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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




1. März 2010
Thomas Backs
für satt.org

Short Cuts-Logo
März 2010, erster Teil


  La Stampa: Pictures never stop
La Stampa: Pictures never stop
Staatsakt / Rough Trade
» myspace


La Stampa: Pictures never stop

La Stampa? Das könnte auch gut der Name einer italienischen Death Metal-Combo sein. „Die Presse“ sind aber eine fünfköpfige Band um die Kunstkritiker Jan Verwoert und Jörg Heiser. Nach eigenen Angaben ist das Quintett irgendwo im „internationalisierten, komisch schwer verortbaren Berliner Kunst-Musik-Milieu“ unterwegs. Mit dem ersten Longplayer „Pictures never stop“ bringt es uns jedenfalls keinen Metal. Der New Wave und Post-Punk der späten 1970er und frühen 1980er-Jahre klingen aus dem Zitatenschatz der elf – manchmal auch stampfenden – Songs, vom Opener „Information Man“ bis zum befreit entspannt klingenden Rausschmeißer „Es geht weiter“ (inklusive Ton Steine Scherben-Zitat aus dem „Rauch-Haus-Song“). Post-Punk? Post-Pop? Klaus Walter von byte.fm nennt die Musik von La Stampa „Post-Alles-Pop“. Während sich die Musiker im „Postpopwunderland“ wähnen. An Devo und Magazine erinnert die Gitarrenmusik mit dezenten Keyboard- und Synthie-Klängen und Songs wie „You were imagining things“ oder „Dare to be loved“ auf jeden Fall. Irgendwo zwischen Disco und Ausstellungseröffnung. So wie bei den Schotten von Franz Ferdinand, die diesen Underground-Soundtrack der 1980er zuletzt in den Mainstream gehievt hatten. Mit Pianist Thomas Hug, Günter Reznicek (Synthesizer/ Nova Hut) und Drummer Jons Vukorep gehören begnadete Musiker zu La Stampa. Auf „Pictures never stop“ sorgt das für viele Überraschungen. Zum Beispiel mit „Jealousy“, der mit einem traurigen Thema der fröhlichste Pop-Song auf dieser Sammlung ist. Inspirationen findet das Quintett musikalisch auch in der Gegenwart: So verriet Hauptsongschreiber Jörg Heiser im Interview mit Klaus Walter, dass ein Timbaland-Beat der Ausgangspunkt für Schlagzeuger Jons Vukorep bei „Für den Moment“ war. Wer hätte das gedacht? Textlich haben „La Stampa“ eine Gemeinsamkeit mit den Labelmates von Ja, Panik: Sie wechseln sprachlich zwischen Deutsch (zum Beispiel „Fred, so einfach ist es nicht“) und Englisch („The Lady gets around“), auch mal innerhalb eines Songs. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich dank La Stampa zudem zwölf Monate zurück. Da erfreuten die Antennas aus Schweden mit dem Album „Feeling feline tonight“ musikalisch auf ganz ähnlichen Wegen.


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  Beach House: Teen Dream
Beach House: Teen Dream
Bella Union/ Cooperative/ Universal
» beachhousebaltimore.com
» myspace


Beach House live:


Beach House: Teen Dream

Frühlingserwachen der sanften Art: Victoria Legrand und Alex Scally aus Baltimore, Maryland entführen als Beach House in einen „Teen Dream“ aus zehn Kapiteln voll verträumter Melodien. Mit Orgel- und Keyboardklängen. In Kombination mit Scallys zurückhaltendem Gitarrenspiel und Legrands sanfter, voller Stimme bringt der dritte Longplayer des Duos so vom Intro „Zebra“ bis zum abschließenden „Take care“ erhebende poppige Momente voller Überraschungen. Dabei ist es auf jeden Fall eine seltsame Traumwelt, in die Legrand und Scally uns da entführen. Mit einer Menge Suchtpotenzial, das beim hypnotisierenden Abschiedsspaziergang „Walk in the Park“ („In and out of my life/ You would slip from my mind/ In a matter of time“) oder den Ohrwürmern „Silver Soul“ und „Used to be“ voll durchschlägt. Tempo, das wird in der Traumwelt nur ein Mal aufgenommen, ein wenig jedenfalls mit den sanften Beats, die „10 Mile Stereo“ unterlegen. Gedanken an ein Strandhaus, an Strandspaziergänge, die liegen mit einem Album wie diesem nach einem langen Winter wirklich nicht fern. Eingespielt wurde der „Teen Dream“ gemeinsam mit Produzent Chris Coady bereits im vergangenen Jahr, in einer umgebauten Kirche an der US-Ostküste. Das Resultat ist nun auch in Kombination mit einer DVD erhältlich: Zehn Kurzfilme liefern Bilder zu den Träumen. Gut möglich, dass Legrand und Scally bald auf größeren Bühnen musizieren werden.


