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Robert Forster:
The 10 Rules
of Rock and Roll
Black Inc. Books
274 Seiten, $ 27.95
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Robert Forster: The 10 Rules of Rock and Roll
„The 10 Rules of Rock and Roll“, nicht etwa „Rock'n'Roll“ heißt Robert Forsters Buch: man darf also, auch wegen des Coverfotos, das Forster in distinguierter Denkerpose zeigt, kein stillos hingerotztes Geschreibsel eines Musikers erwarten, der mal ein Buch mit seinem Namen drauf abliefern will, sondern feinsinnige und orthografisch stets korrekte Texte des Go-Betweens-Gründers.
„The 10 Rules“ versammelt Forsters Rezensionen für das australische Magazin The Monthly. In der Einleitung legt Robert Forster seine Zweifel dar, ob er die Aufgabe, Platten und Bücher zu besprechen, überhaupt erfüllen könne – welch Understatement: Forsters Reviews sind kenntnisreich, humorvoll und poetisch, seine Sprache ist – wie Songs der Go-Betweens - klar und von eleganter Einfachheit, die die Lektüre zum Genuss macht, auch wenn man den Gegenstand der Kritik gar nicht kennt, z.B. die australische Sängerin und Schauspielerin Delta Goodrem. Goodrem avancierte wie Kylie Minogue vom Fernsehserien- zum Mainstream-Popstar, Forster widmet sich ihrem Album ohne Häme und mit demselben Ernst wie einer Platte von Bob Dylan. Ein wohlwollender Blick und die grundsätzliche Wertschätzung jeglicher künstlerischer Tätigkeit zeichnen Forsters Rezensionen aus, niemals wird er zynisch oder hochnäsig; selbst wenn ihn eine Platte offensichtlich langweilt wie Frank Blacks „Honeycomb“, bleibt er höflich: „It´s not background music and yet it slides easily into the background, with a classic '70s feel, so that back at the barbecue someone is saying, 'Isn´t this a great record?' - and you think, Well, not really, as you reach for another beer.“ - so liest sich ein freundlicher Verriss á la Forster.
Hie und da verrät Forster Details aus der Go-Betweens-Historie: so wurde ihm klar, dass er Musik machen wollte, als er zum ersten Mal The Velvet Underground hörte. Davor kam ihm Musik - und zwar jede Art von Musik, auch Hardrock - viel zu kompliziert vor und er befürchtete, nie ein Instrument spielen zu können. Die Velvets änderten seine Ansicht nachhaltig, der Beziehung der Go-Betweens zu der New Yorker Band widmet er einen eigenen Artikel. „The 10 Rules“ versammelt nicht nur Platten-, Konzert- und Buchkritiken: die namensgebende Liste mit Forsters Rock and Roll-Regeln („The second-last song on every album is the weakest“) befindet sich darin, eine Auflistung der Bands, in denen er gern gespielt hätte (z.B. bei Peter, Paul & Mary, damals, 1962) und eine Kurzgeschichte („The Coronation of Normie Rowe“).
Sehr zu Herzen gehend sind zwei Texte über seinen Freund und Go-Betweens-Kollegen Grant McLennan, der 2006 überraschend starb. Ohne rührselig zu werden, beschreibt Forster die Freundschaft zu McLennan, die gemeinsame Arbeit und ihren letzten gemeinsamen Tag. Man sieht die beiden förmlich vor sich, wie sie gemeinsam in ein paar Kunstzeitschriften blättern, einen guten Weißwein öffnen und wie nebenbei drei wunderbare neue Songs komponieren – und muss ein Tränchen zerdrücken, auch wenn Forster, wie bereits erwähnt, von Rührseligkeit weit entfernt ist. „The 10 Rules“ ist auch für Nichtkenner der Go-Betweens und Robert Forsters Soloplatten empfehlenswert, bleibt zu wünschen, dass das Buch bald einen deutschen Verlag und vor allem eine/n gute/n Übersetzer/in findet.
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Alex Ross: The Rest Is Noise.
