Gisbert zu Knyphausen: Hurra! Hurra! So nicht
Liedermacherei ist ein Genre, das seit einiger Zeit wieder salonfähig ist. Nicht mehr das verstaubte, oberlehrerhaft-zeigefinger-hebende Image der 70er und 80er Jahre prägt heute diese Musik, auch die Indie-Jünger hören sowas mittlerweile. Die modernen Liedermacher erzählen Geschichten, die 20- bis 40-jährige bewegen, und treten in Clubs auf, wo sonst Frittenbude und Egotronic spielen. Einer der aktuell angesagten Protagonisten dieser Zunft ist Gisbert zu Knyphausen, der nach seinem Debut von 2008 nun sein zweites Album vorlegt.
Seine erste Platte hatte ich auch irgendwann mal bekommen, sie war aber bei mir nicht so richtig gelandet, obwohl ich gegenüber dieser Art von Musik, als schon immer großer Tom Liwa- und seit der letzten Platte auch Nils Frevert-Anhänger, sehr aufgeschlossen bin. Umso größer war die Überraschung: Vom neuen Album „Hurra! Hurra! So nicht.“ von Gisbert zu Knyphausen bin ich sehr angetan, um nicht zu sagen begeistert. Schöne Lieder, toll arrangiert und von Tobias Levin mustergültig in Szene gesetzt, mit Texten, die tatsächlich Bilder im Kopf freisetzen. Herr zu Knyphausen ist ein moderner Geschichtenerzähler. Erstes Highlight ist das großartige Lied „Seltsames Licht“, einer Geschichte um Glück und Verlust, aber mit Hoffnung, die vom „buckligen Winter“ gebracht wird. Die ambivalente Stimmung des Textes wird durch die Musik eindrucksvoll untermauert. Auf dem gleichen Qualitätslevel auch Lied Nummer drei der Platte: „Grau, grau, grau“. Schiffe, Sehnsucht, einen neuen Weg finden, ohne zu wissen wie, ist hier das Thema, doch zumindest die Erkenntnis bleibt: „Wir brauchen einen neuen Anfang“, so der mit fulminantem Rock unterlegte Ruf nach dem Licht. Etwas gediegener dann der Gitarren-Schrammler „Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten“, den gibt’s tatsächlich, sagt das Internet, und das verträumte „Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen“. Flüsse und die See tauchen sehr häufig auf in den Liedern, so auch bei einem weiteren Höhepunkt: „Kräne“, „die gewaltigen Tiere mit metallenen Krallen und Neonlichtaugen“ bieten Trost an einem kühlen Abend unten am Fluss. Man sitzt quasi neben Gisbert zu Knyphausen, mit einer Flasche Wein aus dem Rheingau, schaut hinaus aufs Wasser und sucht Hoffnung am Hafen. Bluesähnliches bei „Morsches Holz“ und „Nichts als Gespenster“, ein Tete-à-tete mit der „Melancholie“ und ein weiteres Abschiedslied „Dreh dich nicht um“ sind andere, den Zuhörer unmittelbar mitnehmende Geschichten. „Nimm die Erinnerung mit wenn du gehst, sonst bleibt sie stumm“. Lediglich das Titelstück und der Opener „Hey“ fallen für meinen Geschmack etwas ab.
Gisbert zu Knyphausen gelingt mit seiner neuen Platte der Spagat zwischen Traurigkeit und Positivismus ganz hervorragend. Man ist gerne mit ihm traurig, aber doch voller Optimismus. In diesem Kopf ist hoffentlich noch genug Platz für mehr von dieser ansprechenden Musik. „Die Welt ist grässlich und wunderschön“ in der Musik von Gisbert zu Knyphausen - tolle zweite Platte.
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Hans Unstern: Kratz dich raus
Geräusche, keine Ahnung wie erzeugt. Dann ein holpriger Schlagzeugbeat, ein Pianothema, eine Gitarre hackt im Hintergrund, das Schlagzeug variiert. „Mein Leben hangelt sich an Autobahnen entlang, Automobile hasse ich mehr als alles. Werd mir einen Zebrastreifen malen“ Was ist das denn? Ein hypnotischer Sog entfaltet sich. „Ein Ellbogen wäscht den anderen“. Dann die melodiöse Auflösung der aufgebauten Spannung: „Urlaub unter Laub.“ Das ist das Eröffnungslied „Anglet“ von der Platte „Kratz dich raus“ von Hans Unstern. Wow, toller Song – schräg und sehr eigenständig.
