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Nikki Sixx (mit Ian Gittins):
Tagebuch eines Heroinsüchtigen. 365 höllische Tage im Leben eines Rockstars Iron Pages Books im I.P. Verlag 2009
Hc, 431 Seiten, 23,90 Euro » amazon
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Nikki Sixx packt aus:
Ich war 365 Tage in der Drogenhölle
Es gibt da eine Vorstellung vom Rockstarleben: ausgedehnte Tourneen um die ganze Welt, ausverkaufte Stadien und Hallen, Groupieschlangen, die nach und nach abgearbeitet werden müssen, Kontakte zu anderen Sternchen, ein dickes Portemonnaie mit Taschengeld für den Tagesbedarf und schließlich jede Menge Drogen, harte und weiche. „Es gab verdammte Hinweise darauf, dass ich ein Junkie zu werden schien. Um das nicht mitzubekommen, muß man schon ziemlich auf sich selbst fixiert sein, aber wenn ich damals etwas war, dann das. [...] Am Ende der ›Theatre Of Pain‹-Tour im Jahr 1986 war ich auf dem besten Weg, ein kompletter Junkie zu werden. Ich hatte nach einer Show in London eine Überdosis genommen und wurde zum Sterben im Müllcontainer zurückgelassen. Ich war drogenabhängig bei Tommys Hochzeit aufgetaucht, die Spritzen versteckt in meinen Cowboystiefeln. Und ich war lieber zum Koksen zu Hause geblieben, als bei der Beerdigung meiner Großmutter dabei zu sein – die Frau, die mich geliebt und aufgezogen hatte.“ (S. 24)
Letzteres ist ein Zitat aus Nikki Sixx‛ Autobiographie, Bassist bei Mötley Crüe und auch sonst in anderen Bandprojekten in der Schnittmenge aus Hardrock, Glam, Punk und Pop aktiv. Nikki nahm auf die Tour des Jahres 1987 ein Tagebuch mit und versäumte es trotz orgiastischer und auch einsam-depressiver Momente nie, ein paar Zeilen zu notieren. Mit dem Autor Ian Gittins, einem britischen Journalisten, der auch schon Werke zu unter anderem Björk verfasste, machte sich Nikki im Jahr 2006 daran, die längst verschollenen Tagebücher, die er per Zufall wieder fand, zu bearbeiten und in ein lesbares Buch zu kleiden. Das Buch erschien 2007 in USA und fand jetzt im Berliner Special-Interest-Verlag Iron Pages nach Deutschland. Die Aufmachung ist wirklich gelungen und aus dem Originalmanuskript wurden die Comicillustrationen übernommen. Satz und Layout versuchen, das Chaos im Kopf von Nikki Sixx entsprechend umzusetzen und das Experiment ist geglückt.
Erschreckend ist das Buch vor allem in der Kompromisslosigkeit des Musikers, schonungslos seine Exzesse zu schildern. Durch diese offene Schilderung erhält der Leser einen wirklich umfassenden Einblick in die turbulente Karriere Mötley Crües. Vergegenwärtigt man sich den Erfolg dieser sogenannten Glam Rock-Gruppe, wird die Gefahr des Rausches verständlich, wenn auch nicht tolerierbar. Sixx stößt in ruhigen Momenten des Tourtrubels auf die Möglichkeit des Rückzugs vom Koks und Heroin. Doch immer wieder zieht es ihn zur Nadel hin. Er versuchte, nachdem das Bandmanagement Druck ausübte, mehrere Entzugskuren.
„Fuhr heute zur Klinik und bekam meine erste Dosis. Ich bin vom Heroin los. Ich warf all meine Materialien weg, sogar meine Dom Perignon-Kiste. Ich kann dir sagen, ich bin verdammt krank. Ich bekam ein illegales Rezept für Valium und ein Mittel für Krebspatienten von diesem Quacksalber, zu dem wir alle gehen. Das hilft immer dabei, die Schmerzen zu ertragen.“ (S. 167)
Dieser Eintrag stammt vom 10. Mai 1987. Doch das Jahr ist noch nicht mal zur Hälfte vorbei. Eine lange Wegstrecke steht noch bis Silvester ’87 bevor. Nikki nimmt ab, bekommt Augenringe vom Schlafentzug, der Anstrengung auf den Mammuttourneen. Die Lyrics seiner Band, die Musik, das Image – alles trägt zu Nikkis körperlichem Raubbau bei. Er sieht das stellenweise ein, doch letztlich überwiegt das Bekenntnis zum unheiligen Trio des Musikerlebens: Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Diese Phrase ist längst zu einem Stereotyp geworden, zu einem unauslöschlichen Element des Zeichenreservoirs eines durch die Medien gestählten Bildes vom Rockstar. Er kann es nicht halten, wie Ottonormalbürger – er muss es übertreiben und nur ein Gesetz kennen: sein eigenes. Die Maschinerie des Goldesels wird von der Plattenfirma Elektra künstlich am Leben erhalten. Künstlich heißt: Alkohol, Drogen und Weiber.
