“Angst als Antrieb. Adrenalin!
Angst als Antrieb. Mehr Disziplin!
Angst als Antrieb. Arge Termin!
Angst als Antrieb. Gibt mir Energien!”
(“Angst als Antrieb”)
Deutschland hat eine neue Supergroup: Bernadette La Hengst, Knarf Rellöm und GUZ sind DIE ZUKUNFT! Im Gegensatz zu all den namenlosen Casting-Kaspern haben unsere drei allerdings wirklich was zu bieten und zwar nicht nur eine beeindruckende Pop-Vergangenheit. Ursprünglich nur für einen Auftritt beim Ritchie-Records-Festival gegründet, waren sich Bernadette, Knarf und Guz schnell einig, dass die ZUKUNFT eine Zukunft haben soll.
Das Album “Sisters & Brothers” mixt die typischen Stilmerkmale der ProtagonistInnen, Martin Büsser beschreibt es im Presseinfo so: “Da ist der einzigartige Dance-Pop von Bernadette La Hengst, der Soul-Punk von Knarf Rellöm und der unverkennbare Valium-Rock'n'Roll von Aeronauten-Sänger Guz.” Tatsächlich könnte man sich eine deutschsprachige Band-Kombi nicht knackiger und kühner wünschen; politisches Bewusstsein tanzt mit Hedonismus auf dem Tisch, und Links-sein bedeutet bei der ZUKUNFT nicht, zum Lachen in den Keller zu gehen:
“Mittelstandsproblemcamp” bringt die Verhältnisse ironisch auf den Punkt (“Wir essen Bioprodukte, entspannen bei Ökowein, tanken Biosprit, ernähren uns bewusst...”), “Mein Baby ist immer glücklich mit mir” dagegen ist ein sehr poetisches, ganz ernst gemeintes Liebeslied; und “Die Zukunft als Party”, “Ich kann den Hit hören” und der Titeltrack grooven wie die Hölle, nein, wie DIE ZUKUNFT!
Zweimal Ostwestfalen, einmal Schweiz: hat Guz es schwer mit Euch beiden oder umgekehrt?
Bernadette: Stimmt nicht. Ich bin die einzige aus Ostwestfalen, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als kämen Knarf und ich aus einem Kaff, kommt er doch aus einem anderen, noch kleineren Dorf am Ende der Welt: aus Burg in Dithmarschen. Wir haben uns 1989 auf einer Party der “Postel Schwestern” in einem anderen Dithmarscher Dorf Süderhastedt kennengelernt, und gleich gewusst, wir werden noch lange miteinander zu tun haben. Ich hab mal ne Kurzgeschichte geschrieben, die heißt “Der NordOstWestfalenkanal”, und da versuche ich eine Verbindung herzustellen zwischen der verlorenen Landjugend beider Gegenden.
Guz kommt ja auch aus einem kleinen Dorf in der Schweiz, und wohnt immer noch in einem: Schaffhausen ist eine Illusion, und für uns alte Aeronauten-Fans ein ewiges Mysterium, weil er es so oft in Liedern thematisiert hat...
Guz: immer diese Geografie-Geschichten! Der Unterschied zwischen Dithmarschen, Ostwestfalen und Schaffhausen ist, dass die Salatsossen hier besser sind. Ansonsten wir sind verwandt in dem was wir tun und vor allem wie wir es tun. Unabhängig voneinander haben wir ähnliche Interessen entwickelt. Später haben wir uns gefunden und erkannt. Unsere Dörfer sind nur eine Anekdotentüte, die wir mit uns herumtragen.
Bernadette und Knarf haben bei Huah! zusammen gespielt - wie ist es, wieder eine gemeinsame Band zu haben, wieder zusammen auf Tour und im Studio zu sein?
B: Na ja, wir haben ja nie nicht zusammen Musik gemacht, könnte man sagen. Wir haben gegenseitig auf fast allen Soloalben einen Gastauftritt, haben immer wieder jeweils beim anderen live mitgespielt, und ich erinner' mich auch gern an die Anfangszeiten der Mobylettes, wo Knarf als Sue Sunshine seine schönen Beine zeigen und Gitarre spielen durfte. Aber es ist schon besonders, wieder mit ihm eine richtige Band zu machen. Wir streiten weniger über nicht gestimmte Instrumente, mittlerweile haben wir ein Stimmgerät... Außerdem wissen wir genau über die Stärken des anderen und lassen uns viel Platz, das Vertrauen siegt über das Misstrauen.
