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19. April 2010
Jürgen Körber
für satt.org

  Guts Pie Earshot: Chapter Two, Volume Two
Guts Pie Earshot:
Chapter Two, Volume Two

(Re-Issue, Major Label, Broken Silence)
» gutspieearshot.de
» myspace


Guts Pie Earshot:
Chapter Two, Volume Two

GUTS PIE EARSHOT haben ihre erste Platte zwar schon 1994 herausgebracht, und doch muss ich hier gestehen, zuvor nie etwas von ihnen gehört zu haben. Was ehemals als Quintett begann, ist seit 2006 auf die beiden Mitglieder Patrick Cybinski alias Rizio am Cello (und den Effekten) und Jean Jacobi a.k.a Scheng-Fou am Schlagzeug reduziert. Und anhand dieser eigenwilligen Minimalbesetzung sollte man schon mal Ohren machen: CHAPTER TWO, VOLUME TWO heißt ihre neue Platte, und zwar deswegen, weil ihr 2006 nur als Doppel-LP erschienenes Album aufgrund der oben erwähnten Verschlankung einen musikalischen Neubeginn für die Band bedeutete und daher den Namen CHAPTER TWO, VOLUME ONE trug. Da die LP längst vergriffen ist, haben GUTS PIE EARSHOT die alten Stücke jetzt neu auf CD veröffentlicht, leicht gekürzt, überarbeitet und remixt. Und bieten damit allen Unkundigen die Gelegenheit zum Einstieg in ihre Musik.

Wie klingt es, wenn eine Band nur zwei Mitglieder hat, und keiner von beiden singt oder spielt Gitarre? Sehr gut natürlich, und sogar richtig abwechslungsreich. Was zunächst einfach leicht heavy mit einem unglaublich nach E-Gitarre klingenden elektrisch verstärkten Cello anfängt (wurde da doch bei den Instrumenten getrickst?) bekommt schnell interessante Rhythmen- und Tempowechsel. Durch das Cello drängen sich Vergleiche mit dem Cello-Rock von APOCALYPTICA auf, aber GUTS PIE EARSHOT zeigen schnell, dass sie eine größere Bandbreite als die Finnen drauf haben: „Manu“, der zweite Track, ist schnell, punkig und klingt, als würden GOGOL BORDELLO die Titelmusik der Munsters covern. Richtig gut wird die Platte dann mit „Exist“, in den ruhigen Passagen hört man nur das Pizzicato des Cello und das Aneinanderschlagen der Drumsticks. „It’s never new“ haut in dieselbe Kerbe, fängt mit Sphärentönen an (die gehören wohl zu den elektronischen Effekten) und ist zusammen mit „Exist“ wohl das experimentellste Stück auf der Platte. Wer die etwas späteren Sachen von ATTRITION kennt (und mag): Ein bisschen so klingt es hier, nur ohne Gesang. Und etwas weniger Elektronik als bei dem englischen Duo.

Und so geht es weiter, mit teilweise sehr schnellem Bogenstrich und punkig eben wie GOGOL, dann aber wieder wesentlich ruhiger und mit viel Nachhall beim Cello. Mit über 17 Minuten Länge bildet „Wait“ den umfangreichen Abschluss: Sphärenklänge mit schnellen Streichertönen, die dann nach langsam ansteigendem repetitiven Percussions in längere Noten übergehen. Sehr harmonisch und melodiös, getragen, fast hypnotisch.

Also: Bitte reinhören, ihr werdet rasch feststellen, ob es was für euch ist oder nicht. Am besten sind GUTS PIE EARSHOT, wenn sie die rockige Seite ihrer Musik nicht überbetonen. Geschmackssache hin oder her, aber das Repertoire der Band klingt einfach am Besten an seinen rhythmischen, orientalisch eingefärbten und experimentellen Stellen. So bei „Butterfly“, das in den ersten Minuten und am Ende eindeutig seine Stärken hat, wenn nur die Percussions zu hören sind.

Anspieltipps: „Exist“, „It’s never new“, „Butterfly“.


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  Guts Pie Earshot: Give Away
Guts Pie Earshot:
Give Away

(Major Label)


Guts Pie Earshot: Give Away

Und gleich noch ein Album von GUTS PIE EARSHOT, das laut Presserelease allerdings nur per Mailorder von Major Label oder direkt bei den Konzerten von GPE erhältlich ist. „Give away“ ist eine Kollaboration mit Gastmusikern, die Songs von GPE spielen, oder Seitenprojekte von Bandmitgliedern. Daher mischen sich hier unter die Streichertöne auch hin und wieder mal Vocals, teils auf Englisch und teils auf Deutsch, alles in allem nach eigener Aussage „ein wilder und spontaner Mix aus Punk, Klassik, Techno und Folk, Hifi und Lofi“.

Das funktioniert auch mitunter ganz wunderbar, so beim ersten Track „Introvert“, bei dem die ehemalige Sängerin der Band, Anneke, GPE auf einigen Konzerten begleitet hat. „Fat Old White Man“ mit dem australischen Musiker GASFUELLED SHITMACHINE wäre aber ganz gut auch ohne den Gesang ausgekommen. Und bei „Exist“ wird der ursprüngliche Track nur zum Hintergrund für den Rap von BLANK, was doch schade ist, denn auf „Chapter Two Volume Two“ klingt die Instrumentalversion doch interessanter. Ebenso bei „Isolated“, wo der Gesang aber dafür gut die rockige Note unterstreicht. Ihren Punkwurzeln treu bleibend vertonen sie mit „Brief aus dem Toten Trakt“ den Brief von Ulrike Meinhof aus ihrer Isolationshaft, ein passender Text zu den düsteren Klängen.

Liebhaber von Chapter Two werden sich wohl am ehesten mit den rein instrumentalen „Freeze“ , „Let there be“ und auch „Overpressure“ anfreunden können, beim Letztgenannten wird das Cello unterlegt von einem ein Technobeat. Wirklich schön sind dann abschließend „Chnorz“, „Altai“ und vor allem „Gava“ wo STRINGS INTEMPORAL die Flamencogitarre beisteuern.

Insgesamt sind einige der Songs jetzt rhythmischer und tanzbarer, wirken aber auch dadurch etwas monoton und gleichförmig. Dennoch eine gute Scheibe, die GPE auf ihrer Homepage für wirklich faire € 5,- feilbieten.