Das 20. Jahrhundert hören
Übersetzt von Ingo Hertzke
Piper, geb., 656 S., € 29,95
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Alex Ross: The Rest Is Noise. Das 20. Jahrhundert hören
Trotz einiger kleiner Mängel ist „The Rest Is Noise“, das über 600 Seiten starke Mammutwerk des amerikanischen Musikjournalisten Alex Ross, so etwas wie das ideale Sachbuch: Ross gelingt es – auf typisch amerikanische Weise – einen kompliziertes und sperriges Sujet (Klassische Musik des 20. Jahrhunderts) so unterhaltsam und spannend zu vermitteln, dass man das Buch erst weglegt, wenn man es komplett ausgelesen hat. Und das auch (oder gerade dann), wenn man wie die Rezensentin von besagtem Thema keine Ahnung hat beziehungsweise sogar Vorurteile dem hochkulturellen Gefiedel und Gebrumm gegenüber hegt. Der 1968 geborene Ross bettet die klassische Musik (er nennt sie zuweilen „Komponistenmusik“ - wobei mir diese Unterscheidung zu anderen Musikarten nicht ganz klar ist: sind Popkomponisten keine Komponisten?) historisch, kulturell, gesellschaftlich und politisch ein, durchgehender roter Faden ist Thomas Manns Roman „Dr. Faustus“, aus dem Ross immer wieder zitiert. Beginnend mit den beiden Titanen unter den Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts, Richard Strauss und Gustav Mahler, geht der Autor chronologisch, vor allem aber thematisch/personell vor und schöpft aus einem großen Anekdotenvorrat, die die Protagonisten (meistens sind es Männer) plastisch und lebendig werden lassen. Von Arnold Schoenbergs Zwölftonmusik über Brecht/Weills Dreigroschenoper, Amerikanische Komponisten wie Gershwin und Copland, die großen Russen Schostakowitsch und Strawinsky, Jean Sibelius und Benjamin Britten: man spürt beim Lesen die Vorlieben respektive Schwerpunkte des Autors, was aufgrund der Monumentalität des Stoffs unweigerlich auf Kosten weniger populärer Künstler gehen muss. So spielen die Musiken kleinerer Länder (soll hier heißen: musikalisch weniger bestimmend als z.B. Deutschland, Österreich, England und die USA) kaum eine Rolle, der Ungar Bela Bartók kommt nur innerhalb eines Kapitels vor, auch Franzosen wie Eric Satie hätten eingehendere Betrachtung verdient. Sehr stark ist Ross hingegen, wenn er die Verführbarkeit deutscher Komponisten und Dirigenten im Dritten Reich darstellt – und es ihm dennoch gelingt, den Ruf der Klassik zu retten und nicht als Lieblingsmusik Adolf Hitlers zu verunglimpfen. Gegen Ende wird „The Rest Is Noise“ ein wenig schwach auf der Brust: während sich Ross dem Jazz mehr als ausgiebig widmet, werden moderne Komponisten wie Philipp Glass und John Cage relativ prosaisch abgehandelt. Aber, wie bereits erwähnt, angesichts der schieren Größe des behandelten Themas mussten wohl schon aus ökonomischen Gründen Abstriche beim Inhalt gemacht werden. Ein faszinierendes Sachbuch ist „The Rest Is Noise“ allemal, besonderes Plus: auf der Website zum Buch finden sich Hörbeispiele in großer Zahl.
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Todd Gray: Michael Jackson.
Fotografien 1974 – 1983
Übersetzt von Michael Sailer
Edel:Books, geb., 141 S., € 24,95
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Todd Gray: Michael Jackson. Fotografien 1974 – 1983
Als vor einigen Tagen Michael Jacksons Obduktionsbericht veröffentlicht wurde, packte einen angesichts der unzähligen Injektionseinstiche und Narben plus vielerlei innerer und äußerer Verletzungen das kalte Grauen: wie konnte es nur soweit mit dem King of Pop kommen? Warum begab er sich lieber unters Messer/an die Nadel/die Spritze als zur Psychotherapie? Und warum erging es dem anderen King, dem King of Rock'n'Roll, Elvis Presley auch nicht viel besser? Diese Rätsel zu lösen, wird wohl nie wirklich gelingen, auch wenn sich Legionen von Hobbypsychologen die Köpfe darüber zerbrechen. Was bleibt, sind Bilder: Der unlängst bei Edel erschienene Band mit Fotografien Michael Jacksons aus den Jahren 1974 bis 1983 heißt im amerikanischen Original bezeichnenderweise „Before He Was King“: der Fotograf Todd Gray begleitete Jackson in der Prä-“Thriller“-Zeit, als er noch ein fröhlicher schöner Prinz war und kein trauriger, grotesk zerschnippelter „König“. Man sieht Michael mit seinen Brüdern auf der Bühne tanzen, lachend mit Sonnenbrille (nicht etwa mit Mundschutz und Maske) mit Fans posierend. Michael Jackson ließ Gray so nah an sich heran wie keinen anderen Fotografen zuvor oder danach, Grays einführender Text und Fotokommentare lassen vermuten, dass die beiden gut befreundet waren. Doch dann kam „Thriller“ und alles wurde anders, größer, gigantischer, schließlich unkontrollierbar und krank. Todd Gray ward indes nicht arbeitslos, sondern stieg selbst zum Star in seinem Metier auf. Er schoss Fotos für mehr als hundert Pop-Albumcover, drehte Musikvideos, seine Bilder wurden weltweit in Ausstellungen und Galerien gezeigt. Heute lehrt Gray Fotografie an der California State University Long Beach. Kleine Randnotiz: Grays Autorenfoto in der Buchklappe stammt von als Andy Warhol.