DIE ZUKUNFT wurde ursprünglich für ein Ritchie Records-Festival
gegründet - wird es nur dieses eine Album geben oder macht Ihr weiter?
B: Wir haben schon die nächste Doppel-LP im Kopf, und wir haben ja noch Zeit, mindestens die Zukunft...
G: Ich schlage vor, dass wir einen 8GB iPod herausbringen.
Knarf ist mit Knarf Rellöm Trinity und Shi Sha Shellöm seit Langem
Trio-erfahren: was ist das Tolle an einem Trio? Ist es das archaische Band-Format?
B: Ja, alles über drei Leute erhöht die Gefahr von Hierarchien, bei einem Trio ist alles schön übersichtlich, was nicht heißen soll, dass ich die Möglichkeiten eines 10-köpfigen Bandkollektives ausschliessen will...
G: in einem Trio ist man zum Sparen gezwungen. Man muss kreativ sein, um die Sachen hörbar zu machen, für die eigentlich niemand eine Hand frei hat. Interessant.
Eure Lieblings-Trios der Popgeschichte:
B: Trio, The Jam, Le Tigre, Gossip, Supremes, Guz
Knarf: Hüsker Dü, Wipers und Stray Cats und jetzt noch Die Ärzte, die ich wirklich gut finde und die KINGS OF DUB, die die Platte des Jahres 2008 gemacht haben.
G: Stimmt nicht! Platte des Jahres 2008 war MARTINA TOPLEY BIRD "the blue god". Ansonsten sind meine Top Trios: der Böse Bub Eugen, Young Marble Giants, This Heat, Abgas, Elvis/Bill Black/Scotty Moore
Ist es schwierig, Eure Vorstellungen unter einen Hut zu bringen oder könnt Ihr als Trio genau das machen, was Ihr schon immer machen wolltet (und was vielleicht früher nicht ging)?
B: Ich finde es toll, unfertige Lieder zu etwas anderem werden zu lassen, da ich beide so sehr schätze, lasse ich mich gerne überraschen. Bei meinen Soloplatten lasse ich mir selten etwas aus der Hand nehmen, sondern bin die alleinige Chefin. Diese Verantwortung mal wieder abzugeben, ist sehr entspannend und inspirierend. Es ist wie in einer guten Beziehung. Wir haben alle drei genaue Vorstellungen von dem, was ein gutes Lied ausmacht, aber wir sind eher undogmatisch und spielfreudig. Es gab bei uns nie den Moment, dass eine/r sein Instrument zu laut haben wollte, wie das oft bei bei anderen Bands der Fall ist. Wir können abstrakt für die Musik denken, das spart viele typische Proberaum-Diskussionen und führt schneller zum Ergebnis.
G: Wir können alles, dürfen alles und müssen nichts. Dieses Trio gefällt mir an unserem Trio. Warum ist Dir diese Trio-Geschichte eigentlich so wichtig? Die Beatles hat bestimmt niemand gefragt, warum sie zu viert sind.
(Anm cm: Scheint eine Fixierung von mir zu sein: Duos frage ich auch immer danach, warum sie zu zweit sind. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in meiner Kindheit)
Seid Ihr Euch bei den Lyrics immer einig?
B: Es gab auch Diskussionen und verschiedene Textversuche für ein paar Lieder, und die waren auch wichtig. Aber wir hatten viel Zeit zwischen den Aufnahme-Sessions, so dass die Texte reifen konnten. Z.B. “Mittelstandsproblemcamp” war am Anfang ein Text aus dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, aber ich hab' denselben Text für ein anderes Lied benutzt, wo es viel besser passte, und dann kam ein halbes Jahr später plötzlich dieser treffsichere Text “Mittelstandsproblemcamp” von Knarf, und ich finde, es hat sich gelohnt zu warten.
Bei “Oh wrong” war es ähnlich, wir mussten das Stück erst ein paar Mal live spielen, um zu merken, welche Art von Lügengeschichten es braucht. Die einzelnen Strophen hat dann jede/r zu Hause aufgenommen, bei mir ist es die Geschichte der glamourösen türkischen transsexuellen Schlagersängerin Bülent Ersoy, deren Biografie ich einfach über Knarf rübergestülpt habe.
