Eine Platte, keine Sammlung von Songs: Interpol geben sich auf ihrem vierten Album melancholisch, ohne zu jammern.
So was kommt also dabei raus, wenn Geisteswissenschaftler eine Band gründen. Eine Band, die das Zeug hat, einmal U2 zu beerben – kann das eine gute Band sein? Wenn man sich das neue, vierte und selbstbetitelte Album von Interpol anhört, dann muss man diese Frage klar mit Ja! und Ausrufezeichen beantworten. Die US-Amerikaner stilisieren sich als Antipoden zu den Heilsbringern, als die U2 sich gerne sehen. Interpol bauen auf denselben Bombast (und physikalische Unangreifbarkeit, siehe ihre Konzerte), aber ohne Rettung anzubieten: Es gibt keine. Es gibt nur die Musik, und aus der muss jeder selbst die Rettung herausfiltern. Es reicht darüber hinaus auch nicht, sich dunkle Anzüge anzuziehen, um als Melancholiker durchzugehen: Man muss schon auch eine innere Einstellung dazu haben, und die haben Interpol ganz bestimmt. Die Anzüge sowieso.
Insbesondere die Stimme von Paul Banks erreicht auf den neuen Songs eine Intensität, wie sie selbst dieser durchaus begnadete Popsänger bisher nicht gekannt hat. Das liegt zum großen Teil an der Produktion von Alan Moulder (Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails), der Banks’ Stimme so laut abgemischt hat, wie dieser es bisher keinem Produzenten erlaubte. Und auch die anderen Bandmitglieder kommen sehr gut dabei weg – das für die Band so wichtige Gitarrentremolo von Daniel Kessler zum Beispiel entwickelt eine beachtliche, druckvolle Stärke, vor allem im Zusammenspiel mit den gewohnt hypnotischen Bassläufen von Carlos Dengler.
Das Album hebt nicht gerade spektakulär ab; bei Songs wie »Memory Serves« fragt man sich kurzzeitig, ob die das ernst meinen mit ihrer Zurückhaltung. Erst mit »Lights« (für das der Videokünstler Chris White ein seltsames, hochstilisiertes und in Zeitlupe gedrehtes, etwas zu sehr gehyptes S/M-Video gedreht hat) nimmt die Platte Fahrt auf. Dann aber rasant, denn hier sind sie, die Tugenden dieser amerikanischen Band: Intensität steigern, Gitarrentremolos lauter werden lassen, den Bass dito, die Stimmenspuren sukzessive überlagern, bis irgendwann keine Freiflächen mehr bleiben, bis sich der Herzschlag des Hörers dem des Songs angeglichen hat. Die anschließende Single »Barricade« ist ein solch typischer Interpol-Song – die bereits genannten Zutaten bis hin zum hymnischen Refrain -, dass er glatt als role model durchgehen könnte.
Dann kommt der leichte Bruch, denn die zweite Hälfte der Platte widmet sich atmosphärischeren und ja: auch komplexeren Stücken, angefangen mit »Always Malaise (The Man I Am)«. Banks scheint hier seine Stimme einem Trainingsprogramm mit winzigen Nuancen in den Tonlagen zu unterziehen und auch »Safe Without« mit dem charismatischen Anschlag von Drummer Sam Fogarino spielt – bei aller Zurücknahme – auf allerhöchstem Niveau. Bei »All Of The Ways« wird das Tempo gänzlich herausgenommen und die Szenerie beherrschen einzelne immer wieder wiederholte Akkorden. Die Editors, immer wieder bemüht, wenn es um mit Interpol vergleichbare Bands geht (wieso eigentlich?), können froh sein, wenn sie überhaupt noch in einem Satz mit den großen Brüdern erwähnt werden, denn das Wasser reichen können sie ihnen schon lange nicht mehr.
Der abschließende Song »The Undoing« kann auch als Abschiedsmelancholie an den scheidenden Carlos Dengler gehört werden. Der Bassist, Keyboarder und Arrangeur hat die Band nach Fertigstellung der Aufnahmen verlassen. Es wird Interpol also nicht mehr so geben, wie wir sie kennen. Man darf gespannt sein, was sie aus dieser Situation als nächstes machen. Sicher darf man sein, dass sie auch weiterhin nicht auf Müßiggang setzen. Gut für die Kunst und gut für uns.