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7. Juni 2010
Dominik Irtenkauf
für satt.org

  Wolves In The Throne Room: Black Cascade Wolves In The
Throne Room:
Black Cascade

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Wolves In The Throne Room

Fotos: Afton Larsen

Wolves In The Throne Room


Die Wölfe sind losgelassen:
Wolves In The Throne Room in Münster

Ist das Biest Black Metal doch zähmbar? Wie kann es sein, dass der Münsteraner Klub Gleis 22 am 30. Mai 2010 ein Konzert mit der US-amerikanischen Black Metal-Band Wolves In The Throne Room und der deutschen Kapelle Der Weg einer Freiheit veranstaltet? Üblicherweise machen Interpreten des Songwriter-Folks und Independent-Sounds in Münster Station. Okkervil River, Blood Shoes oder Kristofer Åström.

Den Hauptakt des heutigen Abends umschwebt ein Nimbus des „Ungewöhnlichen“, also: nicht auf Nummer Sicher gehen, sondern die Grenzen des metallischen Musizierens ausloten. Ihre Platte „Two Hunters“ von 2008 sahnt einen Listenplatz in den Top 10 der Spiegel-Musikredaktion ab, die Spex berichtet gern und ausführlich zu den Wölfen aus Washington von der Westküste. Es wird davon gesprochen, dass es nicht „nur“ Black Metal sei. Es sei – ja, was? Post Black Metal. Ein leises, kaum wahrnehmbares Stöhnen geht durch den Popinteressenten, schüttelt ihn innerlich. Versuchen wir diese Erschütterung im Laufe dieser Konzertrezension zu einem vernachlässigbaren Beben zu minimieren.

Der Großteil des Publikums am heutigen Abend besteht aus langhaarigen schwarzgekleideten meist großen Männern mit ausgeprägtem Bartwuchs. Ein Stereotyp erfüllt sich. Wolves In The Throne Room gelten zweifelsohne als Vertreter des Black Metals. Das meint auch Spiegel-Rezensent Jan Wigger. Das meint auch der hier schreibende Metal-Exilant. Das Logo ist für Laien unleserlich, auf der Bühne hängt ein schwarzes Backdrop hinter dem Drumkit – darauf ein heulender Wolf, weiß konturiert, inmitten von geborstenen Bäumen, ein Sturm fegte über den Staat Washington. Alle Mitglieder der Band leben in einer Kommune und engagieren sich ökologisch. Beziehen sich auf Henry David Thoreaus Walden und Walt Whitman. Das ist ein gutes Stichwort. Während der Rezensent mit seinem Bier allein auf den Beginn der Show mit dem Supportact wartet, schlägt er im Geiste Whitman nach. Da findet er ein Gedicht: „Urgefühle – wenn ihr über mich kommt – ah jetzt seid ihr da! / Gebt mir nichts als Freuden der Wollust, / Gebt mir den Trank meiner Leidenschaften, gebt mir Leben üppig und rauh, / Heute und heute nacht schließ ich Gemeinschaft mit den Lieblingen der Natur,“ (Walt Whitman: Urgefühle) Wie muß eine Band beschaffen sein, daß man nach dem Besuch eines ihrer Konzerte zu eben diesem Band mit Titel Grashalme, mit einem Vorwort von Gustav Landauer greift?

Der Weg einer Freiheit ebnet den Weg für die Hauptattraktion des Abends. Sie singen auf Deutsch und spielen meist im Hochgeschwindigkeitstempo. Bis auf einen Gitarristen trägt keiner der Musiker lange Haare, aber T-Shirts, die die Zugehörigkeit zur Metalszene belegen. Der Kopf des Sängers läuft manchmal rot an, wenn er besonders hoch kreischt. Im Gleis 22 ist es eine Kunst, ausreichend Bewegungsfreiheit zu finden, denn die Bühne ist außerordentlich klein. Manche der Mitglieder verhalten sich deswegen auch relativ still, bewegungstechnisch. Eine knappe dreiviertel Stunde spielen sie, dann wird ein wenig umgebaut und gewartet.

