Spechtl und GUZ:
Ein dünner Mann aus Österreich und ein ... Mann mit kleinem Bierbauch aus der Schweiz
Österreich und die Schweiz sind nicht als die Wiegen moderner Pop-Musik bekannt. Im Gegenteil, man verbindet mit den beiden Alpenländern eher unsägliche Volksmusiktiraden oder „Live is life“, EAV und DJ Bobo. Aber auch bei unseren Nachbarn gibt es hochkarätige innovative Bands, wie z.B. Ja, Panik aus Österreich oder die Aeronauten aus der Schweiz. Erstere sind sehr jung und im Moment ziemlich angesagt, letztere sind schon alte Hasen, unermüdlich tourend und dabei für ausgelassene, sehr kurzweilige Live-Partys bekannt. Innerhalb einer Woche spielen die beiden Kapellen nun Anfang März in Münster im „Gleis 22“ und in Osnabrück im „Glanz und Gloria“.
Ja, Panik sind mittlerweile vom Burgenland über Wien nach Berlin rüber gemacht, wurden mit ihren beiden Platten „The taste and the money“ und „The angst and the money“ in 2007 und 2009 abgefeiert und sind auch mir sehr positiv aufgefallen. Und das Konzert setzt tatsächlich noch einen drauf. Hätten wir 1980 und wären in New York, würde ich sagen: Ich habe die Talking Heads gesehen. Ein dünner charismatischer junger Mann an Mikrofon und Gitarre singt außergewöhnliche Texte zu einem bunten Stilmix, der eine ganz eigene Note entwickelt. David Byrne heißt heuer Andreas Spechtl und die Band Ja, Panik. Sehr knallige Versionen des ausgesprochen gelungenen Materials vom neuen Album prägen das Konzert. Eingestreute Highlights vom etwas konventionelleren Vorgänger wie „Quizshows“ oder das großartige „Wien, du bist ein Taschenmesser“ sind weniger grell aber nicht minder überzeugend. Die Band, augenscheinlich jung an Jahren, macht sehr reife Musik und hat eine tolle Bühnenpräsenz. Ganz klar im Mittelpunkt steht Andreas Spechtl, der mit Inbrunst seine intelligente Lyrik intoniert. Nach einer guten Stunde endet der Gig mit „The Golden Handshake“, genau wie das Album. Es folgt noch eine gute Viertelstunde zwischen Feedbackorgie und A capella-Chor-Gesang, Ja, Panik’s „Road to nowhere“ quasi, war wohl aber ein Dylan-Cover. Ach ja, zwei Support-Bands gab’s auch noch, die Localheroes Play and Rewind und Peer aus Berlin. Die konnte man sich beide auch gut anhören.
Vier Tage später geht’s nach Osnabrück, das „Glanz und Gloria“ ist ein schnuckeliger kleiner Kellercub in altem Gewölbe. Die Aeronauten spielen ohne Support, denn mit beinahe zwanzig Jahren im Geschäft und fast zehn Alben kann man aus dem Vollen schöpfen. Auch die Schweizer praktizieren eine wilde Mixtur aus Punk, Soul, Jazz und Chanson, die aber hohen Wiedererkennungswert, eine eigene Note und live dazu einen unglaublichen Spaß- und Stimmungsfaktor besitzt. Kurz vor zehn ist der Laden noch recht leer, doch so langsam trudelt Publikum ein, vom Punk bis zum Modellflugzeugsammler, so könnte zumindest so jemand aussehen. Die Leute sind erheblich älter als bei Ja, Panik, durchaus einige in den 40ern und es herrscht klarer Jungs-Überschuss, was auch GUZ, dem eloquenten Aeronauten-Sänger und musikalischen „Hans-Dampf-in-vielen-Gassen“ auffällt und entsprechend kommentiert. Es dauert nicht lange, so ungefähr sieben, acht Takte vom ersten Lied „Feuer der Liebe“, auch der Opener des neuen Albums, bis Bewegung in die überschaubare Menschenmenge kommt. Die Aeronauten haben wie immer einen Heidenspaß beim Musizieren, der sich schnell auf das Publikum überträgt. GUZ hüpft etwas hüftsteif wie ein Flummi auf und ab und die Band spielt sich durch alle Dekaden ihres Schaffens mit Schwerpunkt beim neuen Album „Hallo Leidenschaft!“. Die Platten können im Vergleich zu den überbordenden Liveshows nicht ganz mithalten. Nicht, dass sie schlecht sind, sie stehen auch weitgehend komplett in meinem Plattenregal, aber Energie und gute Laune der Konzerte können die Platten nicht ganz transportieren. Neben den klassischen Instrumenten spielen Trompete und Saxophon eine wichtige Rolle bei den Aeronauten. Diese können manchmal auch etwas aufdringlich klingen, bei den Aeronauten tröten sie virtuos aber immer songdienlich. „Gutmütige Schlamper zu sein ist unsere Kunst“ wie es in „Gutscheine“ ungefähr in der Mitte des Sets besungen wird, nimmt man den sechs Eidgenossen ohne weiteres ab. Nach einer guten Stunde ist erst einmal Schluss, aber nur vermeintlich, zehn weitere Lieder sollen noch folgen, darunter die alten Gassenhauer „Ich hätte lieber eine Freundin“ oder „Sexy Terrorist“. Im letzten Zugabenblock wird dann nochmal das Punkbrett geprügelt, bevor die Osnabrücker Studis gegen Mitternacht anfangen im Tanzkeller „Glanz und Gloria“ zu hotten.
Quintessenz:
Die dünnen Österreicher sind innovativer, textlich subtiler, sprechen ein jüngeres Publikum an und werden bestimmt noch erfolgreicher. Bin gespannt, ob die großen Hallen rufen.
Die gutmütigen Schlamper aus der Schweiz bieten beim Konzert einen außergewöhnliche Spaß- und Unterhaltungsfaktor und werden die kleinen Clubs noch hoffentlich lange bespielen. Das sollte man mal mitgemacht haben.
Beide Konzerte waren top.
Ich bin gespannt auf das Projekt „Die Zukunft“ von GUZ zusammen mit Bernadette La Hengst und Knarf Relloem. Album erscheint am 30. April. http://www.myspace.com/lazukunft
Vorsicht bei erstmaligen Besuchen in Clubs in fremden Städten. Eine Stunde abhängen bis zum Konzertbeginn kann einem passieren. Nicht jeder kann die Zeit nutzen, um sich mehr oder weniger witzige Pointen für die Quintessenz seiner Konzertkritik auszudenken.