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20. Juli 2010
Christina Mohr
für satt.org

  Robyn – Body Talk Pt. I
Robyn – Body Talk Pt. I
(Ministry of Sound, Warner)
» robyn.com
» myspace


Das Girl und die Göttin

Vor knapp vier Jahren veröffentlichte das Künstlerinnenkollektiv Chicks on Speed den Sampler »Girl Monster« und definierte im Booklet zwei Archetypen des weiblichen Popstars: Perfekt gestylte, auf Erfolg und Funktionalität ausgerichtete Glamourdiven wie Kylie Minogue und Madonna waren ihnen Beispiele für den Fembot, unangepasste, individualistische Riot Grrrls wie die junge Courtney Love oder Kathleen Hannah hingegen Girl Monster. Ob die Schwedin Robyn besagte Compilation kennt, wissen wir nicht. Doch hatte sie 2008 die zweifelhafte Ehre, Fembot Madonna auf ihrer »Sticky and Sweet«-Tour zu supporten – das Publikum liebte Robyn, auch wenn sie mit der runtergedrehten Anlage zu kämpfen hatte. Madonna befürchtete wohl, dass die Elevin ihr die Show stiehlt. Vielleicht führte diese Erfahrung zu dem comichaft-verschmitzten Track »Fembot«, zu hören auf dem ersten Teil von Robyns girlmonsterigem Vorhaben, in diesem Jahr drei EPs herauszubringen. Sind die Alben kürzer, könne sie mehr Zeit im Studio und mit dem Schreiben von Songs verbringen, erklärt sie. »Body Talk Pt. I« besteht aus acht Tracks, ist also fast ein »richtiges« Album. Sein Vorteil: Man kann sich jedes einzelne Stück gut merken. Daher der Tipp an eigentlich alle KünstlerInnen: Lieber regelmäßig EPs veröffentlichen, anstatt alle paar Jahre ein Album mit 28 Songs zu strecken. Ironie will die Verknappung. Und so übt Robyn mit verhangener Stimme Selbstkritik: »My smoking is killing me, my drinking is killing me.« Dann geht es ohne Umweg auf den Dancefloor und garantiert auch an die Bar. »Don’t Fucking Tell Me What To Do«, »Dancing On My Own«, »Cry When You Get Older« und eben »Fembot« sind fett produzierte, basslastige und vor allem lustige Clubtracks. Sie flirten unverhohlen mit früheren Pop-Epochen: Eurotrash, Chartpop, Hip Hop, Reggae und Clubbeats spazieren auf dem schmalen Grat zwischen Spaß und Ironie und die Refrains gehen zuckersüß ins Ohr. Die mittlerweile kredible Dance- und Elektropop-Künstlerin Robyn, im Mai diesen Jahres trat sie im Berliner Berghain auf, lebt selbstbewusst mit ihrer Vergangenheit als softiger Pseudo-R'n'B-Kinderstar. Geschmähten schwedischen Erfolgacts wie Ace of Base und Doctor Alban setzt sie mit dem von Diplo produzierten »Dancehall Queen« ein Denkmal: Wie es ist, wenn man musikalisch nicht ernst genommen wird, das kann sie sehr gut nachfühlen.

Was wäre bloß passiert, hätte Britney Spears ihre neue Platte »Body Talk« genannt? An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass Robyn stets komplett bekleidet auftritt und wenig Haut zeigt, der Albumtitel bei ihr also einen ganz anderen Dreh bekommt. Ob Robyn damit ein feministisches Zeichen setzen möchte, sei dahingestellt, aber gut finden kann man ihre Outfits allemal. Ebenfalls rundweg gut finden kann man, dass Robyn zwar mit namhaften (männlichen) Producern zusammenarbeitet, im Studio das letzte Wort behält und trotzdem auf Kooperation schwört: Sie sang auf dem Röyksopp-Track »The Girl and the Robot«. Torbjørn Brundtland und Svein Berge unterstützen sie bei »None of Dem«. Mit dem schwedischen Volkslied »Jag Vet En Dejlig Rosa« endet »Body Talk Pt. I« zart und zurückhaltend – völlig konträr zum heftig pumpenden Einstieg und ein Beweis dafür, dass von Robyn künftig viel mehr zu erwarten ist, als für alternde Fembots die Einheizerin zu geben. Be prepared für »Body Talk Pt. II & III«!

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  Kylie Minogue – Aphrodite
Kylie Minogue – Aphrodite
(Parlophone/EMI)
» kylie.com
» kylie.de