Von einem Mann, der nichts fürchtet und dem Tod bereits ins Auge blicken durfte, geht ein dunkles Charisma aus. An Groupies hat es Mötley Crüe nie gemangelt. Geschäftssinn beweist Sixx bereits zur Zeit ihres Höhenflugs. Doch erst in der zwanzigjährigen Rückschau auf die Tagebücher wird manches deutlicher. In roter Farbe sind die Kommentare von Sixx als auch seiner „Weggefährten“ abgedruckt. Man kann zweifelsohne behaupten, dass das „Tagebuch eines Heroinsüchtigen“ das Milieu, in dem sich die Hardrocker bewegten, ausführlich auseinandernimmt. Die Verbindung zum Heute wird unter anderem durch die Tatsache geknüpft, dass sich Nikki als Mentor von Guns n’Roses versteht, deren damaliger Gitarrist Slash sehr eng mit dem Mötley Crüe-Bassisten befreundet war. Ihre gemeinsamen Abstürze sind in diesem Buch selbstverständlich verzeichnet.
Schnell wird deutlich, wie leer ein solches Leben zwischen Presseterminen, ausverkauften Touren, Studioaufnahmen, Parties und Exzessen sein kann. Jeder Tag im Leben des Nikki Sixx bringt einen neuen Thrill. Schaut man jedoch zwischen den Zeilen, so scheint sich das zu wiederholen: mit einem Kater aufwachen, ein fremdes Mädchen neben sich, das man irgendwie irgendwo in der Wohnung oder on tour gevögelt hatte, den Tag mit dem Dealer und den Drogen verbringen oder optional auf Tour sein, was Soundcheck, Interviews, Radiosendungen und dergleichen bedeutete, dann die Show überstehen, ohne zu besoffen zu sein oder kotzen zu müssen, dann in den Nightliner oder ins Hotel oder in Stripbars und später am Morgen ins Flugzeug. So geht das ein ganzes Jahr, 365 Tage, höllische Tage, wie Nikki Sixx meint. Trotz allem hat er überlebt. Wie sieht es am Ende des Buches aus? Im Dezember 2006, als Sixx sein Vor- und Nachwort verfasste?
„Es soll nicht zu sehr nach heile Welt klingen, aber an diesem Punkt meines Lebens war ich jeden Morgen, wenn ich aufwachte, so glücklich, dass ich Smilies pinkelte. Ich könnte immer weiter fortfahren ... aber ich denke, ihr habt es verstanden. Sehen wir den Tatsachen ins Auge – ich kann selbst manches nicht davon glauben. Zur Hölle, laßt mich prahlen, es ist zu guter Letzt ja mein verdammtes Buch.“ (S. 424)
Geläutert, mehrere Kinder habend, immer noch am Bass, über die Jahre daran besser geworden und immer noch dem Rock’n’Roll verschrieben – so die Bilanz des Autors.
„Jemand fragte mich, warum ich dieses Buch geschrieben habe, und ich sagte: ‚Vielleicht wird es eine Person lesen, der es helfen wird.‛ Sie sagten: ‚Das ist nicht sehr Rock’n’Roll, oder?‛ Und ich antwortete: ‚Scheiß drauf.‛ Dann grinste ich, weil ich weiß, dass genau das das größte Rock’n’Roll-Ding an mir ist – das zu machen, was ich im Leben machen will.“ (S. 431)
Man glaubt es kaum, aber das ist eine perfekte Definition der Gattung Autobiographie. Wer ein Leben durchmacht, das einer Hölle glich, wird am Ende wissen, was er geworden ist. In diesem Sinne darf Herr Sixx als talentierter Autor gelten. Lebendige Literatur, die sich nicht aus Büchern speist.