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R.E.M. - Fables Of The Reconstruction (25th Anniversary Remaster Deluxe Edition / 2 CDs / I.R.S. / Capitol / EMI)
(im luxuriösen Aufklapp-Digipak, das neben den beiden CDs mit »Throw Those Trolls Away« einen bislang unveröffentlichten Track bereithält. Dazu Poster, Postkarten und Linernotes von Peter Buck)
R.E.M. - Reckoning (Deluxe Edition Eco Pack 2 CDs / I.R.S. / Capitol / EMI)
R.E.M. - Murmur (Deluxe Edition Eco Pack / 2 CDs / I.R.S. / Capitol / EMI)
* Fundstück:
Der Spiegel 01.05.1989
Rätsel-Rocker R.E.M. auf Tour
Wenn Michael Stipe, der Sänger der amerikanischen Band "R.E.M.", mit nölig unverständlicher Stimme seine rätselhaften Songtexte vorträgt, wissen oft nicht einmal seine drei Mitspieler, worum es in den Liedern ihres Frontmanns geht. Seit fast einem Jahrzehnt zelebrierten "R.E.M." (Abkürzung für Rapid Eye Movement) ihren unverwechselbaren, träumerisch schwebenden Sound für eine wachsende Kultgemeinde, bevor sie jetzt, mit dem Album "Green" (WEA), einen Spitzenplatz in den amerikanischen LP-Charts und ein breites Publikum erreichten. Den Durchbruch haben die esoterischen Außenseiter aus Athens im US-Staat Georgia geschafft, ohne ihren folkloristisch angehauchten Gitarrenrock dem Mainstream-Geschmack anzupassen. Die eigenwilligen US-Provinzrocker präsentieren ihre Musik nun auf einer Welt-Tournee - vom 9. Mai bis zum 11. Juni auch in der Bundesrepublik.
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Damals unterm Mond
Als R.E.M. nicht zu groß waren: Die ersten drei Alben der Band um Michael Stipe als Deluxe-Reissues
Man kommt sich ja mittlerweile vor wie die sprichwörtliche Oma, die vom Krieg erzählt, wenn man Begebenheiten aus der eigenen Pop-Vergangenheit zum Besten gibt. Die Verfasserin dieser Zeilen berichtet zum Beispiel immer wieder gern, dass es einmal eine Zeit gab, als R.E.M. noch keine stadionfüllenden Superstars waren, sondern »esoterische Außenseiter aus Athens«. So kündigte sie Der SPIEGEL Anfang Mai 1989 an*. Man sagte noch Bundesrepublik, als R.E.M. in jenem Frühling in Deutschland unterwegs waren. Sie spielten in recht kleinen Hallen überwiegend vor US-amerikanischen GIs. Das Publikum hatte reichlich Alkohol intus und alle Songs voll Inbrunst parat. Hätte ich geahnt, was aus dieser Band bald werden sollte, hätte ich sie mir intensiver angeschaut. Ich nämlich war nur wegen der Vorband in die Frankfurter Kongresshalle gegangen. Niemand Geringeres als die Go-Betweens hatten die Ehre, die Bühne für R.E.M. anzuwärmen. Ich liebte das Go-Betweens-Album »16 Lovers Lane« und war so hingerissen vom Auftritt der Australier, dass mich der Hauptact nicht mehr allzu sehr interessierte. Dabei waren R.E.M. sogar angesichts des für sie relativ überschaubaren Rahmens fantastisch und außerordentlich liebenswürdig. In den USA füllten sie schon vor über zwanzig Jahren große Hallen und Stadien, wie mir ein mitgereister Freund bewundernd zuraunte. Und wirklich, die energetische Performance des 1989 noch kopfbehaarten Michael Stipe lieferte einen Vorgeschmack darauf, wie er einige Jahre später die Massen weltweit fesseln sollte. Aber wie gesagt, leider hatte ich nicht genau zugeschaut.
In den späten Siebzigern fanden Michael Stipe, Bill Berry, Peter Buck und Mike Mills in Athens, Georgia zusammen. Eine besondere Rolle spielte dabei der Plattenladen Wuxtry Records, in dem Buck arbeitete und den die drei anderen zum Musikhören frequentierten. Unter dem Namen Twisted Kites spielte das frisch gegründete Quartett zunächst hauptsächlich Coverversionen bekannter Songs. Eigene Stücke tröpfelten peu á peu ins Band-Œuvre: »Radio Free Europe«, die erste Single als R.E.M. (der Legende nach deutete Michael Stipe mit geschlossenen Augen auf einen beliebigen Lexikoneintrag) erschien 1981 auf dem Label Hib-Tone. Nach der EP »Chronic Town« erschien 1983 »Murmur«. Der erste Longplayer wurde aus dem Stand sehr erfolgreich und hielt sich ganze dreißig Wochen in den Billboard-Charts. Das zweite Album »Reckoning« toppte diesen Erfolg noch und blieb über ein Jahr in den Charts. 1983 tourten R.E.M. als Vorband von The Police durch die USA, traten in der Letterman-Show auf und festigten ihren Ruf als begeisternder Live-Act. Hier unterbrechen wir das historische Abstract: Wer sich über die R.E.M.-Geschichte informieren will, kann dafür auf unzählige Publikationen zurückgreifen.
