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24. Mai 2010
Robert Mießner
für satt.org

  Johnny Dowd (Foto: Kat Dalton)
Foto: Kat Dalton


Sag den Dämonen Guten Tag

Über dem Zigarettenautomat im King Kong Klub, äußerste Grenze von Berlin-Mitte, hängt ein Bücherautomat und verspricht »Grande Litterature«. Das kann kein Zufall sein. Johnny Dowd, »gekommen, uns für die Sünden Eminems zu strafen«, wie der Londoner Guardian vermutet, wäre als Dichter der englische Mystiker William Blake. So sagt er es selber auf »Wake Up The Snakes«, seiner neuen Platte, die er momentan in Europa vorstellt. Dowd, einer, der mit archaischem und verdrehtem Countryblues (»Wrong Side Of Memphis«, 1997 und »Pictures From Life’s Other Side«, 1999) anfing und dann filmisch-finster wurde (»Temporary Shelter«, 2000), kriegte nach »The Pawnbroker’s Wife« (2002) sukzessive so etwas wie einen Groove-Koller. »Cemetery Shoes« (2004) markierte noch mal eine kurze Unterbrechung, aber seit »Cruel Words« (2006) verpasst Dowd seinen Geschichten von der Nachtseite Amerikas ein Funk und Prog-Gewand. Die Dämonen, die da beschworen und ausgetrieben werden, wirken dadurch noch greller. Jetzt ist Dowd beim Soul angelangt: »Wake Up The Snakes« (auch mal wieder hören: »Release The Bats«, The Birthday Party 1981) ist musikalisch gesehen seine vielleicht zugänglichste Platte. Farfisaorgel und Percussion bilden das Fundament der dreizehn Songs. Die stehen für sich und könnten Singles sein. Zur Erinnerung: »A Drunkard’s Masterpiece« (2008), der Vorgänger und in der Tat ein Meisterwerk, war eine groteske Minioper in drei Akten. Geblieben sind Dowds Themen: Die drohende und lockende Dunkelheit, die Stimmen im Kopf, die den Rand nicht halten wollen und das Band, das Narren an Huren kettet. »Religion, Women’s Underwear and Food«, fasst er zusammen. Dowd, verheiratet und Umzugsunternehmer aus Ithaca, New York, seziert nicht nur den amerikanischen Traum. Er macht aus dem Satz, wonach wir alle Amerikaner sind, eine nicht immer beruhigende Gewissheit.

  Johnny Dowd: Wake Up the Snakes

Zwei Abende lang, am 14. und 15. Mai, war das nun in Berlin zu hören. In Dowds exzellenter Band hat sich einiges getan: Drummer und Basspedalist Willie B ist zur Baritongitarre gewechselt, Sängerin Kim Sherwood-Caso spielt zusätzlich Gitarre. Matt Saccuccimorano, schon auf »Pictures From Life’s Other Side« zu hören, ist jetzt der feste Drummer. Michael Stark spielt nach wie vor Keyboard. Genau die Besetzung absolvierte den ersten Berliner Abend. Und man bemerkt: Die Johnny Dowd Band ist eine Hemdenband. Kim Sherwood-Caso trägt einen Hosenanzug. Die Rockdramaturgie gehen sie unorthodox an. Sie beginnen mit zwei langsamen Stücken. »Lies« vom neuen Album und ein unveröffentlichter Track, der klingt, als würde Snakefinger mit den Residents schmachtenden Soul spielen. Dann meint Dowd, er müsse das Geschehen noch mal gründlich verlangsamen. »Time«, auf »Wake Up The Snakes« fünf unheimlich-dräuende Minuten, ist der dritte Song. Die Dunkelheit bleibt, doch wird sie zu Dallerei. Stark spielt auf dem Keyboard das Intro zu »Strangers In The Night«. Es leitet zu »Just Like A Dog« von Dowds Debüt über. Auf »Organ Grinder« folgt ein Track von Willie Bs und Michael Starks Sideproject Tzar: Man kann das getrost Mutant Disco nennen. Zwischendurch werden der Band Getränke gereicht. Die Whiskys sind keine doppelten, sondern tendenziell dreifache. Dowd fragt das Publikum, ob wer ganz besonders der Aufmunterung bedarf. Dass sich nur wenige trauen, die Hand zu heben, quittiert er mit: »Ihr seid Aliens.« Später fallen noch der Mikrofonständer und das Pult mit den Texten ins Auditorium. Ohne böse Absicht: Dowd gibt seinen Hörern zum Schluss einzeln die Hand.

Der zweite Abend wird dann noch um einiges abenteuerlicher. Als Gäste gesellen sich André Vida (Anthony Braxton, Jamie Lidell, Kevin Blechdom) und Taylor Savvy (Peaches, Iggy Pop, Gina D'Orio) zur Band. Die Bühne im King Kong Club war schon den Abend zuvor zu klein. Willie B spielt also halb im Durchgang, neben ihm Savvy an der Gitarre. Vida wiederum nimmt rechts neben dem Mischpult Platz, von wo er an Saxofon und Flöte interveniert. Dowd ist großer Fan von Thelonious Monk wie Sun Ra. Und die beiden Pioniere des freieren und wilderen Jazz klingen deutlich durch an diesem Sonntag. An einer Stelle geht Saccuccimorano dazu über, seine Snaredrum rückseitig, also auf dem Resonanzfell, mit Besen und Fingern zu bespielen. Dowd hatte die Band vorher gebeten, mehr Ambient und weniger Rhythmus zu produzieren. Genau das wird »Hell Or High Water«. An beiden Abenden gibt es Coverversionen: Die Soulballade »I’d Rather Go Blind« und »Soldier Boy« von den Shirelles. Dowd hat als GI in West-Berlin gedient und übrigens Rudolf Heß bewacht. Die meisten der Gis seien auf afghanischem Haschich gewesen, wie er vor Jahren bemerkte. Er hat also einiges gesehen und eine Menge zu erzählen. »Yolanda« oder »Hello Happiness«, beide auch auf »Wake Up The Snakes«, wurden sicher nicht aus dem Nichts geschrieben. So grandios-verquer der zweite Abend auch ist: Diesmal bleibt das Mikrofon samt Ständer auf der Bühne. Das Textpult segelt auch nicht in Richtung Tresen, obwohl von dort wieder die gut gefüllten Gläser kommen. Den persönlichen Händedruck, den lässt sich Dowd aber nicht nehmen. Zum Schluss ist es zwar noch nicht fünf vor Mitternacht, sondern nur kurz vor halb. Aber irgendwas ist mit der Brunnenstraße und dem ehemaligen Mode-Institut der DDR gegenüber passiert. Man geht also über die Kreuzung, die immer noch den Eindruck macht, als ende hier eine Welt, und weiß: Die Dämonen, die sind da. Man kann sie aber zum Tanzen bringen. Genau das ist auch noch passiert.


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