Richard Ashcroft wird zum Soulcrooner und We Are Scientists verharren im Gitarrenrevival. Das Kontrastprogramm kommt von The Books, der Greie Gut Fraktion und Tender Forever.
RPA & The United Nations of Sound – s/t
Aha: Richard Ashcroft ist jetzt Soulman und verspricht viel, nachdem die zweite Reunion seiner Ex-Band The Verve erneut nur ein kurzes Intermezzo blieb. »I'm one of the greatest frontmen there’s ever been. It’s just that people don’t realise it«, meinte er zuletzt im Interview mit dem britischen Q Magazine. Ashcrofts Vorliebe für Marvin Gaye und Curtis Mayfield gehörte zu den beherrschenden Themen des Gesprächs. Der Autor dieser Zeilen war gespannt und nutzte im Juni die kurze Promo-Tour von RPA & The United Nations of Sound, um in der Kölner Live Music Hall mal wieder einen Live-Auftritt Ashcrofts zu erleben. United Nations of Sound? Genau. So heißt die neue Band des natürlich großartigen Sängers aus dem englischen Nordwesten. Mit Mary J Bliges Gitarrist Steve Wyreman, Bassist Paul »DW« Wright und Drummer Derrick Wright (u.a. Toni Braxton). Zusammen mit Klassikern wie »Sonnet«, »Lucky Man« und »A Song for the Lovers« brachten Songs wie der groovige Opener »Are You Ready?« und Balladen wie »This Thing Called Life« dann auch einen entspannten Konzertabend. Richard Paul Ashcroft alias RPA entschuldigte sich noch artig bei den Fußballanhängern für die miserable Leistung des englischen Teams gegen die USA. Immerhin hatte er gerade selbst die Gäste bis zum Schlusspfiff dieses Highlights warten lassen. Klar: Die knapp 90 Minuten mit den United Nations of Sound waren dann garantiert angenehmer als dieser südafrikanische WM-Abend. Ein wenig ratlos machte Ashcrofts Köln-Besuch dann aber doch. »I’m born again« und »Glory, Hallelujah«? Übertreibt es der gute Richard Paul da nicht ein wenig mit der Messias-Nummer? Und sind Songs wie »Beatitudes« und »Let My Soul Rest« nicht ganz schön nah dran am US-amerikanischen Mainstream in Sachen Rock und R'n'B? Eher Tom Petty, Toni Braxton und Mary J Blige als Marvin Gaye und Curtis Mayfield? Zehn Tage später schickt Frau Mohr den Tonträger per Post. Produziert wurde das Werk unter der Regie von Jay-Zs Kumpel No ID. Fazit: Gepflegte Langeweile in Albumform. Die Ratlosigkeit bleibt. (Thomas Backs)
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The Books – The Way Out
The Books wurden 2009 durch ihre Kooperation mit José González einem breiteren Publikum bekannt. Der Beitrag zum Charity-Sampler »Dark Was The Night« glänzt durch das warme Cello nebst geradliniger Melodie. Wer das New Yorker Duo ausschließlich daher kennt, sei gewarnt: »The Way Out« könnte Ratlosigkeit hinterlassen. Bis zur Hälfte besteht das Album aus Geräusch- und Sprachfragmentierungen. Das hat mit Popmusik nur insofern zu tun, als dass kurze Versatzstücke von Schallplatten oder Kassetten Bestandteil des Experimentierwahns sind. Paul de Jong und Nick Zammuto greifen obsessiv in die Fundkiste obskurer phonetischer Artefakte. Was da liebevoll auf Trödelmärkten zusammengesucht wurde, erfährt im Studio ein neues Arrangement mit dezenter musikalischer Begleitung. Doch spätestens nach dem zweiten Track, der vermuten lässt, der CD-Spieler würde springen, landet die Scheibe im Aus. Das ist nicht hörbar. Damit wäre The Books jedoch Unrecht getan. Sie verbinden aleatorische Musik mit Folk. John Cage als wichtiger Vertreter der Aleatorik arbeitete bereits in den 1950er Jahren daran, musikalische Strukturen mittels improvisatorischer und kombinatorischer Zufallsoperationen hervorzubringen. Für das ungeübte Ohr klingt das mitunter wie eine wahllos durchquirlte iTunes-Sammlung. Daher der Tipp: Ab dem achten Song gewinnen kuschelige Melodien die Oberhand. Was im ersten Teil des Albums allerdings zu verquer daherkommt, wirkt hier glatt und belanglos.