Seit den urwüchsigen Zuständen in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern veränderte sich manches im Black Metal. Auf der Toilette des Klubs entspannt sich ein Gespräch: „Wir sind ‚Postler‘. Vor so fünfzehn Jahren haben wir Black Metal gehört. Es ist schön, dass es jetzt eine Band gibt, die den Postrock da mit einbringt.“ Eine Premiere im Gleis 22. Der Klub ist bis nach hinten an die Bar gefüllt. Es bleibt kaum Platz zum Ausholen, wenn die schnellen Parts zum Haareschütteln animieren. Bevor es soweit kommen kann, ertönt lange Zeit ein stehender Ton. Die Leute werden ungeduldig, sie treten von einem Bein aufs andere, wiegen sich im Takt des bevorstehenden Klangs, der erwartet wird. Eine Auflösung dieses Ambient-Drones, der eigentlich zu nichts recht nütze ist. Wartezeit eben. Man bedenke die Musikgruppen der Mittneunziger aus Skandinavien, die Bombastintros, meist aus Omen oder vergleichbaren Horrorfilmen, zur Einläutung ihrer Konzerte benutzten. Es dauert, es zieht sich hin, dann explodiert das Schlagzeug und ein Trio schält sich aus der Dunkelheit.

Mit einer Wucht beginnen Wolves In The Throne Room. Es ist das Stück ‚Cleansing‘, denkt sich der Schreiber. Dass ein Gitarrist/ Sänger, ein Schlagzeuger und ein Bassist, der ab und zu im Hintergrund auch kreischt, solch einen Druck aufbauen können. Respekt! Im Publikum findet man Anhänger verschiedener Ausrichtungen. Die Klobekanntschaft, die sich zum Postrock respektive Post Metal, d.h. zu Klangteppichen und epischen Stücken, die viel auf Atmosphäre bauen, bekennt, wurde bereits erwähnt. Hardcore-Fans (also: des musikalischen Stils) wie auch Käppiträger werden im Publikum gesichtet. Es beeindruckt, so der Kanon aus den Gesprächen, die sich an das Konzert anschließen, die Wucht, das Gesamtkunstwerk, das die Wölfe mit ihrer Interpretation metallischer Instrumentierung gestalten. Nach „Two Hunters“ folgte das Album „Black Cascade“ – es erreichte wiederum das bundesdeutsche Feuilleton. Black Metal eignet sich inzwischen zur Analyse kultureller seismographischer Veränderungen. Godspeed You Black Emperor, Urväter des Postrocks, der Soundreisen in gitarrenbasierte Welten, schickten eine Einladung an Wolves In The Throne Room, sie sollten an einem britischen Festival teilnehmen. So erfuhr ich auf dem Klo. Godspeed You Black Emperor aus Kanada gibt es in dieser Formation nicht mehr. Die Band löste sich auf, doch die Musiker sind nach wie vor aktiv. Es kommt einem Ritterschlag der Postler gleich, von GYBE eingeladen zu werden.

Die Homepage des Gleis 22 tönt: „Diese Band ist anders.“ Anders als was? Die Vehemenz dieses metallischen Sub-Genres läßt sich kaum mehr toppen. Die Gitarren bewegen sich in hohen Frequenzen, das Schlagzeug knüppelt häufig in hohem Tempo, über allem thront keifender Gesang. Eine gewisse Gruppe in dieser Szene bekennt sich zu hoher Askese, ökologischer Lebensführung und spiritueller Fortentwicklung. Wolves In The Throne Room könnten zu diesem Zirkel gezählt werden. Kein Satan, keine obskure dunkle Materie, kein unnötiger Menschenhaß – Bekenntnis zu archaischer Komplexität. Das muß weiter ausgeführt werden. Obwohl Black Metal es schafft, dieses Bekenntnis ohne viele Worte auszudrücken. Wolves In The Throne Room sind Meister dieser Sprache.

Wolves In The Throne Room

Die Musik baut sich auf repetitiven Mustern auf. Riffs werden scheinbar endlos wiederholt – das ist ein starker gemeinsamer Aspekt mit dem Postrock – dadurch werden übliche Strophen-Refrain-Songstrukturen der Popmusik verlassen. Auch in einem Großteil der Metalwelt funktioniert Musik nach diesem Popideal. Black Metal und Grindcore waren zwei Sub-Genres des Heavy Metals, die sich relativ weit von dieser Konvention entfernt haben, bewußt entfernt haben. Im Black Metal schälte sich bereits zu Anfang der zweiten Generation ein Interesse am „Klang“ heraus. Norwegische Gruppen wie Immortal spielten Stücke, die in der Tat eine akustische Simulation von Schneestürmen beabsichtigten. Emperor, die als Pioniere des symphonischen Black Metals gelten, brachten 1995 mit „In The Nightside Eclipse“ ein Album heraus, das durch die Schichtung von Gitarrenläufen eine Wand erbaute, die starke Emotionen beim Hörer hervorruft. Nichtmetallisten werden natürlich gehörig abgeschreckt und durch die Charterfolge von symphonischen Gruppen wie Cradle Of Filth aus dem UK oder Dimmu Borgir aus Norwegen gütig gestimmt. Wolves In The Throne Room besitzen durch die Beteiligung einer Frauenstimme auf ihrem Album „Two Hunters“ Ansatzpunkte zu einem epischen Stück Black Metal, das Symphonie vor allem als keyboardinduzierte Schwelgerei in Gefühlen des Pathos versteht. Bevor sie Gefahr laufen, dieser Songdienlichkeit zu unterliegen, schieben sie das nächste Album „Black Cascade“ nach, das sich wieder mehr auf die archaische Komplexität konzentriert.

