Hat wohl keiner mehr mit gerechnet: Orchestral Manoeuvres in the Dark sind zurück. OMD, unter der Abkürzung wurden sie bekannt, gründeten Andy McCluskey und Paul Humphreys vor über dreißig Jahren in Liverpool. Die beiden wollten einen bewussten Gegenpol zu der »anderen Band aus Liverpool« setzen. McCluskey und Humphreys kopierten daher nicht die Beatles. Sie waren begeisterte Anhänger deutscher Elektropioniere wie Kraftwerk und Can und beschlossen, ebenfalls synthetische Musik zu machen – zunächst auf selbstgebauten Instrumenten. Bereits 1978 gingen OMD mit Gary Numan auf Tournee, ihre von Kraftwerk beeinflusste Debütsingle »Electricity« erschien ein Jahr später bei Factory Records. Den ersten großen Erfolg landeten Humphreys und McCluskey mit dem vermeintlich fröhlichen Elektropopsong »Enola Gay«. Kaum jemand, der ausgelassen zu diesem Track tanzte, wusste, wer oder was »Enola Gay« war: das Flugzeug, aus dem 1945 die erste Atombombe über Nagasaki abgeworfen wurde. OMDs Hit war wegen seines Texts umstritten: Darf eine Popband aus einem der schrecklichsten Ereignisse der Weltgeschichte lustige Tanzmusik machen? Doch ist dieser Song typisch für OMD, die sich in ihren Texten eher selten dem poptypischen Boy-meets-Girl-Topos widmeten. Lieber sangen sie über die Heilige Johanna: »Joan Of Arc« avancierte 1982 zur meistverkauften Single weltweit und sollte für OMD der größte Hit werden. Alben wie »Organisation« (1980) und »Architecture And Morality« (1981) sind bis heute Meilensteine des Elektropop und werden von jungen Bands wie The XX als wichtige Inspirationsquellen genannt.
Mit »If You Leave« vom »Pretty in Pink«-Soundtrack gelang OMD 1986 erneut ein Welthit, doch in den Neunzigern sank ihr Stern. Ihre Experimente mit gitarrenbetontem Mainstream-Poprock überzeugten nicht. Fans fürchteten, die große Zeit ihrer Band könnte vorbei sein. McCluskey und Humphreys wandten sich anderen Aufgaben zu. McCluskey belebte OMD in den frühen Neunzigern als Soloprojekt neu und läutete mit Hits wie »Sailing On The Seven Seas« eine neue Erfolgsära ein. Paul Humphreys heiratete Claudia Brücken von Propaganda und nimmt mit ihr als Onetwo bis heute Platten auf.
Der endgültige Impuls zur OMD-Reunion als Originalduo kam – ausgerechnet – durch einen Auftritt in der »Ultimativen Chart-Show« bei RTL (siehe Interview).
Mit dem neuen Album »History Of Modern« kehren OMD musikalisch nicht zu ihren experimentellen Anfängen zurück, sondern schwelgen im Erfolgskonzept der Achtziger: euphorisierende Synthie-Melodien, Mid-Tempo-Beat und dazu McCluskeys unverkennbare, melancholische Stimme, die kaum gealtert ist. Seien wir ehrlich: An »Architecture and Morality« reicht »History Of Modern« nicht heran. Die Single »If You Want It« und Songs wie »History Of Modern Pts. I & II«, »Sister Marie Says« oder »New Babies: New Toys« sind supercheesy, eingängig und toll. Ein neues »Enola Gay« fehlt trotzdem. Gerne verzichten täte man auf opulente Balladen mit Opernsängerinnenbegleitung wie »Sometimes« oder »New Holy Ground«. Der technoide Club-Track »Pulse« wirkt im Kontrast zwar ungewöhnlich, zeigt aber den Experimentierwillen von OMD: Für das nächste Album bitte mehr von diesem Wagemut.
satt.org: Wann und warum habt Ihr euch entschieden, OMD wiederzubeleben? Und wer hat wen gefragt?
