Schönheit mit Kanten
»Your Future Our Clutter« heißt das 28. Studioalbum von The Fall. Wir haben gehört und gezählt. In umgekehrter Reihenfolge.
Es sei ihm physisch unmöglich, ein Liebeslied zu schreiben, befand Mark E. Smith im November 1984 gegenüber Jonh Wilde in Jamming!, Tony Fletchers Londoner Punk Zine. Seine Liebe sei um einiges stärker sei als die, über die gesprochen werde, fügte Smith hinzu. Das Interview fand einen Monat statt, nachdem »The Wonderful And Frightening World Of The Fall« erschienen war. Eins ihrer vielen besten Alben: Es hat Rockabilly à la The Fall (»2 x 4«), Gastbeiträge von Virgin-Prunes-Mitbegründer Gavin Friday (»Copped It« und »Stephen Song«), Experimentelles (»Bug Day«) und anteilnehmende Psychedelic (»Disneys Dream Debased«). Die Platte in ihrer Originalfassung aufzutreiben, ist 25 Jahre später einigermaßen kompliziert. Es gibt eine CD, die auf der Kassettenversion aufbaut und mit jeder Menge Bonustracks von zeitnah erschienenen Singles angereichert ist. Die sind alle unverzichtbar, nur kommt letzten Endes ein völlig anderes Album heraus. Abhilfe ist in Sicht: Für »The Wonderful And Frightening World Of...« (und die nachfolgenden auf Beggars Banquet erschienenen Alben) sind Reissues geplant. Das Warten lässt sich abkürzen: The Fall haben in diesem Frühjahr »Your Future Our Clutter« veröffentlicht. Es ist eins ihrer vielen besten Alben, und dass diese Review erst jetzt erscheint, hat genau damit zu tun. »Elektrisch beheizt« steht auf dem Instrument von Fall-Keyboarderin und Smiths dritter Ehefrau Elena Poulou. Das gäbe auch ein gutes Motto für die Platte ab. Produziert haben Mark E. Smith, Ross Orton (M.I.A.), Simon Archer (PJ Harvey und vormals bei The Fall) und Tim Presley (Darker My Love und vormals bei The Fall).
Foto: Mark E. Smith und Elena Poulou, All Tomorrow’s Parties,
Butlins, Minehead, 16. Mai 2010. © Chris Power
»Your Future Our Clutter« beginnt mit motorischem Garagenrock: »O.F.Y.C. Showcase« klingt einfach und ist es bei genauem Hinhören doch nicht. »Bury Pts. 1+3« startet in Lo-Fi-Manier. Der Track baut auf insgesamt drei, hintereinander geschalteten Versionen auf. Dann »Mexico Wax Solvent«: Nach zwei fast schon hart rockenden Songs wird die Platte plötzlich und unvermittelt funky. Es gibt Soundeffekte en masse. »Cowboy George« ist eine verquere Countrynummer, die sich in der zweiten Hälfte in einen schillernden Ambienttrack verwandelt. Mit »Hot Cake« kehrt Rockabilly zurück. »Y.F.O.C. / Slippy Floor« ist 7 Minuten kurz: Ein stürmischer, abermals dreigeteilter Song. »Chino«, unruhiger Ruhepol des Albums, bezieht sich wie weite Stecken der Platte auf Mark E. Smiths zurückliegenden Krankenhausaufenthalt: Er hatte sich die Hüfte gebrochen und musste den großen Teil der Aufnahmen im Rollstuhl und auf Schmerzmitteln absolvieren. »Weather Report 2« ist gar eine Ballade, bleibt es aber nicht. In der zweiten Minute wird der Schönklang gebrochen und die CD von »Your Future Our Clutter« klingt mit entgrenzten, freien Sounds aus, für die man gute Boxen braucht. Wer keine hat, besorge sich welche extra für dieses Album. Es gibt Bonustracks zu »Your Future My Clutter«. 2010 finden die sich aber auf der Vinylversion, deren Titelfolge leicht von der CD abweicht. »986 Generator« ist mit knapp acht Minuten der längste Track des Albums und klingt nach hypnotischem Deltablues. »Get A Summer Song Goin’« ist genau das: Ein Lied für den Sommer. Und was ist mit der Liebe? »Funnel Of Love«, sowohl auf der CD wie auf dem Vinyl, kam 1961 als Single Wanda Jacksons heraus. Mark E. Smith und The Fall borgen sich den Song (geschrieben von Kent Westberry und Charlie McCoy), in dem es heißt: »I tried and I tried, to run and hide / I even tried to run away / Ya just can't run from the funnel of love / It's gonna get ya someday.« Was schließlich stimmt. Schön ist es obendrein.
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