Es ist nichts gegen experimentelle Klangspielereien und das Aufbrechen von Hörgewohnheiten einzuwenden. Aber der Käufer muss wissen, worauf er sich einlässt. Das Album gehört in den Künstlerbedarfsladen, Abteilung »Musikalische Untermalung für Videoinstallationen«. Kein Wunder, dass bei Live-Auftritten von The Books zusammengeschnittene Amateurfilme gezeigt werden. (Janine Andert)
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Greie Gut Fraktion - Baustelle
Kaum jemand weiß, dass Gudrun Gut, (West)-Berliner Elektropionierin und Labelchefin, 1980 zur Ursprungsformation der Einstürzenden Neubauten gehörte. Gut verließ die Neubauten bald wieder, weil auch die Industrial-Avantgardisten im Grunde ein reiner Männerverein sein wollten. Mit Beate Bartels gründete sie die legendäre Frauenband Malaria!, die in den frühen achtziger Jahren vor allem in den USA für Aufsehen sorgte; der Malaria!-Song »Kaltes klares Wasser« ist längst ein Elektro-Klassiker. Gerade haben Gudrun Gut und die in Halle (Saale) geborene und in Finnland lebende Musikerin Antye Greie als Greie Gut Fraktion das Album »Baustelle« veröffentlicht. Natürlich ist man versucht zu sagen, dass sich damit ein Kreis schlösse – doch weit gefehlt, trotz des an Industrial erinnernden Albumtitels und Tracknamen wie »Baustein«, »Betongiessen«, »Mischmaschine« oder »Make It Work« hat »Baustelle« nichts mit dem rohen Maschinenlärm der frühen Neubauten gemein. Zwar sampelten Greie und Gut Geräusche von Bohrmaschinen, Kreissägen und Betonmischern, aber Gudrun Gut ist nicht ohne Grund Moderatorin der Radiosendung »Ocean Club«: Ihre Obsession für Wasser, für alles Fließende, Ozeanische, ist auch auf der Greie-Gut’schen Baustelle hör- und spürbar. Ein Track heißt gar »Drilling An Ocean«. Gut, die »nie Angst vor Technik« hatte, zaubert aus ihren Geräten organische Klänge, füllt Techno mit Wärme. So wird Palais Schaumburgs »Wir bauen eine neue Stadt« (ihre Referenz an die Achtziger) bei Greie und Gut vom zackigen Wave-Funk-Stück zu einer warm pulsierenden Nummer, die man sich gar nicht anders vorstellen kann. Klang Guts Stimme früher bei Malaria! zuweilen überzogen dramatisch, zieht sie heute geheimnisvolles Flüstern und Raunen vor. Auf »Baustelle« gibt es nichts Hartes, Eckiges, Schrilles. Das Duo formt schillernde Soundmäander und verbindet hypnotisierende Loops mit assoziativen Textfragmenten im Downtempo-Beat. Das EBM-typische Motiv der Arbeit (»Make It Work«) wird von der Greie Gut Fraktion elegant-erotisch neu definiert. »Baustelle« birgt lauter Überraschungen, die die HörerInnen niemals überrumpeln – diese Musik ist kraftvoll, nicht grob.
