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Martin Büsser (1968 – 2010) Foto: Ventil Verlag
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Don’t cry, work!
Zum Tod des linken
Popkritikers Martin Büsser
Schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Den berühmten Satz von Rainer Werner Fassbinder hätte der Vielschreiber Martin Büsser bestimmt unterschrieben. Viel älter als der Filmemacher ist er nicht geworden. Am 23.September ist Martin Büsser im Alter von 42 Jahren an Krebs gestorben.
Seit Mitte der Neunziger schrieb er für Fanzines wie Zap, für Popmagazine wie Intro, Polithefte wie konkret, für Wochenzeitungen wie Jungle World, WOZ und Zeit. Auch die junge Welt druckt seit vielen Jahren seine Texte über so ziemlich alle Aspekte der populären Kultur, vor allem Musik. Aus dieser Arbeit resultierten regelmäßig Bücher, etwa zur Hardcore-Szene oder zum Phänomen Anti-Folk. Zuletzt überraschte der selbstermächtigte Allrounder mit einer Graphic Novel über das Coming Out eines schwulen Jungen in der Provinz. Zeichnen konnte er also auch.
Der Do-it-yourself-Martin war er bis zum Schluss, die Ethik des D.I.Y. hatte er mit seiner Punksozialisation verinnerlicht. »Der Junge von nebenan«, so heißt sein »Bildroman«. Man kann den Titel als ironisches Selbstporträt des ansonsten wenig zur Ironie neigenden Autors lesen. Das Junge-von-nebenan-hafte hat Martin nie abgelegt, weder mit dem Alter, noch mit dem Erfolg, oder besser: der Reichweite seiner Arbeit. Und die Provinz hat er nie verlassen, in Mainz war er bis zum Schluß in leitender Funktion beim Ventil Verlag und dem dort erscheinenden Testcard-Magazin aktiv. In den Stellungnahmen zu seinem Tod wird immer wieder betont, dass mit Martin Büsser einer der bedeutendsten linken Popkritiker des deutschen Sprachraums gestorben ist. Häufig fällt das Wort integer. »Pop und Linkssein in eins setzen«, titelt die taz etwas umständlich. Linus Volkmann vom Intro-Magazin nennt ihn in seinem Nachruf den »Integritäts-Papst«, es ist als Lob gedacht. Und er erinnert an den pfälzischen Dialekt, in dem er seine Anti-Anti-Folk-Songs zum besten gab. Singen konnte er also auch, Familie Pechsaftha hieß die Band.
Martin Büsser war ein linker Popkritiker, er war kein Poplinker. Um den Unterschied und damit Büssers Arbeit zu verstehen, muss man fragen, um welche Linke es sich da eigentlich handelt. Antworten findet man in der Zeitschrift Testcard, die Büsser mitbegründet und maßgeblich geprägt hat, fernab von den Popmetropolen in der Kohl- & Beck- & Fassenachts-Stadt Mainz.
Die Themenauswahl wie die Textsorten, auch der Name Testcard erinnern manchmal an eine längst an eigener Irrelevanz eingegangene publizistische Institution der 68er Linken. Wie Testcard umkreiste das Kursbuch in seinen frühen Jahren ein Schwerpunktthema pro Heft von den verschiedensten Seiten – stets aber von irgendwie links. Auch die Kursbuch-Lektüre war mit Anstrengungen verbunden: Anmerkungsapparate, Zitatsteinbrüche, syntaktische Zumutungen. Das war vor Jahr (zehnt)en. Schon in den Achtzigern macht sich im Kursbuch eine slicke Edelfederroutine breit, die sich keine Empörung gestattet, ein Alles-schon-gesehen-Sound, zu dem Vokabeln wie, sagen wir: Ausbeutung, Elend oder Unterdrückung passen wie Turnschuhe und Birkenstocks zu Grünen-Ministern 2010: sie wurden mal viel getragen, sind jetzt uncool, und man muss sich umso heftiger davon distanzieren, sie jemals getragen zu haben.
