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12. Oktober 2010
Christina Mohr
für satt.org

  Jens Friebe - Abändern
Jens Friebe: Abändern
(ZickZack)
» jens-friebe.de
» whatssofunnyabout.de

Jens Friebe (Foto: Oliver Schultz-Berndt)
Foto: Oliver Schultz-Berndt




»Wenn etwas selten geht, geht es auch öfter«

Scott Walker, Ronald M. Schernikau, Venga Boys, Modern Talking und Little Richard – sie alle sind nur einige Künstler, die als Zitat, Verweis, Hommage, Inspiration oder Coverversion den Weg ins neue, vierte Album von Jens Friebe fanden. Trotz – oder gerade wegen – der vielen unverschleierten Fremdeinflüsse klingt Friebe auf »Abändern« ganz bei sich, obwohl sich soundmäßig (man verzeihe mir dieses abgehalfterte Pseudo-Checkerwort) einiges getan hat: Weniger Gitarren, an ihrer Stelle regiert das Klavier. Aber nicht als »lahm viertelnde Balladenmaschine, zu der das Instrument in der jüngeren Popgeschichte verkommen ist, sondern in der wilden Tradition Little Richards«.* Und mehr Frauen sind dabei: Julie Miess bedient wieder den Bass, als Gastsängerinnen sind Almut Klotz und Justine Electra zu hören. Neben Miess sitzt als feste, irre Größe wieder Chris Imler am Schlagzeug. Auch Berend Intelmann blieb an Bord und zeichnet für die Produktion verantwortlich. Also vieles anders und einiges gleich bei »Abändern«, dessen für Friebe ungewohnt prosaischer und gleichzeitig rätselhafter Titel sich beim Hören des Venga Boys-Covers »Up And Down« erschließt. Die elf neuen Songs, von denen »Theater« schon einige Male live gespielt wurde, leben noch selbstverständlicher als Friebes ältere Stücke vom Kontrast, respektive der Verbindung von Trash und Glamour, von Hoch- und Schrottkultur, von Talmi und Gold. Das zeigt sich in der Musik, wenn Friebes Klavier und rüde Elektronik (zum Beispiel die von The Normals »Warm Leatherette« geborgte Synthiemelodie in »Sei mein Plus Eins«), Punkrock und Burt Bacharach nicht neben-, sondern miteinander laufen; und auch und vor allem in den Texten. Der Refrain auf »Charles de Gaulle« wirkt beim ersten Hören wie ein holpriger Zungenbrechervers, beim zweiten Mal geht er völlig smooth über die Lippen: »Und die Jahre, die wir brauchen, bis wir uns davon erholen / zieh'n vorbei wie fremde Koffer auf dem Band zum Charles de Gaulle / und die Lotsen winken den Piloten Lebewohl.« Es geht aber auch ganz schlicht. Hört »Sag ja«: »So lang du sagst, du kannst mich leiden, denk' ich drüber nach.« Im geheimnisvollen »Vögel« starrt die besungene Person im Supermarkt ins Duschgel-Regal, in »Verbotene Liebe« erfährt Modern Talkings »Atlantis Is Calling« neue Ehren. Und zwar einfach so, ohne doppelt- und dreifaches Augenzwinkern, das »Achtung, Ironie!« herbeigestikuliert. Kurzum: Jens Friebe ist mit »Abändern« erneut ein Album gelungen, das für sich steht. Die Platte (für das altmodische Wort entschuldige ich mich nicht) verfügt über eine geschickte Dramaturgie, die unbedingt dafür spricht, sich das Komplettwerk anzuschaffen, anstatt lieblos einzelne Tracks herunterzuladen. Dass wir in der Frage Ästheten sind, sollte bekannt sein. Frau Mohr fragte nach Details, Herr Friebe antwortete.

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Die Albuminfos auf Deiner Website sind ausführlich und konkret – willst Du Fehlinterpretationen vorbeugen?

Jens Friebe: Ich habe nichts gegen Fehlinterpretationen, aber ich habe auch nicht die Panik, dass die Texte sofort zu einem eindimensionalen, banalen Nichts werden, wenn man etwas über sie erzählt. Ich teile nicht die Auffassung, man dürfe den Hörern ums Verrecken nicht »vorschreiben«, wie sie die Texte zu verstehen haben und müsse alles ja immer offen lassen. Die Hörer hören, egal was man ihnen erzählt, sowieso was sie wollen. Zu Recht natürlich.

