. Die beiden ersten Songs “White” und “Alexander” mit ihren poppig-eingängigen Melodien mögen so manchem Fan zu sanft sein, aber Charlotte hat das Rocken nicht verlernt: in Stücken wie “Straight Lines” oder im Titeltrack geht sie ungestüm und wild zur Sache; Bands wie die Breeders und Belly fallen einem schnell als Vergleich ein, ohne dass Hatherley wie eine Epigonin derselben klingt. Mit “Firebird” zeigt sie, dass sie auch gern experimentiert, verträumt, balladesk und vaudeville-artig navigiert sie durch diesen Track, der in der Mitte des Albums platziert ist und tatsächlich auch am Stärksten hervorsticht. Leider ist “New Worlds” nach einer halben Stunde schon zu Ende, dafür kann man das Album ohne Verschleißerscheinungen mehrfach hintereinander hören.
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O+S
“It´s not a new world, it´s the same old”, verkündet Orenda Fink in “New Life”, die Kombination O + S ist aber durchaus neu: Orenda bildete mit Maria Taylor das Country- und Folkduo Azure Ray; hinter dem “S” verbirgt sich Scalpelist a.k.a. Cedric LeMoyne, Bassist der Alternative-Rockband Remy Zero. Orenda und Cedric kennen und schätzen sich seit über zwanzig Jahren und entschlossen sich anlässlich eines Kunstprojekts in Omaha, zusammen Musik zu machen. Wer nun vermutet, die unterschiedliche stilistische Prägung der beiden hätte zu einem explosiven Crossover-Stil geführt, liegt falsch: Warme, schwebende Klänge, gewebt aus zartem Klavierspiel, dezenter Elektronik und noch dezenteren Gitarren bilden die musikalische Basis; ergänzt durch Miss Finks gehauchte, engelsgleiche Vocals - und fertig ist die perfekte akustische Wärmflasche, die man im nasskalten November so nötig braucht. Selbst der aufmüpfig klingende Titel “We Do What We Want To” lullt die geneigte Hörerin mit sanftem Post-Shoegazer-Sound ein, “Toreador” und “Survive Love” könnten auch von Julee Cruise gesungen in einem David Lynch-Film auftauchen - tatsächlich geben Orenda und Cedric zu Protokoll, während der Aufnahmen häufig Lynch-Soundtracks gehört zu haben. Unheimlich wird es auf ihrer Platte trotzdem nicht, lediglich der rockig-knarzende Elektrotrack “Permanent Scar” bricht die durchgängige Zartheit ein wenig auf.
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Annie: Don’t Stop
Smalltown Supersound/Alive
» myspace
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Annie: Don’t Stop
Ginge es im Popbusiness wirklich um Musik und weniger um die Show, wäre die norwegische Sängerin und DJ Annie ein Superstar wie Lady GaGa oder Madonna. Aber die Welt ist nun mal ungerecht und obwohl Annie mindestens so gut aussieht wie die beiden genannten, ist sie seit ihrem Debütalbum “Anniemal” von 2007 bisher nur einem kleinen eingeweihten Publikum bekannt. Das dürfte und sollte sich mit ihrem Zweitling “Don´t Stop”, für den unter anderem Paul Epworth (Bloc Party, Primal Scream) als Producer verantwortlich zeichnet, ändern. Annie zeigt auf den zwölf Tracks großes Talent für eingängige Hooklines und präsentiert sich als souveräne Surferin auf den unterschiedlichsten stilistischen Wellen. Ob aufrührerische Trillerpfeifen bei “Hey Annie”, punkiger Übermut bei “The Breakfast Song”, Herzschmerz in der Ballade “Marie Cherie” oder der Discogroove von “Take You Home”: Annie plündert augenzwinkernd das Vermächtnis der achtziger Jahre, sucht sich aber nur das Beste aus und lässt den Kitsch links liegen. Annie hat bestimmt Platten von The Cure und BowWowWow zu Hause, darauf lassen jedenfalls die Ecken und Kanten in den Songs schließen: ein Darkwave-Gitarrenlauf hier, Tribalbeats dort – bei aller Tanz- und Mitsingbarkeit sind die Tracks so vielschichtig und spannend arrangiert, dass man auch nach mehrmaligem Hören immer noch Neues entdecken kann. Und das unterscheidet Annie von den Madonnas und GaGas: sie macht weniger Aufhebens um sich, sondern um die Musik. Also – und das ist ein Appell - macht Annie zum Superstar und besorgt Euch “Don´t Stop”!