(Christina Mohr, Review erschien zuerst auf melodiva.de)
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Tender Forever – No Snare
Es wird nicht leicht für Melanie Valeras alias Tender Forever, sich im allgegenwärtigen Surren und Brummen der Vuvuzelas Gehör zu verschaffen - mit einem Album, das auf den Einsatz der Snare-Drum verzichtet und überdies nur eine knappe halbe Stunde lang / kurz ist. Darum wollen wir »No Snare« umso dringender empfehlen: Valeras lässt auf ihrer dritten Platte nicht nur die Trommel weg, sondern erfindet sich musikalisch gleich ganz neu. Waren ihre ersten beiden Alben »The Soft And The Hardcore« und »Wider« (beide auf K Records) stark Elektronika-geprägt und durchaus dancefloor-tauglich, feiert »No Snare« Ruhe und Innerlichkeit. Und das mit Hingabe: Auch wenn keine Snare den Beat vorantreibt, fehlt dieser Platte nichts. »Tender Forever« schöpft aus einem Füllhorn unterschiedlichster Instrumente und Soundeffekte, die Auflistung aller Gerätschaften und Gegenstände (»1 Can Of Rice«, »A Glass Of Water And A Pen«) beansprucht fast eine ganze Seite des Booklets. Die Songs sind skizzenhaft kurz und loten die Schönheit der Stille aus, ohne allzu melancholisch zu wirken. Im Gegenteil, die 33-jährige Songwriterin aus Oregon lädt auch den leisesten Ton mit Spannung und Intensität auf: Valeras Stimme erinnert an Sineád O’Connor, nur ohne deren theatralische Religiosität. Folk und Americana bilden die Grundlage der neun Tracks, bis aufs Skelett ausgezogener Soul und R'n'B schleichen sich ein und bringen unterschwellige Grooves mit. Und das alles ganz ohne Snare. Selbst ein dunkel-dramatischer Song wie »Nowhere Good Enough«, der die generelle Unmöglichkeit des Zuhause-Seins thematisiert, versinkt nicht in Depression, sondern wirkt aufrührerisch und energiegeladen. Vielleicht ist die offen queere / lesbische Melanie Valeras einfach daran gewöhnt, zu kämpfen – ihre Musik und Texte jedenfalls verströmen Unerschrockenheit und Unbeugsamkeit.
(Christina Mohr, Review erschien zuerst auf melodiva.de)
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We Are Scientists – Barbara
Das vierte Album der New Yorker ist so aufregend wie der Cocktailspießer auf dem Cover. Das Trio setzt auf poppigen Gitarren-Rock, der die vergangenen zehn Jahre so präsent war, dass er inzwischen aus den Ohren herauskommt. »Barbara« erscheint wie ein Relikt aus der Jugend mittlerweile erwachsen gewordener Teenager. Wer möchte so etwas noch hören? Gepriesen sei Jack White, der die White Stripes erst einmal auf Eis legte und sich neuen, interessanten Projekten wie The Dead Weather widmet. Überhaupt schließt sich der kluge Musiker momentan eher zu Projekten zusammen, um in aller Ruhe abzuwarten, wo er bei der alten Band später einmal die Schrauben nachziehen muss. We Are Scientists angelten sich lieber Ex-Razorlight-Drummer Andy Burrows, der nun permanent Schlagzeuger Michael Tapper ersetzt. Als weitere Innovation erscheint »Barbara« auf dem neu gegründeten Label Masterswan Recordings. Es gehört der Band selbst. Schön und gut, doch hätten sie mit der neuen Freiheit besser den Sound saniert. Der ist nämlich nur eine Blaupause der Vorgängeralben und hat gehörig an der ursprünglichen Energie verloren. Ordentlich produziert ist das allemal und erfüllt artig Hörgewohnheiten, weshalb wir sagen: Geht als ganz nett durch. Denkbar aber ist auch, dass »Barbara« der Zeit zwanzig Jahre voraus ist. Zumindest wäre im Jahr 2030 mit einem Revival des Gitarren-Rocks der Jahrtausendwende zu rechnen. (Janine Andert)
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