Was an »Abändern« sofort auffällt, sind das Klavier und die Frauenstimmen. Wie kommen sie so prominent auf die Platte?

Jens Friebe: Der Ansatz war, mit möglichst wenig Aufwand und möglichst wenig Gitarren, derer ich müde war, möglichst viel Wirkung zu erzeugen. So lag es nahe, mein erstes Instrument, das Klavier, zu benutzen. Und Frauenchöre sind ein sehr gutes Mittel, um Sachen auf lebendige Art zum Strahlen zu bringen, ohne überkitschig zu werden.

Ich musste beim Klaviersound nicht nur an Little Richard denken, sondern auch an Sailor: »Girls, Girls, Girls«, »Glass of Champagne«. Kennst Du die noch, findest Du sie gut?

Jens Friebe: Ich erinnere mich nur vage. Aber war das nicht so ein richtiges Westernklavier? Das hatte ich sicher nicht im Hinterkopf bei unseren Aufnahmen.

Was könntest Du dir künftig noch vorstellen? Hast Du nicht mal gesagt, dass Du Saxofone so furchtbar findest, sogar bei Prefab Sprouts »Andromeda Heights«. Gilt das noch?

Jens Friebe: Wenn ich mich recht entsinne, sprach ich im Zusammenhang mit »Andromeda Heights« von der synthetischen Mundharmonika. Bevor ich auf einer meiner Platten eine solche verwende, werde ich wahrscheinlich eher Wirtschaftsliberaler, politischer Kabarettist oder gebe meinen Vegetarismus zugunsten exzessiven Affenkonsums auf.

Ist »Charles de Gaulle« ein Sequel von »Jeu du Cons«: Hast Du ein Faible für Koffer und Frankreich? Oder bist du inzwischen soweit, selbstreferenziell zu arbeiten? Wird es eine Koffer/Frankreich-Trilogie geben?

Jens Friebe: Anscheinend habe ich dieses Faible. Motivhäufungen entziehen sich ja meist der Kontrolle des dichtenden Subjekts. Sie sind wie Füllwörter in der Sprache und nervöse Ticks in der Mimik. Man kann sie nur erstaunt registrieren und rückwirkend zum Konzept erklären. Trilogien pflegen bei mir unvollendet zu bleiben, siehe die Devotismus-Duologie mit »Lawinenhund« und »Frau Baron« plus die Auto-Duologie mit »Bring mich zum Wagen« / »Das mit dem Auto ist egal...«.

Zu »Königin im Dreck«: Du verweist auf den jung verstorbenen Schriftsteller Ronald M. Schernikau, der noch Anfang September 1989 in die DDR übersiedelte. Viele kennen ihn ja erst durch Matthias Frings' eitle Biografie »Der letzte Kommunist«. Seit wann kennst Du Schernikaus Texte, was magst Du an ihnen und was fasziniert dich an der Person Schernikau?

Jens Friebe: Ganz ehrlich gesagt bin ich auch durch die Berichterstattung zu Frings' eitler Biografie auf Ronald Schernikau so sehr neugierig geworden. Den Namen kannte ich wohl vorher, aber mehr auch nicht. Ich kaufte mir Frings' Buch, konnte es nicht lesen und bin dann direkt zur Primärliteratur übergegangen. Faszinieren tut mich an Schernikau die selbstverständliche Verbindung von Tuntenaktivismus und Kommunismus, die Tiefe seiner Sprache bei gleichzeitiger Albernheit, sein kecker, netter Ton. Ich kenne keinen, der die Welt in ihrer jetzigen Gestalt auf so wenig verbitterte Art und gleichzeitig so entschieden abgelehnt hätte.

Und die Leute, die Schernikau nicht kennen: Was hören die bei »Königin im Dreck«?

Jens Friebe: Im besten Fall all das zumindest als Ahnung.

Zur Dualität von Billig und Teuer, die ja auch im Text von »Königin im Dreck« vorkommt.