McCluskey: 2005 fragten TV-Sender vermehrt nach Shows mit uns. Dazu beauftragten uns Plattenfirmen, Alben jüngerer Elektro-Acts zu produzieren. Dann häuften sich die Auftrittsangebote: Wir entschieden uns für »Die ultimative Chart-Show« in Köln . Wir hatten dabei soviel Spaß, dass wir uns fragten: Könnten wir das nicht wieder machen? Außerdem habe ich das Touren vermisst. Ich liebe es, zu reisen, unterschiedliche Orte zu sehen und dann natürlich vor einem Publikum zu stehen. Ich dachte schon, das kommt nie wieder!
»History Of Modern« klingt als Titel ein bisschen streng und schulmeisterlich – was wollt ihr wem beibringen? Oder ist der Titel ironisch gemeint?
McCluskey: Wir haben immer einfache »Love and Hate«-Songs vermieden und stattdessen Songs über Sachen geschrieben, die uns interessierten: Flugzeuge, Ölraffinerien, Heilige, Stummfilmstars. Die besten OMD-Alben entstehen, wenn wir sozusagen eine Unterhaltung mit uns selbst führen. Dann prüfen wir, ob das noch jemand anderer hören möchte. Und bitte: Nichts gegen »schulmeisterliche« Musik, so lange sie sich gut anhört!
Die CD ist in Seite 1 und 2 geteilt – ist das eine Reminiszenz an die Vinyl-LP?
McCluskey: Ganz und gar nicht! Mir fiel es nur sehr schwer, die dreizehn Tracks in eine Reihenfolge zu bringen. Es schien einfacher, sich zwei getrennte Teile vorzustellen. Daher die alte Art.
Man braucht nur die ersten Takte des Openers »New Babies: New Toys« zu hören und weiß, das ist ein OMD-Song. Was ist das Geheimnis des speziellen OMD-Sounds?
McCluskey: Dabei hatte ich befürchtet, dass es sich nicht wie ein OMD-Song anhört! Ich glaube, wir haben eine Art des Musikmachens gefunden, die uns von anderen Bands unterscheidet und finde das gut. Früher, als sich viele neue Musikrichtungen entwickelten, haben wir uns wahrscheinlich zu viele Gedanken darüber gemacht, ob unser Stil noch relevant ist. Heute ist elektronische Musik wieder modern und wir leben im postmodernen Zeitalter: Es gibt keinen neuen Stil, nur neue Bands. Und wir können einfach wieder klingen wie wir selbst.
Welcher Song von »History Of Modern« entstand am leichtesten und mit welchem hattet Ihr Schwierigkeiten?
McCluskey: »New Holy Ground« ging am einfachsten. Schreiben und Aufnehmen haben Paul und ich in gerade mal in zwei Stunden hinbekommen. »Sister Mary Says« brauchte etwas länger. 29 Jahre, um genau zu sein.
Wie reagieren Fans und Hörer auf die neuen Songs und auf die Single? Bekommt Ihr Nachrichten von ihnen?
McCluskey: »If You Want It« scheint unsere Fans zu spalten. Aber das haben wir erwartet. Und es scheint, als würden den Leuten die meisten bisher veröffentlichten Tracks gefallen. Besonders »History of Modern Part 1« und »New Babies: New Toys« kommen gut an.
Die Achtziger-Retro-Bands kann keiner mehr zählen. Welche mögt Ihr besonders? Und wie fühlt man sich als offensichtliche Vorläufer beziehungsweise Vorbilder?
McCluskey: Wir sind froh darüber, dass Britpop tot und intelligente Musik am Synthesizer wieder cool ist. Es gibt eine Menge tolle Bands da draußen: Mirrors werden uns bei den Deutschland-Konzerten der Tour supporten, Villa Nah in England. Und Robyn ist wirklich fantastisch!