Hans Unstern? Kommt der aus Baden? Die Sprachmelodie in diesem Lied klingt manchmal wie Christian Wörns oder noch schlimmer, wie Olli Kahn. Aktuell lebt er in Berlin und ist ein Spezi von Ja, Panik. Es gibt eine Split-Single und Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl schreibt auf der Internetseite von Hans Unstern.
Richtig melodiös geht’s dann weiter „Oh Mathilde, ich hätte gerne mit dir getanzt, zum Klick und Klack eines Kaugummiautomaten“ oder „...zum Beispiel im Supermarkt vor dem Salat“. Das Refrainthema ist an Jens Friebes/Magnetic Fields' „Nothing matters when we’re dancing“ angelehnt. Egal, trotzdem sehr schön. Nach einem Instrumental geht es ähnlich hypnotisch weiter. „Wann lernt mein Warten, dass es ohne mich keinen Weg gehen kann?“ „Paris“ ist der Hit der Platte, dazu gibt’s ein schönes Video im Netz. „Punkt Punkt Komma Strich fertig.“ Und noch ein Volltreffer auf Position vier: „Flecken“, etwas kräftiger instrumentiert. Am Ende zunächst Disco, dann Free Jazz – der kaputte Mann mixt die Genres kräftig. Dann kommt eine Hans Albers-Mundharmonika im Intro von „Tief unter der Elbe“, aus Hans Albers wird Neil Young, auch das passt. „San Simon“ und schließlich „Ein Coversong“ heißen die beiden letzten Lieder der Platte. Cpt. Kirk & und ihr Robert Wyatt Album „Extended Versions“ oder auch Kante besitzen hierzu Verwandtschaftsgrade.
Hans Unstern ist eher Chansonnier als Liedermacher und seine acht Werke sind beileibe keine leichte Kost. Aber die Beschäftigung damit lohnt sich vollauf. Spannende Arrangements, vielfältig, ungewöhnlich, ungerade, aber trotzdem an vielen Stellen eingängig, mit geistreichen Texten, die auch ohne Musik Substanz haben, prägen die Platte. Musikliebhaber, die moderne Musik mit Botschaft finden wollen, liegen bei Hans Unstern richtig. Oliver Ding schreibt bei plattentests.de: „Nichts für Aufmerksamkeitsdefiziteure“. Diese tolle Wort möchte ich gerne aufgreifen, zitieren, unterstreichen und in meinen Wortschatz übernehmen.
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Carsten Klatte: Carsten Klatte
(Avasonic/Rough Trade)
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Carsten Klatte
Eher durch Zufall fällt mir diese Platte von einem Berliner Künstler in die Hände, der als Musiker in der Dark Wave- und Gothic-Szene bei Goethes Erben, Wolfsheim oder Jens Heppner tätig ist und nunmehr ein Soloalbum unter eigenem Namen am Start hat. Die genannten Musikrichtungen sind beileibe nicht unbedingt meine Hauptspielwiesen, umso überraschter bin ich von der vorliegenden Platte. Stilistisch schwer in eine Schublade zu packen: Schön arrangierter Singer-Songwriter-Pop würde ich im weitesten Sinne als Einordnung wählen.
Zu hören sind dreizehn mehr oder weniger gefällige Lieder, denen in jedem Fall Substanz zuzuerkennen ist. Der sonore Gesang von Carsten Klatte bewegt sich für meinen Geschmack irgendwo zwischen dem großartigen, leider kürzlich verstorbenen Vic Chesnutt und Lambchop’s Kurt Wagner.
Der Opener ist ein Treffer: „Put simply“, ein eingängiger Popaong mit einer gewissen Leichtigkeit und hymnischem Unterton, ähnlich danach „Happy few“. Mein Favorit ist das treibende „Rip all ties“, welches das Tempo anzieht und mich irgendwie an „Camouflage“ von Stan Ridgway erinnert. Etwas düsterer, schleppender im positiven Sinne und gemächlicher geht es dann im mittleren Teil der Platte weiter. Hier erinnert mich insbesondere die Art des Gesangs an Vic Chesnutt. Dass Carsten Klatte auch ein guter Gitarrenspieler ist zeigt er auf „Trouble Shooting“. Hinten raus fehlt das Überraschungsmoment etwas. Das „Cave-like“ klingende „Rise and fall“ sticht hier nochmal raus. Es zeigt sich mal wieder, dass Zehn-Songs-Platten manchmal die bessere Alternative sind. Die hat Carsten Klatte aber allemal zu bieten. Auf seinem Album wird das Rad nicht neu erfunden, aber er bietet gutes Songmaterial auf einer Platte, die man gerne hört.
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