Wir verweilen lieber in den frühen Achtzigern: Jüngst wurden die ersten drei R.E.M.- Alben digital remastered in prächtig ausgestatteten Deluxe-Editionen wiederveröffentlicht. »Murmur« verströmt den Charme des Erstlings. R.E.M. klingen auf den zwölf Songs, unter denen sich Hits wie eben »Radio Free Europe« und »Talk About The Passion« befinden, frisch und unverbraucht. R.E.M. gelten als Vorreiter des College- oder Alternative Rock, auch wenn diese Begriffe nie ganz eindeutig definiert werden und eigentlich nur Krücken sind. Sagen wir es einfacher: Auf »Murmur« präsentieren sie sich als unbefangene Erben der amerikanischen Folk- und Country-Tradition. In Bucks Rickenbacker-Gitarrenspiel lassen sich unschwer Byrds-Anleihen ausmachen und Michael Stipe singt seine teils rätselhaften, verklausulierten Lyrics, die zuverlässig in famose Mitsing-Refrains gründen. Auf dem Nachfolge-Album »Reckoning« feilen R.E.M. an ihrem Stil. Jingle-Jangle-Gitarren bestimmen den Sound, die Platte klingt poppiger und gefälliger als »Murmur« und dabei gereift und selbstbewusst. Das gemütlich-schunkelnde »Don’t Go Back To Rocksville«, »So Central Rain« und »7 Chinese Brothers« sind die hervorstechendsten Songs. Aber schon auf »Reckoning« zeigen R.E.M.: Sie sind keine reine Singles-Band, ihre Alben können als Gesamtwerke für sich stehen.
1985 ziehen erste dunkle Wolken am Bandhimmel auf. Man streitet hinter den Kulissen, ist ausgebrannt und müde. Folgerichtig gerät die dritte Platte »Fables Of The Reconstruction« düster und introvertiert. Erstmals dominieren getragene Stücke wie »Life And How To Live It« oder »Old Man Kensey« und verweisen auf R.E.M.s spätere Meisterschaft im balladesken Fach. »Fables« ist für viele Fans eins der besten Alben der Band. Tatsächlich spürt man – trotz oder wegen interner Verwerfungen – kompositorische und musikalische Charakterbildung. Auf dem dritten Album entpuppt sich das R.E.M.-Erfolgsrezept, das gleichzeitig ihr Dilemma werden soll: die Verknüpfung von Mainstream und Underground. Kaum einer anderen Band gelingt es (bis heute), massen- und hitparadenkompatible Musik zu machen und dabei Kredibilität zu wahren. Michael Stipe mag extravagant und kapriziös erscheinen, zum Aushilfs-Jesus á la Bono taugt er nicht. Er will es so. Die restlichen R.E.M.-Musiker stehen ohnehin nicht gern im Rampenlicht und konzentrieren sich auf die Musik. Als Schlagzeuger Bill Berry 1997 die Band aus gesundheitlichen Gründen verließ, geschah das im Stillen ganz ohne Paukenschläge. Dennoch: Heute sind R.E.M. eine Nummer zu groß, um sie wirklich lieben zu können. Deshalb lohnt die (Wieder-)Entdeckung ihrer ersten drei Platten. Ausnahmsweise sind die Bonus-Live- und Demotape-CDs der Pakete äußerst hörenswert. Man wird Zeuge der Superstar-Werdung von vier Musikern, die auch im Club- und Campfire-Ambiente schon so klingen, als gehörten sie auf große Bühnen. Live ziehen sie das Tempo an, die Stücke klingen rauer und weniger lieblich als auf Platte. Und Michael Stipe besitzt auch schon 1983 Charisma. Er flirtet mit dem Publikum und ist manchmal ganz schön Rock'n'Roll. Hätte ich doch 1989 in Frankfurt nur richtig hingeschaut. Die Go-Betweens habe ich später schließlich noch einige Male gesehen. R.E.M. nicht mehr.