Nervt es, immer mit den Achtzigern in Verbindung gebracht zu werden? Schließlich haben OMD auch danach Musik gemacht.
McCluskey: Es ist furchtbar, wenn die Leute nicht wissen, worüber sie sprechen und zu faul sind, mal nachzugucken, was es außer »Joan Of Arc« noch von uns gibt. Diese Leute denken, wir sind immer noch die, die wir waren. Andererseits können wir die Tatsache nicht verschweigen, dass wir unsere größten Erfolge in den Achtzigern hatten.
OMD waren eine der ersten Bands, die fast ausschließlich elektronische Instrumente verwendete. War das eine bewusst avantgardistische Geste? Und wie sieht das heute aus?
McCluskey: Genaugenommen haben wir nie nur elektronische Instrumente eingesetzt. Wir hatten immer einen Bass dabei, Saxofon und andere akustische Instrumente. Uns hat vor allem der Kontrast zwischen Maschine und Mensch interessiert. Diese Spannung erzeugt den melancholischen OMD-Sound.
Kennt ihr das deutsche KünstlerInnenkollektiv Chicks On Speed? Deren Motto ist ihr Track »We Don’t Play Guitars«.
McCluskey: Ich liebe diesen Song! Chicks on Speed machen sehr interessante Sachen.
Im vergangenen Jahr habe ich OMD in einer britischen TV-Produktion* gesehen. Es ging um alte Zeiten, selbstgebastelte Instrumente und sah nach einer Menge Spaß aus.
*Im Rahmen der Arte-Sendereihe »Summer Of The Eighties«
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McCluskey: Wir hatten kein Geld. Paul hat viele unserer ersten Instrumente gebaut, wenn man die Dinger überhaupt als Instrumente bezeichnen kann. Sie brachten nur seltsame Geräusche hervor. Das war, bevor wir uns eine billige Orgel und ein elektrisches Piano leisteten – damit konnten wir wenigstens so etwas wie Songs schreiben, nicht mehr nur komische Soundeffekte erstellen. Trotzdem war es lustig und aufregend! Vor allem, weil wir uns niemals hätten vorstellen können, am Anfang einer 30jährigen Karriere zu stehen.
Ist es für Bands aus Liverpool schwierig, immer in einem Atemzug mit den Beatles genannt zu werden, auch wenn man wie OMD musikalisch gar nichts mit ihnen zu tun habt?
McCluskey: Jeder Mensch auf der ganzen Welt kennt die Beatles und weiß, dass sie aus Liverpool kommen. Für mich waren sie die größte Popband aller Zeiten – aber wir wollten mit OMD etwas komplett anderes machen. Ich denke, weil wir Synthies verwendeten, haben die Leute das auch verstanden.
Pflegen OMD eine besondere Beziehung zu Deutschland? Überall kann man lesen, dass Ihr große Fans von Kraftwerk, Neu!, Can und anderen Kraut- und Elektronikbands seid.
McCluskey: Aber sicher! Die Bands, die du aufgezählt hast, waren für uns als Teenager unglaublich bedeutend. Außerdem habe ich in der Schule etwas Deutsch gelernt, was mir dabei half, mich in Deutschland wohl zu fühlen. Und nicht zu vergessen: Wir haben hier sehr viele Platten verkauft und sind sehr oft aufgetreten. Unsere Beziehung zu Deutschland ist lang und intensiv.
Dein Lieblingsstück von Kraftwerk ist?
McCluskey: Radioactivity.
Werden OMD mit dem neuen Album auf Tour gehen? Und werdet Ihr alte Songs spielen?
McCluskey: Ja, wir gehen auf Tour, nach Deutschland kommen wir im November. Wir werden immer unsere großen Hits spielen, weil der überwiegende Teil des Publikums sie hören möchte. Aber wir werden natürlich auch Songs vom neuen Album bringen, wahrscheinlich fünf.
Vielen Dank für die Antworten. Alles Gute für euch und das Album!
McCluskey:: Ich bedanke mich.