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Rockpalast:
Peter Rüchels Erinnerungen
Mit Fotos von Manfred Becker, Thomas von der Heiden und Rainer Leigraf
Edel:Books, geb., 256 S. € 29,95
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Rockpalast: Peter Rüchels Erinnerungen
„German television proudly presents... – Liebe Freunde, heute zu Gast bei uns im Rockpalast: ...“ Mit diesen Worten eröffnete Albrecht Metzger, neben dem freundlichen Engländer Alan Bangs langjähriger Moderator, den legendären WDR-Rockpalast, jene Sendung, die seit Mitte der siebziger Jahre live produziert (meistens in der Essener Grugahalle) und nächtens ausgestrahlt für Happeningcharakter in bundesdeutschen Wohnzimmern sorgte. Zu Beginn bedeutete Rock noch Rock: Rory Gallagher trat in der ersten Rocknacht auf und sollte einige Male wiederkommen, auch Eric Burdon und Little Steven waren regelmäßige Gäste. Desweiteren traten Alvin Lee, Peter Gabriel und Nils Lofgren auf, mit Joan Armatrading und Patti Smith durften auch mal Frauen auf die Rockpalast-Bühne. In den frühen achtziger Jahren guckten die Rockpalast-Macher über den Tellerrand und luden New Wave-Bands wie The Undertones und The Police ein oder ganz und gar Unrockiges wie Kid Creole & The Coconuts. Seit 1981 gab es außerdem die Rockpalast-Open Air-Festivals auf der Loreley, wo unter anderem die Stray Cats und Andreas Vollenweider (!) auftraten, allerdings nicht im selben Jahr... Nach einem äußerst erfolglosen Rockpalast 1985 (mit The Armoury Show, Squeeze, Rodgau Monotones und dem Salsa-Musiker Ruben Blades) wird die Sendung zunächst eingestellt. Seit 1995 gibt es wieder eigene Rockpalast-Produktionen und Festivals, zudem werden im Fernsehen häufig Auftritte aus dem Rockpalast-Archiv gezeigt. Für Nostalgiker, Chronisten und Fans gibt es jetzt auch ein Buch: Gründervater Peter Rüchel presents seine Erinnerungen, aber nicht nur er allein, Albrecht Metzger steuert ein Intro bei, die Fotografen Rainer Leigraf und Thomas von der Heiden jeweils ein Kapitel. Großes Plus des Buches sind die Fotos: Kim Gordons Füße in Pumps auf ihrem Bass stehend, ein erschöpfter, massiger Henry Rollins, die backstage rumlungernden ZZ Top, die jungen Red Hot Chili Peppers mit nix an außer Strümpfen über ihren Dödeln und Sting mit Pilotenbrille und Funktionsjacke, als er noch kein bärtiger Barockbarde war.
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Stefan Gauß: Nadel, Rille, Trichter. Kulturgeschichte des Phonographen und des Grammophons in Deutschland (1900-1940)
Boehlau, geb., 432 S., € 49,90
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Stefan Gauß: Nadel, Rille, Trichter
Kein Lärm ohne Gerät: Die Geschichte der Musik wäre eine andere ohne die Erfindung des Plattenspielers beziehungsweise Phonographen. Der Kultur- und Designhistoriker Stefan Gauß legt im Boehlau Verlag eine Geschichte ebendieser Apparate in Deutschland zu Anfang des 20. Jahrhunderts vor. Anders als Ross' „The Rest Is Noise“ ist „Nadel, Rille, Trichter“ kein plauderig-fesselndes Sachbuch, sondern beinharte empirische Wissenschaft mit vielen Fußnoten und Verweisen, die den Text schwer lesbar machen. Wer aber über die gesellschaftlich-soziologische Bedeutung mechanisch/elektronisch verstärkter und reproduzierter Musik und die Kommerzialisierung der tönenden Kunst bescheid wissen will, kommt um Gauß' Arbeit nicht herum. Auch dies: ein Standardwerk.
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