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12. April 2010
Christina Mohr
für satt.org

  Pascal Fuhlbrügge: Enthusiasm
Pascal Fuhlbrügge:
Enthusiasm

(Buback)
» fuhlbruegge.net


Fuhlbrügge live:
  • 7. Mai 2010, Hamburg/Frappantkaserne



Pascal Fuhlbrügge
Fotos: Kathrin Brunnhofer
Die Kostüme gehören zu Fuhlbrügges Performance, die es zum Album geben wird. Gemacht wurden sie von Charlotte Pfeifer, Entwürfe von Fuhlbrügge, Pfeifer und Katrin Bahrs.


Pascal
Fuhlbrügge:
Enthusiasm

Manchmal gibt es Zufälle, die fast zu obskur sind, um wahr zu sein: Pascal Fuhlbrügge und Kristof Schreuf, vor über zwanzig Jahren zusammen in der legendären Prä-Hamburger Schule-Band Kolossale Jugend, beide nicht unbedingt für üppigen Platten-Output bekannt, veröffentlichen gleichzeitig Soloalben und das auch noch beim selben Label. Dieser schöne, obskure Zufall führt hoffentlich dazu, dass Kolossale Jugend rückblickend ausgiebig gewürdigt wird; noch hoffentlicher aber kriegen Schreuf und Fuhlbrügge eine geballte Ladung Presse- und Publikumsresonanz ab.

Während Kristof Schreufs „Bourgeois With Guitar“ eine sehr song- und sängerzentrierte Angelegenheit ist, tanzt bei Pascal Fuhlbrügge das künstlerische Netzwerk: die Gästeliste von „Enthusiasm“ verzeichnet A different Jimi, Elmar Günther, Elena Lange, Thomas Mahmoud, Gerald Mandl, Charlotte Pfeifer und Christine Schulz. Musikalisch herrscht elektronische Vielfalt, entfesselter Disco-Stomp („Bigger Than This Town“), Space-Techno („Kind Noises“), geheimnisvolle Fast-Instrumentals („Ghosts of Things to come“) und von Mahmoud wie immer überzeugend herausgeshoutete deutsche Texte („Behalt die Stellung, kühl“) bewegen, begeistern und make your booty shake.

Ach ja, was hat Pascal Fuhlbrügge noch gemacht, außer bei Kolossale Jugend Gitarre zu spielen? Mitbegründer des Labels L'Age d'Or, das er 1994 verließ, ab da hauptsächlich elektronische Musik mit Sand11; produzierte Doc Schoko, Parole Trixi, Hans Platzgumer, Schwabinggrad Ballett und School of Zuversicht. 2006 erscheint das Soloalbum „CD 1“, außerdem ist Fuhbrügge DJ und komponiert Theatermusik. Und zum Glück hatte er noch Zeit, um „Enthusiasm“ rauszubringen. Hier ein Interview:

◊ ◊ ◊

"Enthusiasm": was weckt deinen Enthusiasmus? Und ist das für dich ein positiver Begriff?

Pascal Fuhlbrügge: Das ist für mich ein sehr positiver Begriff, dem gleichzeitig eine gewisse Gefahr innewohnt. Es ist eine Art Kraft, die man wecken kann wie einen Geist. Deswegen mag ich auch das Wort "begeistern" sehr gern. Das ist für mich die atheistische Variante der Urbedeutung des Begriffes. Ich zitiere mal Wikipedia:

„Seiner Herkunft nach bezeichnete der Begriff (Enthusiasmus) ursprünglich die Inspiration durch eine göttliche Eingebung oder durch den Einfluss oder die Gegenwart eines Gottes ..., ursprünglich „Besessenheit durch Gott“ oder eines Abstraktums...“

Wenn du dich entscheiden müsstest: Gitarre oder Laptop?

PF: Sehr schwierig. Bei diesem Album hatte ich das Gefühl, dass das eine vor allem mit dem anderen Spass bringt.

Live oder Studio?

PF: Ähnliche Frage, ähnliche Antwort. Ich habe ja vor ein paar Jahren über einen längeren Zeitraum nur im Studio gearbeitet. Obwohl die Musik, die ich veröffentlicht habe, teilweise gar nicht so unerfolgreich war, wurde mir das zu abstrakt. Irgendwann hat mich ein grosses Verlangen gepackt, die Reaktion der Leute auf meine Musik mitzubekommen. Dazu braucht es ja nicht unbedingt das klassische Livekonzert. Dieses reflexartige Touren zu einem Album finde ich eher langweilig. Es kann auch Auflegen, eine Performance oder die Beschallung einer Kunstinstallation sein.

An welchem Track auf „Enthusiasm“ hast du dir die Zähne ausgebissen?

PF: „Bigger than this Town“. Das hat sieben Jahre gedauert und ich weiss bis jetzt nicht warum. Der sollte eigentlich schon auf meinem vorigen Album sein und ich habs nicht hinbekommen. Dagegen hat „Draussen lang“, was unter meinen Freunden sowas wie der heimliche Hit des Albums ist, nur dreieinhalb Stunden gedauert. Die Dauer der Produktion hat bei mir also erstmal nicht so viel mit Qualität zu tun.

Wie arbeitest du - bastelst du lange an Melodien/Sounds/Texten herum oder geht das eher schnell?

PF: Ich versuche einen Zustand herbeizuführen, in dem es läuft. Das kann teilweise sehr lange dauern. Siehe auch die vorige Antwort.