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The Slits: Trapped Animal
Sweet Nothing/Cargo
» myspace
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The Slits: Trapped Animal
Was? The Slits sind wieder da? Die wilde Frauentruppe aus London, die anno 1978 den Do It Yourself-Gestus des Punk wörtlich nahm und die Bühnen enterte, ohne ihre Instrumente zu beherrschen? The Slits hatten keine Lust auf mackerhaftes Spezialistentum, sie spielten einfach drauflos und machten eine Menge Lärm - dennoch (oder gerade deswegen) war die Musik der Slits eine Offenbarung. Die basslastige, vibrierende Mixtur aus Reggae und Punk klang roh, organisch und charmant; mit Songs wie „Typical Girls“ und der sagenhaften Version von „I Heard It Through the Grapevine“ (bei den Slits hieß es natürlich „... Through the Bassline“) verewigten sie sich in den Postpunk-Annalen. Unvergessen auch das Coverfoto ihres Debütalbums „Cut“, auf dem die Slits mit nichts als einer Schlammpackung am Leib posierten. Jetzt also, mehr als 25 Jahre nach ihrer Auflösung, ein neues Album der Slits – von der Originalbesetzung sind nur Sängerin Ari Up und Bassistin Tessa Pollitt dabei, Gitarristin Viv Albertine wollte sich der Reunion nicht anschließen. Die neu hinzugekommenen Musikerinnen verändern den Slits-Soundkosmos kaum: wie in den späten 1970'er Jahren dominieren der pulsierende Bass und Ari Ups Stimme, Reggae und Dancehall verquicken sich mit Punkrock-Eruptionen. Themen der vierzehn Songs sind Tierrechte („Trapped Animal“), Feminismus („Partner From Hell“), Politik („Pay Rent“) und Party („Lazy Slam“, „Reggae Gypsy“) - nichts bahnbrechend Neues, aber trotzdem schön, dass die Slits zurück sind.
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Titiyo: Hidden
Despotz Records
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Titiyo: Hidden
Die schwedische Sängerin Titiyo, Halbschwester von Neneh Cherry, landete im Jahr 2001 mit „Come Along“ einen Welthit – bis heute läuft der Song mit dem verführerischen Refrain häufig im Radio. Neues gab es seitdem von Titiyo nicht zu hören, für ihr zweites Album ließ sie sich sehr viel Zeit: sie wollte nicht als „Queen of Swedish Soul“ gelten, sondern musikalisch andere Wege gehen. Zum Beispiel beschloss sie, für die neue Platte ganz allein verantwortlich zu sein und außer ihrer Stimme und einem Casio-Synthesizer kaum weitere Elemente zuzulassen – für einen erfolgreichen Popstar ein ungewöhnliches, minimalistisches Konzept. Jetzt ist „Hidden“ fertig und das Abwarten, Liegenlassen und Wieder-Neu-Anfangen hat sich für Fans und Künstlerin gleichermaßen gelohnt. Einen offensichtlichen Hit wie „Come Along“ gibt es auf „Hidden“ nicht, dafür intensive Balladen wie das Duett „If Only Your Bed Could Cry“ mit Moto Boy und „Stumble To Fall“, experimentellen, tanzbaren Pop („Standby Beauty“, „Crystal Clear Mud“), Krautrock-Anleihen („Drunken Gnome“) und reine Melancholie („Longing for Lullabies“). Die neun Songs auf „Hidden“ sind kein gefälliges Chartfutter, sondern das selbstbewusste Werk einer Künstlerin, die auf schnellen Erfolg keinen Deut gibt.
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Martha Wainwright's PIAF Records: Sans Fusils, Ni Souliers, A Paris
Cooperative Music/Universal
» marthawainwright.com
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Martha Wainwright's PIAF Records: Sans Fusils, Ni Souliers, A Paris
Martha Wainwright hat es nicht ganz leicht, sich in der großen weiten Welt des Popgeschäfts zu behaupten. Ihre Eltern sind der US-amerikanische Singer-/Songwriter Loudon Wainwright III und die kanadische Musikerin Kate McGarrigle; der wunderbare Rufus Wainwright ist ihr Bruder. Als seien diese Bürden öffentlichen Erwartungsdrucks nicht schon schwer genug, wagt die 33-jährige Sängerin mit ihrem neuen Album einiges: Sie interpretiert fünfzehn Lieder des französischen Nationalheiligtums Édith Piaf neu. Das hätte ganz schön schief gehen können, schließlich wird dem 1963 verstorbenen "Spatz von Paris" derart große Verehrung zuteil, dass EpigonInnen daran nur scheitern können. Aber Martha Wainwright gelingt das eigentlich Unmögliche, sie setzt den Piaf-Chansons einen eigenen Stempel auf, ohne sich den Originalen zu stark anzubiedern. Wainwright kopiert den exaltiert-kapriziösen Stil der Piaf nicht, sondern lässt ihrer eigenen, folk- und poperprobten Stimme freien Lauf - und, vielleicht am Wichtigsten: Piafs Hymne "Non, Je ne regrette rien" fehlt auf "Sans Fusils, Ni Souliers, A Paris". Eine kluge Entscheidung Wainwrights, sich auf weniger bekannte Lieder wie "Adieu Mon Coeur", "Vieux Piano" oder "Une Enfant" zu konzentrieren; besonders gelungen ist ihre intensive Version von "Le Foule". Die einfühlsame Bandbegleitung (produziert von Hal Willner) tut ein Übriges zum Gelingen, aufgenommen wurden die Stücke während dreier Auftritte im New Yorker Dixon Place Theatre im Juni 2009. Über den "Umweg" über Édith Piafs Chansons schafft es Martha Wainwright, aus dem Schatten ihrer erfolgreichen Familie herauszutreten und ihre eigene Stimme zu finden - Chapeau!
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