Archaisch deshalb, weil hier Urgefühle angesprochen werden, die – wie gesagt – schlecht beschrieben werden können oder eigentlich nicht sollten. Man muß das hören beziehungsweise bei einem Konzert erleben.

Komplexität wird hier als Begriff eingeführt, da Wolves In The Throne Room nicht – ganz einfach ausgedrückt – auf Ufftata-Rhythmen setzen, es nicht bei Blut, nacktem Fleisch und umgedrehten Kreuzen mit Pentagramm-Verzierung belassen, sondern ... eben Wölfe und geborstene Stämme, Wälder im Norden der US-Staaten, Natur oder eher: unkontrollierte Elementargewalten thematisieren.

Drei bärtige Männer auf der Bühne, der Schlagzeuger wirbelt nicht nur mit den Stöcken. Auch seine Haare fliegen wild umher. Es gibt auch schleppende, ruhige Passagen – dass wir uns nicht mißverstehen. Whitmans Gedicht Urgefühle war noch nicht ganz zu Ende: „Ich bin für die, die an lockere Freuden glauben, ich teile die Mitternachtsorgien junger Männer, / Ich tanze mit den Tänzern und trinke mit den Trinkern, / Das Echo schallt von unserm wüsten Geschrei, ich greife mir / einen niedrigen Menschen heraus als liebsten Freund“. Die Band untersagt Fotografie mit Blitzlicht. Es irritiert sie beim Spielen, so ist zu vermuten. Das Gleis 22 ist so dunkel, dass man Fotos ohne Blitz vergessen kann. Vielleicht geht es gerade darum. Ein Ritual soll auf der Bühne abgehalten werden. Keine Unterbrechung ist geduldet. Es ertönt Applaus zwischen den langen Stücken – das nicht zu knapp an diesem Abend, doch kein einziges Mal animiert Nathan Weaver das Publikum. Es gibt keine Hey-Rufe, keinen Appell von der Bühne, keinen Teufelsgruß als Zeichen der Verbundenheit. Es gibt Musik. Daraus resultiert Atmosphäre. Trockeneisnebel steigt auf, recht dünn, keine Rauchschwaden, die die Musiker völlig einhüllen. Die Dichte der Stimmung am heutigen Abend rührt nicht von Effekten. Sie rührt von der dargebotenen Musik. Drei Leute aus einer Kommune, die im US-Staat Washington an der Westküste des Kontinents liegt. Gemeinsam leben, gemeinsam kochen, gemeinsam essen, gemeinsam komponieren – und gemeinsam lieben. „Oh ihr Gemiedenen, ich meide euch nicht, / Ich komme sogleich in eure Mitte, ich will euer Dichter sein, / Ich will mehr für euch sein, als für alle andern.“ (Wieder Whitman aus dem begonnenen Gedicht, das jetzt zum Ende gekommen ist, aber einige Verse übersprungen hat.)

Wer unter den Musikern einmal die Unschuld verloren hat, kann nicht mehr zur Naivität zurück. Walt Whitman wußte das, jeder aufmerksame Musikhörer weiß das und Wolves In The Throne Room wissen das auch. So zu tun, als hätte musikalische Evolution – auch und gerade im Black Metal – nie stattgefunden, als wäre Postrock oder Hardcore spurlos an diesem Sub-Genre vorbeigezogen, ganz zu schweigen von den ganzen schwarzangehauchten Punkbands aus Norwegen – wäre gespielte Naivität. Naiv zwar, doch gespielt. Ein anderer Weg zur musikalischen „Unschuld“ zurückzukehren, ist eine archaische Komplexität, von der vorhin geschrieben wurde. Keinen Bombast zu fahren, sondern aus den Instrumenten mehr herauszuholen, als allgemein üblich erwartet wird. Dadurch kehren sie zum Eigentlichen zurück: Erforschung des Instruments. Wolves In The Throne Room zeigten das im Gleis 22 für knapp eine Stunde und verabschiedeten das Publikum mit Leonard Cohen, der von Jesus sang.