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18. Oktober 2010
Tina Manske
für satt.org

City Slang turns 20

Die Berliner Nacht

Es klingt wie eine Verheißung für Menschen, die sich nicht gerade darum schlagen, auf großen schlammigen Feldern zu poguen, drei Tage nur rudimentäre Körperhygiene walten zu lassen und dann mit hunderten von anderen gen Zelt zu wanken: ein Musikfestival mitten in der Stadt! Und tatsächlich ist das Berlin Festival auf dem besten Weg, sich zu einem der großen Highlights des Musikjahres zu entwickeln - auch wenn es im zweiten Jahr auf dem Gelände des Tempelhofer Flughafens wegen des Abbruchs des ersten Tages (aufgrund eines zu großen Andranges von Besuchern) zu Diskussionen über die Sinnhaftigkeit dieses Abbruchs kam.

Das Line-Up des Jahres 2010 sprach einfach für sich: LCD Soundsystem, Robyn, Adam Green, Editors – Acts, von denen die Veranstalter ein Jahr zuvor noch geträumt hatten. Die beste Nachricht aber war, dass die Soundprobleme, die noch 2009 so manchen Besucher genervt hatten, fast kein Thema mehr waren.

  Stridulum II von Zola Jesus
Stridulum II von Zola Jesus
» zolajesus.com

Zola Jesus Live:
09.11.10: Berlin - Festsaal Kreuzberg
10.11.10: Prag - Club Matrix
11.11.10: München - Rote Sonne
12.11.10: St. Gallen - Palace

Junip: Fields
Fields von Junip
» junip.net

Barbara Panther: Empire
Empire von Barbara Panther
»barbarapanther@myspace

Barbara Panther Live:
08.11.10: München - Feierwerk
14.11.10: Leipzig - Central Theater
15.11.10: Hamburg - Uebel & Gefährlich
16.11.10: Heidelberg - Enjoy Jazz Festival
29.11.10: Köln - Gloria
05.12.10: Frankfurt a.M. - Mousonturm

Das überzeugendste labelexklusive Line-Up des Festivals aber hatte zweifellos City Slang, dessen Künstler zahlreich den Weg an die Spree gefunden hatten. Schließlich gab es aber auch was zu feiern, denn das Label wird in diesem Jahr 20 Jahre alt, und immer noch schafft man es dort, nur die Musik zu veröffentlichen, hinter der man hundertprozentig stehen kann.

So wie die neueste Entdeckung Zola Jesus, hinter der sich die gerade mal 21-jährige Nika Roza Danilova verbirgt. Auf der City-Slang-Geburtstagsbühne im Hangar 5 beginnt sie den Abend mit einem widersprüchlichen Programm, das einerseits aus ihren mit Altstimme gesungenen düsteren Songs, andererseits aus einem Madonna Konkurrenz machenden Fitness-Programm besteht. Hier ist er offenbar, der »happy goth«, den Neil Hannon besingt. Zola Jesus spielt ihr Debütalbum »Stridulum II«, und die Anklänge an Vorbilder wie Joy Division sind unüberhörbar. Danilovas Stimme hingegen kann man nur mit Siouxsie and the Banshees vergleichen. Zola Jesus' düstere, sich selbst noch in den luzidesten Momenten einem seltsamen Fatum ergebenden Songs passen wunderbar in eine Zeit, in der Vampire zu Popstars werden und Teenies sich Wiedergänger übers Bett hängen. Mit ihrem Auftritt in Berlin machte Miss Danilova klar, dass sie einer der future classics werden könnte.

Beim Verlassen des Hangars 4 nach dem beeindruckenden Konzert von Fever Ray (mit dem sich Karin Dreijer Andersson in den Augen vieler zur unangefochtenen Königin des Festivals gemacht hat), kann man die Auswirkungen dessen sehen, was tags darauf in den Zeitungen »die Angst vor einem zweiten Duisburg« heißen wird: Zuviele Menschen haben sich durch augenscheinlich zu enge Gatter zwängen müssen, weshalb die Zutrittsanlagen kurzerhand verlegt wurden. Hinter der Absperrung riecht es da schon mächtig nach Kloake, weil viele der männlichen Besucher offensichtlich die ausreichend vorhandenen Klos nicht gefunden haben. Doch bevor man sich darüber aufregen kann, erklingen im Hintergrund vertraute Töne. Es sind die Akkorde von »In Every Direction« von Junip, der Band von José Gonzáles, mit der er auch schon vor seiner Solokarriere unterwegs war. Junips Album »Fields« ist, das kann man wohl so sagen, ein kleines Wunder in diesem Herbst, eine Platte, die geradewegs auf das Herz zielt, das aber nicht vordergründig tut, sondern hintenrum kommt, mit leisen Melodien, perfekt getupfeltem Gitarrengezupfel und der unverwechselbar sanften Stimme José Gonzáles. Eine Singer / Songwriter-Platte, die in keinster Weise so harmlos ist, wie es diese Schublade vermuten lässt. Das liegt auch daran, dass Junip auf großartige Art und Weise Elektronik mit in ihre Songs integrieren. »In Every Direction« ist das perfekte Lied, um in die Berliner Nacht entlassen zu werden - und »Fields« eine Platte für den 2010er-Hippie in uns allen.

Eigentlich hätte auch Barbara Panther noch im Hangar 5 auftreten sollen, doch der Abbruch des Festivals aus Sicherheitsgründen betraf auch sie. Auf ihre famose »Empire EP« soll hier dennoch aufmerksam gemacht werden, denn die Berliner Afro-Voodoo-Masterin öffnet darin ihren exquisiten Salon für die Allgemeinheit. Unter einfallsreichen Elektro- und Soulklängen bewirbt sie sich als Hybrid zwischen Björk und Grace Jones, und man verfällt ihrem extravaganten Charme recht schnell. Ein bisschen verrückt, ein bisschen schräg und dabei - wie bei »Voodoo« - auch mit sehr viel Witz. Vier Songs, die neugierig auf die erste Platte dieser hyperaktiven Nachtkatze machen.

City Slang aber gratulieren wir hier nochmals nachträglich aufs Allerherzlichste zum 20-Jährigen und freuen uns auf die nächsten Platten.