Zwei Brüder, eine Frau
»Ivory Tower«: Chilly Gonzales spielt viel Klavier und erzählt die Geschichte einer Rivalität.
Er hat es geschafft: Chilly Gonzales’ »Never Stop« ist der neue Track zum iPad-Werbespot. Aber auch sonst ist er gut im Geschäft: Gonzales häl den Weltrekord im Dauerklavierspielen (27 Stunden!). Mit »Ivory Tower« erscheint nun seine siebte Platte und gleichzeitig sein erster Spielfilm.
»Ivory Tower« (Regie: Adam Traynor) ist eine trashige Geschichte um den ehemaligen Schach-Champion Hershell (gespielt von Gonzales himself), der von einem längeren Aufenthalt in Europa nach Kanada zurückkehrt und eine Vision mitbringt: Er möchte jazz chess etablieren, eine Art des Schachs, bei der es nicht um den Sieg, sondern um die pure Schönheit des Spiels geht (also ungefähr sowas wie Cristiano Ronaldo im portugiesischen Fußball, nur mit sehr viel weniger Haargel). Allein, Hershells Vorstellungen treffen zunächst auf taube Ohren. Er findet keine Investoren. Und auch sonst läuft es nicht eben gut für ihn: Sein Bruder Thadeus (gespielt von Tiga), ein arrogantes, aber erfolgreiches Arschloch, hat ihm in der Zwischenzeit seinen Titel als kanadischer Schachmeister weggeschnappt und sich verlobt mit Marsha (Peaches), der ehemaligen Freundin Hershells. »Ivory Tower« ist also auch ein typischer Zwei-rivalisierende-Brüder-kämpfen-um-eine-Frau-Film.
Auch sonst sind die Klischees fein gewählt: Die Mutter der beiden weiß, dass ihre Zeit bald gekommen sein wird; Familientreffen finden daher immer rund um ihr Sterbebett statt. Der Vater, der sich bereits verabschiedet hat, erzog die beiden Brüder mit nachvollziehbaren, aber völlig diametralen Slogans: Die Welt ist nur für den Sieger gemacht (Thadeus) beziehungsweise »It's all about love!« (Hershell). Kein Wunder, dass die Söhne Karrierist bzw. Idealist geworden sind.
Die Aufmachung des Ganzen ist schön halbprofessionell und erinnert darin an ähnliche Projekte schauspielernder Musiker, zum Beispiel Kate Bushs »Red Shoes«. Das ist gut, denn die schöne Brechtsche Brechung schlechter Dialoge sollte nicht nur Bruce-LaBruce-Filmen vorbehalten sein. Peaches darf hier endlich einmal mehr als Projektionsfläche sein und gibt eine Mischung aus gelangweilter Hausfrau und ätherischer Weirdo-Künstlerin, deren Spezialität Violin-Performances ohne Violinspiel sind (da ist sie Hershell natürlich eine ebenbürtige Partnerin). Auch die entzückende Feist hat ihren Auftritt, nämlich als Assistentin eines minderbemittelten Moderatoren, die dem Nichtsahnenden die richtigen Stichworte liefert. Beim Showdown, der Austragung der kanadischen Schachmeisterschaft, kommt es zur finalen Begegnung der beiden Brüder. Man ahnt es: Nun darf sich zeigen, welcher der beiden mit seiner Lebensauffassung den Sieg davonträgt. Oder geht es evtl. doch nicht mehr um Siege?
Die Musik zu »Ivory Tower« beschränkt sich zumeist auf das Klavierspiel von Gonzales. Diese Stücke sind natürlich wie erwartet virtuos und unterhaltsam, jedoch nicht umwerfend. Gonzales pflegt die gediegene Samstagabendunterhaltung am Klavier mit eingestreuten Clubbeats zum Runterkommen. Wenn der Gonzo aber dann doch zu Singen anhebt, dann kommt ebenso erwartet Hervorragendes dabei heraus. So wie bei »I Am Europe«, das in Sounddesign und Textwerk an das geniale »Take Me To Broadway« erinnert. Darin wird in abstrusen Vergleichen die Alleinstellung Europas und seine Abschottung (die es kulturell betrachtet aus kanadischer Sicht zu geben scheint) thematisiert. Und auch die Hymne an den Feind ist äußerst gelungen: »The Grudge« beschwört mit einfachsten Mitteln und dennoch wirksam die Wichtigkeit eines verhassten Gegenübers, der einem morgens einen Grund gibt, eine Hose anzuziehen.
Machen wir uns aber nichts vor: »Ivory Tower« ist zuallererst der Soundtrack zum Film, den man deswegen auch unbedingt gesehen haben sollte. Demnächst in einem Theater in Ihrer Nähe. Schach und matt.
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