Auf deinen Album sind viele Gäste (wie z.B. auch auf DJ Patex'/School of Zuversichts aktueller Platte) - kommt das zwangsläufig, weil Hamburg (oder eigentlich auch Deutschland) so klein ist und man sich als geistesverwandte MusikerInnen sowieso irgendwann kennenlernt? Fluch und Segen enger Netzwerke:

PF: Meiner Meinung nach gibt es immer die Möglichkeit, die Karten neu zu mischen. Enges Netzwerk hin oder her. Die Strukturen sind meistens gar nicht so in Stein gemeißelt, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Das wichtigste ist eigentlich, dass man bereit ist, auch etwas aufzugeben - sonst gibts nichts neues.
Es ist lustig, dass du die beiden Alben vergleichst. Ich bin ja bei School of Zuversicht auch an ein paar Stücken beteiligt, kenne also beide Platten recht gut. Dabei finde ich, dass Patex einen genau entgegengesetzten Ansatz hat. Sie sucht die Kollaboration, das gemeinsame Produzieren eines Tracks von Beginn an. Nicht umsonst benutzt sie ja nicht ihren eigenen Namen für dieses Projekt. Mir ging es diesmal jedoch um etwas Persönlicheres, Konzentrierteres. Ich habe deshalb Stücke geschrieben, die erstmal eindeutig von mir kamen und dann die Gäste gebeten, eine Art musikalischen Kommentar dazu abzugeben. Vielleicht ergibt sich daraus ja ein neues Netzwerk.
Eine Ausnahme sind die vier Stücke mit Thomas Mahmoud. Ich wollte eine Stimme des Albums haben. Jemand der mich spiegelt. Normalerweise ist das ja ein Produzent. Da ich selber produziere, habe ich mir jemanden in einer anderern Funktion gesucht, dessen Arbeit ich sehr mag. Das lief dann so gut, dass zuletzt mit Behalt die Stellung, kühl ein völlig neues Stück entstanden ist, was für mich das gesamte Album nochmal kommentiert.
Die anderen weitergehenden Zusammenarbeiten sind ausserhalb des Musikalischen: Ich genieße es sehr, Künstler fragen zu können, ob sie das Cover und das Booklet gestalten wollen. Das war bei diesem Album Katrin Bahrs. Dazu hat Timo Schierhorn Videomaterial zum Album erstellt. Das ist für mich purer Luxus: Wenn Leute, deren Sachen ich sonst in Ausstellungen bewundere, auf meine Musik reagieren.

Pascal Fuhlbrügge

Und wer fehlt noch? Wen hättest du gern auf der nächsten Platte dabei (auch verstorbene Gäste erlaubt)?

PF: Ach - ich weiss nicht. Das muss sich ergeben. Ich sammle ja keine Gäste. Würde Marvin Gaye mit mir eine bessere Platte machen als ohne mich?

"Enthusiasm" kommt zeitgleich mit Kristof Schreufs "Bourgeois with Guitar" raus - ulkiger Zufall?

PF: Das ist wirklich kurios. Er hat in zwanzig Jahren genau ein Soloalbum gemacht und ich zwei und dann kommen die innerhalb einer Woche raus. Ich habe versucht, einen Zusammenhang zwischen unseren Alben zu finden, habe aber aufgegeben, weil die Sachen musikalisch so sehr weit auseinander liegen. Das einzige, worauf ich gekommen bin ist, dass wir beide gelegentlich einen Hang zur Akustikgitarre haben. Ich freue mich aber sehr über seine Platte.

Bekommst du Hautausschlag beim Begriff "Hamburger Schule" oder hat er (auch heute noch) seine Berechtigung?

PF: Früher habe ich Ausschlag bekommen, weil das für mich eine Einengung einer sich noch entwickelnden Sache bedeutete. Heute benutze ich ihn selbst, weil man damit einen bestimmten musikalischen Stil recht gut bezeichnen kann. Wobei ich sagen muss, dass ich mir das Ganze immer musikalisch viel offener vorgestellt hatte. Deswegen musste ich mich wohl irgendwann recht radikal davon entfernen. Mittlerweile kann ich Teile davon wieder aufgreifen, wenn mir danach ist. Das ist ja schließlich Teil meiner Geschichte.

Du warst Teil von Kolossale Jugend und des Labels L'Age D'Or - macht dich das stolz/froh/glücklich/traurig/wehmütig?

PF: Auf die Kolossale Jugend bin ich größtenteils stolz. Bei L`Age d`Or ist das manchmal auch mit Wehmut vermischt. Ich habe das Label ja damals unter anderem verlassen, weil die anderen meine musikalischen Vorstellungen nicht teilten. Ab und an kommt dann doch mal ein Gedanke im Sinne von "was wäre gewesen, wenn". Es ist aber nicht so, dass ich deswegen nachts nicht schlafen kann.

Du machst viele unterschiedliche Dinge (Sand11, Soloplatten, Theatermusik) - was würdest du noch gern tun?

PF: Sehr sehr viel.

Du kommst aus Uetersen: macht einen das besonders bodenständig oder will man eher hinaus in die Welt?

PF: Ich glaube, man kann getrost sagen, dass Uetersen nicht der glamouröseste Ort auf Erden ist. Ich bin in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen und in Elmshorn zur Schule gegangen. Ich mag einiges daran, aber bis heute ist der Konflikt mit dieser Vorstadtwelt auch ein Motiv, das immer mal wieder hochkommt. Ich hatte als Kind auch noch andere Erfahrungen, weil mein Vater längere Zeit in London und später in New York gewohnt hat. Es war teilweise gar nicht so einfach, das zusammenzubringen.

Letzte Frage: was bedeutet dein Nachname? Haben deine Vorfahren spezielle Brücken gebaut?

PF: Fast. Der namensgebende Teil der Familie bestand aus holländischen Deichbauern. Soweit ich weiss ist der zweite Teil des Namens eine Verkürzung des beliebten "van der Brügge".