Jens Friebe: »Billiges mit Teurem kombiniert« ist ja so eine leicht affige Lifestyler-Wendung, entstammt also der Welt des Luxus, der sinnlichen Verfeinerung. Gleichzeitig steht es auch in Verbindung mit dem Gegensatz des direkt bei Schernikau entlehnten Titels: Königin / Dreck – teuer / billig. In einer noch weiter gehenden Deutung kann das Billige, im Sinne von »recht und billig« das sein, was einem zusteht, das Teure den hohen Preis bezeichnen, den man für das Billige zahlen muss.

Wir sind Helden haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass sie vor lauter Kinderkriegen und Familiengründen kaum dazu kamen, aktuelle gesellschaftliche Zustände zu beobachten und deshalb seien die Texte auf ihrem neuen Album auch eher privat. Ist das nicht vielleicht eh' besser? Wie konkret / gesellschaftskritisch / politisch dürfen Poplyrics sein?

Jens Friebe: Das ist schwer zu beantworten. Oder anders: Wie politisch, würdest Du sagen, sind Lieder wie Dylans »A hard rain's a-gonna fall«, Sidos »Mein Block«, »Rettet die Wale« von Gustav oder Rio Reisers »Heut Nacht«? Nimm' noch Lennons »Imagine«, »Family Affair« von Sly & The Family Stone, Friebes »Theke mit den Toten« und »Königin im Dreck« oder »Go West« von den Village People oder die Version der Pet Shop Boys. Theoretischer: Wenn die eigene Begierde in Konflikt mit äußeren Zwängen tritt, wenn der persönliche Stolz durch Diskriminierung verletzt wird, oder wenn politische Entscheidungen die eigene materielle Existenz gefährden, ist das Private ohnehin politisch. Aber auch die akut Unbedrängten hängen im Netz der gesellschaftlichen Realität und müssen sich immer überlegen, was passiert, wenn sie wie zappeln. Das Besingen der Gesamtproblematik aus einer privilegierten Position heraus ist ästhetisch schwierig. Es lauern Benefizkitsch, Essayismus und weltschmerzverzerrte Überspanntheit. Problemen aus dem Weg zu gehen, halte ich aber auch nicht grundsätzlich für besser. Gestern habe ich noch »Pastor Aleman« von F.S.K. gehört und dachte: Ah ja, so kann man das machen. Und wenn etwas selten geht, geht es auch öfter.

Ich musste lachen, als ich die ersten Takte von »Up And Down« hörte - das ist ja tatsächlich DAS »Up and Down« von den Venga Boys! Wie bist Du darauf gekommen? Stand das auf der Liste der Songs, die du immer schon mal covern / bearbeiten wolltest? Oder kam die Idee anders zustande?

Jens Friebe: Ich machte Probeaufnahmen mit dem Schlagzeuger Chris Imler und spielte den »Lick« vor mich hin. Er sagte: Genau, lass' uns das machen. Ich mochte das Stück und dessen Zwilling »We Like To Party!« immer sehr gerne.

Wird es bei den kommenden Konzerten durchchoreografierte Tanzeinlagen zu »Up And Down« geben?

Jens Friebe: Ich glaube nicht.

Songs wie »Vögel« und »Irre« haben Burt Bacharach- und Scott Walker-Momente. Ganz speziell sind die Glöckchen bei der Engel-Stelle in »Irre«). Was magst Du an diesen Künstlern?

Jens Friebe: Vielen Dank für den Vergleich. Bei beiden bewundere ich die kompositorische Virtuosität, bei Walker vor allem den düsteren Aspekt, den Wahnsinn, in den der ganze grandiose Pop schon bei seinen frühen Sachen immer abzudriften drohte. Bei seinem Album »The Drift« von 2006 war's dann schon selbst mir zu arg. Bei »Irre« habe ich allerdings selbst eher an Angelo Badalamenti denken müssen.

Du warst in letzter Zeit oft als Autor unterwegs – viele Leute hatten schon befürchtet, dass du vielleicht gar keine Platten mehr machen willst.

Jens Friebe: Wenn wirklich viele Leute das befürchten, können diese vielen Leute ihrer Furcht die Grundlage entziehen, indem sie meine Platten kaufen und meine Konzerte besuchen.

Eins der besten Rezepte gegen Furcht seit langem. Wir schließen uns der Empfehlung an.