G: Jeden von Bernadettes oder Knarfs Texten würde ich anders machen, genau so wie sie auch meine Texte anders schreiben würden. Manchmal brauch ich lange bis ich ihre Texte verstehe, doch dann lasse ich mich gern überraschen.
"Die Zukunft" ist der perfekte Pop-Name - warum gab es
noch nie eine Band, die so hieß (jedenfalls fällt mir keine ein)?
B: Keine Ahnung, vielleicht lag es immer zu nahe? Wir hatten nach langem Überlegen die Wahl zwischen “Die alten Häuser” und “Die Zukunft” und haben dann gedacht, zweiteres klingt wohl vielversprechender...
Knarf: Es gibt in Detroit einen Technotypen, der sich PHUTURE nennt.
G: da musst du wohl all die andern fragen, die sich nicht "die Zukunft" genannt haben.
"Sisters & Brothers" ist neben der souligen Anmutung ein ähnlich
allgemeingültiger Titel wie DIE ZUKUNFT: ist die Band sowas wie die Essenz Eurer bisherigen Arbeit?
B: Die Titel sind vielleicht allgemein, die Texte dazu nicht. “Sisters & Brothers” sollte ein modernes Arbeiterlied mit allen verborgenen Widersprüchen sein, Und die “Zukunft als Party” versucht ja, die Zukunft zu beschreiben, wenn auch ziemlich absurd und archaisch. Ich glaube, was essenziell ist für uns an dem Album, ist die Sehnsucht nach Einfachheit, vielleicht sogar am besten auf den Punkt gebracht bei dem wundervollen “Drogen nehmen und rumfahren” von Guz, der das Lied im Zug auf dem Weg ins Studio geschrieben hat, um bei der letzten Aufnahmesession was auf Tasche zu haben...
G: Ja. Durch die kurze Zeit die wir miteinander verbringen können, gibt es keine Gelegenheit, sich einzeln neu zu erfinden. Wir schmeissen alles, was wir sind in einen Eimer, rühren um und sehen, was dabei rauskommt. Wir erfinden wir uns zu dritt.
"Ich kann den Hit hören": Kann ich da die B-52's hören?
B: Dazu fällt mir ein, daß in unserem ersten Huah!-Info stand, wir seien die weißen B-52's. Das klingt wohl immer noch durch...
G: Die weißen B-52's? Ihr wart ja immer schon ganz schön oberschlau...
Warum habt Ihr den Die Braut haut ins Auge-Hit "Mein Bett stinkt" neu aufgenommen?
B: Guz hat mir irgendwann gestanden, daß er immer dachte, es sei ein Lied über ihn. Da mussten wir es einfach als Duett aufnehmen. 1991 war es die Avantgarde von heutigem Mainstream wie “Feuchtgebiete” von Charlotte Roche. Bei uns klingt es nach zärtlichem Einverständnis, und das ist die eigentliche Aussage des Liedes.
G: Verliebte Taugenichtse mit nichts ausser sich selbst. Leben im Moment mit einem kurzen Blick in den Abgrund. Grosse Romantik. Grosse Poplyrik.
I Say Party, You Say Die: hat Euch diese Band zu "Zukunft als
Party" inspiriert?
B: Das war eine schöne Text-Kooperation von Guz und mir. Mein Text hatte nur eine Strophe, dann kam Guz mit seinem Zitat auf deutsch, und schließlich habe ich beides zusammen geführt. Schöner gehts nimmer. Eigentlich eine Antwort auf “All tomorrows parties” von Velvet Underground.
"Angst als Antrieb"/Bettleroper: Wie sind die Publikumsreaktionen
auf diesen Song/die Bettleroper gewesen?
B: Der Text war von Erzählungen des Bettlerchores, den ich für die Bettleroper im Theater Freiburg gegründet habe, inspiriert (z.B. Biete Blutspende für Regiokarte). Das Stück wurde kurz nach Beginn der Wirtschaftskrise gezeigt, und die “Avantgarde Bettler” auf der Bühne waren die Experten für Armut, die dem Publikum zeigen sollten, was ihnen bevorsteht, um damit eine Verbindung herzustellen zwischen totaler Armut und “relativem Armutsrisiko”. Das Publikum war sehr berührt von dem Abend, es gab am Ende immer ein Essen auf der Bühne, bei dem viele Gespräche zwischen Hartz IV-Empfängern, Obdachlosen und normalen Theaterbesuchern möglich waren, die es sonst nicht gegeben hätte.