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  Four Tet: There is Love in you
Four Tet:
There is Love in you

Domino/ Indigo
» fourtet.net
» myspace


Four Tet: There is Love in you

Frühlingserwachen der sanften Art, Part 2: Soundtüftler Kieran Hebden kehrt mit seinem fünften Album „There is Love in you“ zurück. Und erfreut Freunde innovativer elektronischer Musik mit einem Kaladeiskop aus Melodien, Samples und sanften Beats. Zum Beispiel mit der neun Minuten lange Single „Love Cry“ aus dem letzten Jahr und ihrem musikalischen Zwilling „Sing“, die beide ganz sicher Tanzflächenfüller sind. „Folktronica“ ist Hebdens Stil ja auch mal getauft worden, wegen dieser erstaunlichen Mixtur aus elektronischen und traditionellen Elemente. „There is Love in you“ zieht den Hörer gleich zum Start mit „Angel Echoes“ in seinen Bann. Ein seltsam gehauchtes „There`s Love in you“ klingt hier in einer Dauerschleife aus geloopten Stimmfetzen an. Ein feines Intro für die folgende Ausflüge ins Hebdens Klangwelten. Die mit zwei glanzvollen Schlusspunkten enden: „Plastic People“ erfreut mit Dubstep. Und „She just likes to fight“ ist am Ende mit Gitarrenklängen ein Track, der auf dieser experimentellen Sammlung einem klassischen Pop-Song zwischendurch mal ziemlich nah kommt. Ein wirklich erstaunliches Album.


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  Blood Red Shoes: Fire Like This
Blood Red Shoes: Fire Like This
Cooperative/Universal
» bloodredshoes.co.uk
» myspace


Blood Red Shoes: Fire Like This

Es ist schon auffallend: Viele Bands, die heute die Wildheit und Energie des frühen Rock'n'Roll 'rüberbringen, sind Duos. Als wäre das übliche Vierer-Bandmodell aus Bass, zwei Gitarren und Schlagzeug zu behäbig und unbeweglich. Und Jungs alleine nicht leidenschaftlich genug, denn die meisten dieser Duos bestehen aus einem Mann und einer Frau: The White Stripes, The Kills, She Keeps Bees, The Raveonettes. Und Blood Red Shoes aus Brighton, Great Britain. Laura-Mary Carter und Steven Ansell, die ihren Namen angeblich angesichts blutig getanzter Schuhe von Ginger Rogers gefunden haben, verkörpern par excellence die Theorie vom Duo als kleinster Bandeinheit und gleichzeitig als deren intensivster Ausprägung. Beide singen, Steven sitzt an den Drums, Laura-Mary bearbeitet das heiligste, männlichste Rockinstrument überhaupt: die E-Gitarre. Kein Bass. Blood Red Shoes sind aggressiv, rotzig und dabei elegant, wie es nur ganz junge Menschen sein können. Ihr Debütalbum "Box of Secrets" erschien 2008, für die neue Platte "Fire Like This" veränderten sie weder Sound noch Gestus: alles ist fiebrig, dringend, drängend. Nur der siebenminütige Schlusstrack "Colours Fade" fällt aus dem Rahmen, Tracks wie "Light It Up", "Don´t Ask" oder "Count Me Out" sind kurz, knapp und ungeschliffen; verdichteter Punkrock mit Grunge- und Glam-Anleihen, tanzbaren Beats und trügerisch süßen Poprefrains. Mehr als zwei Leute braucht es nicht für Rock'n'Roll – Blood Red Shoes sind im März auf Deutschland-Tournee, sollte man sich nicht entgehen lassen. [Christina Mohr]

Live: Sa 20.03.2010 Hamburg (Uebel&Gefährlich) So 21.03.2010 Berlin (Maria am Ufer) Mo 22.03.2010 Münster (Gleis 22) Di 23.03.2010 Köln (Gloria) Mi 24.03.2010 München (Backstage) Do 25.03.2010 Stuttgart (Schocken)


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  Christy & Emily: No Rest
Christy & Emily: No Rest
Klangbad


Christy & Emily: No Rest

"No Rest", das dritte Album des New Yorker Duos Christy & Emily, zeigt, wie man mit minimalen Mitteln maximale Intensität erreicht. Emily Manzo, klassisch ausgebildete Pianistin und John Cage-Interpretin, und Christy Edwards, Gitarristin/Schlagzeugerin mit Punk-Background, verbinden auf zehn Tracks Folk, Blues, Klassik, Neue Musik und The Velvet Underground, ohne abgehoben und verkopft zu klingen. Vielmehr hat man den Eindruck, einem intimen Lagerfeuerkonzert beizuwohnen, als sängen und spielten Christy & Emily für einen ganz allein. Musik, die im Dunkeln gespielt und gehört werden soll: Lullabies für Erwachsene. Der Gesang ist vorwiegend zart, aber bestimmt; beunruhigende Geschichten von Selbstmördern und vergangenen Kindheitstagen werden erzählt, die Melodien entwickeln einen mystisch-verführerischen Sog: beim atmosphärisch dichten "Cave" fühlt man sich tatsächlich wie einer Höhle, dumpfes Klopfen und Vibrieren scheint aus unauslotbaren Tiefen zu kommen; in "Amaryllis" weht neben klassischen Elementen ein Hauch Beach Boys mit, "Beast" verschmilzt Psychedelik mit lateinamerikanischen Rhythmen. Christy und Emily verwenden neben "typischen" Pop- und Folkinstrumenten wie Gitarre und Percussion auch eher ungewöhnliche Klänge von Wurlitzer-Piano, Glocken und Harmonica - so entsteht ein ungewöhnlicher, faszinierender Sound, der mal so reduziert und schroff klingt wie Ry Cooders Soundtrack für "Dead Man", mal fantasievoll und ungreifbar wie Kate Bush. [Christina Mohr]


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