Rukolasalat mit Ohrfeigen
Die 15. Ausgabe der Zeitschrift floppy myriapoda ist erschienen. Das Debüt der Band Straßenschaden wird morgen in der Berliner Schankwirtschaft BAIZ vorgestellt.
»Gibt es wirklich ein Ende? Oder hoffen wir nur?« Das Heft fängt an mit einem Paukenschlag und wird danach nicht gemütlicher. Es geht gar nicht anders: Unlängst versuchte ich, 15 Minuten Wartezeit in der Filiale einer Buchhandelskette rumzubringen. Jede einzelne verlange ich zurück. Und Schmerzensgeld noch obendrauf! Die Kunst findet woanders statt. Das neue Heft der kulturpolitischen Zeitschrift floppy myriapoda wurde am 24. September im Kreuzberger Prometheus-Antiquariat vorgestellt. Die Ausgabe widmet sich dem Thema »Porträt«. Nicht, dass die seit Januar 2006 dritteljährlich erschienenen Vorgänger keines hatten: Im Heft Nummer 14 war ein Preisausschreiben. Es fragte nach dem Schwerpunkt der Ausgabe. Es gab bis über den Einsendeschluss hinaus keine richtige Antwort. Einer kam nahe und erhielt bei der Präsentation ein floppy-myriapoda-Paket. Es enthielt unter anderem ein Exemplar des Bandes »Die BRDigung des DDRon«, die Volksausgabe der 12-Eurocent-Chrestomathie »Mauer-Schluß«.
Für Heft Nummer 15 übersetzte Alexander Krohn Kindheitserinnerungen des 2009 in Berlin gestorbenen australischen Musikers Bruno Adams. Einer LP ähnlich, hat die Ausgabe ein Intro und ein Outro. Beide stammen von dem griechischen Lyriker tschetschenischer Abstammung Jazra Khaleed. Als »ohne Menschen« und »Dichter-Rowdy« stellt er sich vor und schreibt: »Den Mittelfinger hab ich mir verrenkt / Beim Versuch, all die aufzuschreiben, die ich hasse.« Einer will die Realität abgeschafft sehen und zieht aus, um zu verschwinden, wie es scheint. Ann Cotten, Katrin Heinau, Johannes Jansen, Nomen Nescio und Kai Pohl führen in die Hotelzimmer der Selbstmörder und servieren Rukolasalat mit Ohrfeigen. Bert Papenfuß porträtiert den Musiker und Maler Ronald Lippok, betreibt Zwergenkunde und zitiert ausgiebig The Fall. Peter Wawerzinek schreibt in einem Leserbrief, wie es ihm mit dem Ruhm ergeht. Er »lebe weiter bescheiden«, meint er. Die hintere Umschlagseite zeigt Porträtfotos von Rebellen auf Bougainville, die sich gegen die Umweltzerstörung durch australische Minenbesitzer wehrten und Autonomie von Papua-Neuguinea erlangten. Kein leises Heft also.
Auch eigen, aber von einer an Robert Wyatt erinnernden, verspielten Atmosphäre ist das vor kurzem erschienene Debüt der Band Straßenschaden. Benannt nach dem gleichnamigen Buchladen in der Prenzlauer Berger Christinenstraße, er existierte vom 21. August 2009 bis zum 21. August 2010, wurde die Band von Andreas Hansen gegründet. In dem Laden betreibt die Freundin des Hausbesitzers jetzt ein Grafikbüro. Straßenschaden ist: Marc Aschenbrenner, Alexander Krohn, Bernd Jestram, Ralph Gabriel. Die selbstbetitelte Platte kommt in einem seltenen Format, das 1910 in den USA auftauchte, als 10’’ heraus. Die ersten Singles dieser Variante liefen übrigens mit 78 Umdrehungen. Einen neuen Plattenspieler muss man sich nicht kaufen: Straßenschaden läuft mit 45. Eile ist trotzdem geboten, denn das Kleinod ist limitiert. Die Band hat sich Gäste eingeladen: Ronald Lippok spielt Schlagzeug, Perkussion und Keyboard, Bert Papenfuß spricht einen Textauszug und Straßenschaden vertonen Stefan Döring. Sie kommen auch richtig in Fahrt: »70 rupies to paradise road« ist eine schräge Countrynummer. Es läuft sich gut mit ihr im Ohr durch die Stadt, die man liebt und an der man irre wird. Der Text ist von der norwegischen Dichterin Tone Avenstroup: »hier sagte er endet europa / hier ist der rand europas.«