»Aphrodite« heißt das neue Album von Fembot Kylie Minogue, und Liebesgöttin Kylie ziert mit huldvoll ausgebreiteten Armen das in griechischem blau-weiß gehaltene Cover. Das wirkt mächtig camp, im gewohnt knappen Minidress räkelt sich die 42-jährige Australierin erst im Booklet. Deutlich wird: Man muss sich das Produkt Kylie Minogue immer als Gesamtpaket aus Styling, Coverdesign, Show, Tanz und ein bisschen Musik denken. Wir unterstellen sogar, dass niemand Kylie Minogue nur wegen ihrer Musik mag, auch wenn sie zweifelsohne großartige Hits wie »Can’t Get You Out Of My Head« und »Slow« im Portfolio hat. Seit Beginn ihrer Pop-Karriere Ende der achtziger Jahre zehrt Kylie von einem immensen Sympathiebonus. Mag die Marktführerin und ewige Konkurrentin Madonna den größeren Erfolg haben, die Dancefloorqueen der Herzen ist Kylie. Die Australierin ist sexy, aber nicht ordinär. Die Maße ihres Hinterteils gelten dank hochwissenschaftlicher Untersuchungen als perfekt. Selbst wenn sie außer goldenen Hotpants kaum etwas am Leib trägt, wirkt sie noch immer so süß und unverdorben wie in der australischen Achtziger-TV-Serie »Neighbours«. Seit ihrem Duett mit Nick Cave (»Where The Wild Roses Grow«) ist sie auch in der Indie-Szene keine Unperson mehr, im Gegenteil, man darf Minogue ganz ohne ironisches Augenzwinkern gut finden. Die Schwulenszene feiert Kylie ebenfalls. Dass der Tod in Gestalt einer Brustkrebserkrankung bereits an ihre Tür klopfte und sie diesen Schicksalsschlag tapfer überstand, machte sie noch beliebter.

Aus all diesen Gründen möchte man »Aphrodite« gut finden und mit der Frankfurter Rundschau das Album zunächst ein wenig zaghaft als »ihr wohl bestes« und dann, alle Skrupel über Bord werfend, als »großartige Pop-Platte« bezeichnen. Aber ach, irgendwie geht es nicht. Premium-Produzent Stuart Price, der unter anderem für Madonnas 2005er-Album »Confessions On A Dancefloor« verantwortlich zeichnete, mit seiner eigenen Band Zoot Woman Disco für denkende Menschen macht und auch sonst ein Garant für Hipness, traut Kylie Minogue ganz offensichtlich keine Weiterentwicklung zu. Sie sich selbst auch nicht. Einige der Texte sind aus ihrer Feder (»Too Much«, »Looking For An Angel«), das Sounddesign liegt aber wie immer komplett in den Händen (meist männlicher) anderer Menschen. Interessant wäre doch mal, wie Kylie sich selbst klingen lassen würde - die zwölf neuen Songs jedenfalls hören sich kaum anders an als die Vorgängerplatten »X«, »Body Language« und »Fever«: Der austauschbare, hochgepitchte Discopop im unsensiblen 4-to-the-Floor-Marschrhythmus passt eher auf den Rummelplatz als in coole Clubs und hinterlässt ein schales Gefühl wie der Genuss von zuviel Zuckerwatte.

Keine Spur von Innovation – »Aphrodite« hört sich ziemlich outdated an. Dass Kylie Minogue (bzw. der starke Mann hinter ihr) auf Retroeffekte baut, ist dabei nicht verwerflich: Siebziger- und Achtziger-Referenzen sind en vogue und sicher soll »Aphrodite« auch die Leute ansprechen, die vor über zwanzig Jahren »I Should Be So Lucky« gekauft haben. Aber wo die Scissor Sisters mit ihrem aktuellen Album »Night Work« den Zauber der sagenumwobenen New Yorker Diskothek Studio 54 und der hedonistischen Achtziger in die Nuller Jahre katapultieren, das Gestern mit dem Heute verknüpfen und dabei noch witzig, intelligent und sexy sind, da verharrt das Gespann Minogue/Price an der Autoscooter-Bande. Die Single »All The Lovers« will Grandezza verströmen, ist eingängig und charttauglich, aber etwas plump. Minogues nicht gerade ausdrucksstarke Stimme war noch nie ein Grund für Kritik. Auch Madonna ist keine begnadete Sängerin und beide verkaufen ein Gesamtpaket. Aber weil Minogue noch 2010 wie eine 18jährige klingt, wirken inhaltlich interessante Songs wie »Closer« und »Everything Is Beautiful« letztlich flach und belanglos. Richtig gut geraten dagegen ist das von Kylie und Calvin Harris geschriebene »Too Much«: Die Bässe wummern saftig, die Synthesizer jubilieren euphorisch und alles zielt direkt auf Unterleib und Tanzbein – so soll es sein! In »Cupid Boy« bastelte Stuart Price eine New Order-Indie-Gitarre hinein. Was für einen angenehm warmen Sound sorgt, wirkt inmitten des bis zur Fadenscheinigkeit polierten und gebügelten Umfelds aber seltsam unvermittelt. Was bleibt im Ohr von »Aphrodite«? Leider kaum etwas. Neben dem mutmaßlich kostspieligen Producer Price blieb nicht mehr viel für gute Songschreiber übrig. Einprägsame Hooks und Melodien oder einfach gute Ideen sucht man vergeblich. Vor einigen Wochen trat Minogue überraschend mit den Scissor Sisters beim Glastonbury Festival auf. Man glaubt unbesehen, dass das funktionierte und so umwerfend war, wie es die Reviews nahelegen. Vielleicht sollte Kylie künftig nur noch Konzerte geben und keine Alben wie »Aphrodite« mehr aufnehmen. Oder die nächste Platte endlich mal von wagemutigen Frauen produzieren lassen: Wie wär’s mit den Chicks on Speed?