In diesen exlinken Kreisen klopfen sie sich immer noch für jeden Verstoß gegen angebliche linke Denkverbote auf die Schulter und geißeln gratismutig »Political Correctness als Stilersatz«, wie die zur Bellizistin und Welt-Autorin gereifte Cora Stephan, in den Achtzigern noch Kolumnistin beim einflussreichen linksalternativen Pflasterstrand in Frankfurt/Main. Wenn Anti-Correctness zum Politikersatz wird, dann wächst der Bedarf nach Publikationen wie Testcard. Stilfragen sind hier Luxus, Fanzine-Ökonomie.
Langes Feilen am eleganten kurzen Text entfällt zugunsten ungefeilter langer Texte mit langen Titeln: »Jenseits von Autonomieästhetik oder Politisierung der Kunst? Essay zur kompositorischen (Post-)Avantgarde der 60er und 70er.« Tja. Und wenn man dann linke Kitsch-Phrasen lesen muss von einem »unbequemen Film zwischen allen Stühlen«, dann wird die Lektüre unbequem. Aber, die Mühe wird belohnt. Die Quälerei macht Spaß, wenn ein Text die Dialektik der Aufklärung an Bad Religion durchdekliniert, und mich fast dazu bringt, nach zwanzig Jahren wieder eine Bad-Religion-Platte aufzulegen, um mein Urteil, dass es sich hier um eine ebenso grundsolide wie grundöde Punkband handelt, zu überprüfen.
Kursbuch-Lesern dürften Bad Religion unbekannt sein. Dabei sind sie eine feste Größe im Koordinatensystem einer Linken, deren Politisierung sich in den achtziger und neunziger Jahren zwischen besetzten Häusern und autonomen Jugendzentren zugetragen hat. Eine junge, punk-affine Linke, die sich herumschlagen musste mit Fragen veganer Ernährung und dem Für und Wider einer Weltanschauung namens Straight Edge, die Hardcore-Punk mit Hardcore-Enthaltsamkeit verbindet, wenn es um Genussgifte geht. Nicht groovy. Eine glamour- wie subventionsfreie, unhedonistische Low-Budget-Linke zwischen Peripherie und Provinz, die sich das herablassende Naserümpfen der Berliner Kulturbourgeoisie schon dafür zuzieht, dass sie mehr Zeit in der Volksküche verbracht hat als in der Volksbühne.
Wenn Leute wie Martin Büsser nicht bereit waren, ihre Adoleszenz zwischen Hardcore und Autonomie so sorgfältig zu frisieren oder ganz zu entsorgen, wie das die Mehrheit der linken Hippies mit ihrer Vergangenheit getan hat, dann liegt das zum einen daran, dass für solche Metamorphosen mittlerweile weniger Prämien und »Career opportunities« (The Clash) angeboten werden als vor 20, 25 Jahren. Zum anderen lässt die Beharrlichkeit, mit der Testcard seine Themenfelder beackert, die vom feuilletonistischen Establishment (dieses Wort stand früher da, wo heute Mainstream steht) erst wahrgenommen werden, wenn sie eine gewisse warenförmige Attraktion erreicht haben (Antifolk, Emo, Gender, Queer), darauf schließen, dass hier Überzeugungstäter am Werk sind. Leute wie Martin Büsser oder die ebenfalls jung gestorbene Tine Plesch, die niemals schlafen, weil sie Tag und Nacht Bücher lesen, Platten hören, Konzerte besuchen müssen, um darüber zu schreiben. It’s a dirty job but someone ’s gotta do it. Dass manche Texte, die unter solchen Bedingungen produziert werden, anstrengend sind – geschenkt. Die Anstrengung, sich mit Konventionen, Denkverboten und Fehlentwicklungen auch in den eigenen Milieus zu konfrontieren, hat Martin Büsser auf sich genommen. Und er hat sie von anderen gefordert. Integrität ist Arbeit.
Erstveröffentlichung in: junge Welt, 29. September 2010
www.ventil-verlag.de
kondolenz-martin.blogspot.com