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10. Januar 2011
Philipp Rhensius
für satt.org

  Shackleton: Fabric 55
Shackleton: Fabric 55
Fabric (Rough trade)
» Fabric


Shackleton – Musikalische Klangemanzipation für den Dancefloor

Musik und Kunst sind in der Lage, Bedeutungen auszudrücken, die hinter den eindeutigen Zuschreibungen von Sprache stehen. Die Musik von Shackleton kann genau das: Etwas kommunizieren, was sonst durch die verkürzende Welt der Wörter verdeckt wird. Endlich wird seine Musik mit einem Livealbum auf der Mixreihe des Londoner Clubs Fabric gewürdigt.

Seine Musik ist so vereinnahmend, so fremdartig und gleichzeitig so vertraut wie die Protagonisten in einem David Lynch-Film. Sie ist nicht nur in der Lage, das Verständnis von moderner elektronischer Musik, sondern gleich die eigene musikalische Ästhetik radikal zu revidieren. Denn die faszinierende Mystik und Energie seiner Tracks kreiert Vektoren, die den Rezipienten in ein Paralleluniversum transportieren, von dem man nie gedacht hätte, dass es überhaupt existiert. Eigentlich klingen die ekstatischen Livesessions des britischen Künstlers wie eine fünfköpfige Krautrockband, die auf einer musikethnologischen Reise durch den Nahen Osten auf King Tubby, den Erfinder des jamaikanischen Dub, treffen, um sich die Grundlagen des Genres erklären zu lassen.

Der englische Künstler verarbeitet in seiner Musik Elemente aus Dubstep, türkischer Saz-Musik, Krautrock sowie Techno zu einem Sound, der durch die endlos scheinenden, an Dub geschulten Echos zusammengehalten wird. Stark verhallte Percussions, die klingen, als seien sie in einer riesigen Fabrikhallle aufgenommen, versuchen sich gegen die stets präsente Basswand durchzusetzen und werden dabei gelegentlich von glasklaren Tamburinschlägen unterstützt. Klare Melodien bleiben aus, werden dabei stets nur angedeutet und stammen meistens von stark verfremdeten, aber akustischen Instrumenten wie etwa einem Akkordeon oder einer Flöte. Menschliche Stimmen, oft in Form ritueller Gesänge, sind im Mix lediglich noch Reminiszenzen an musikalische Strukturen, die längst überwunden scheinen. Die musikalische Zukunft ist hier bereits Gegenwart.

Während das moderne Sounddesign auf eine westlich geprägte Sozialisation elektronischer Tanzmusik verweist, so wird durch die exakt gespielten Tablas und Congas der Einfluss türkischer und nahöstlich geprägter Musik deutlich. Die frei schwebenden Percussions bleiben ohne klare Struktur. Shackleton emanzipiert die in den meisten Musikstilen (Pop, Rock oder Hip-Hop) verwendete Standard-Kombination von Snare und Bassdrum. Damit erzeugt er einen Fluss, den musikalische Avantgardisten wie Terry Riley oder John Cage schon in den 60ern zu erreichen versuchten, indem sie die radikale Repetition von kurzen Motiven bei gleichzeitiger Variation anstrebten.

Die durch die unterschiedlichen Klangwelten erzeugte Spannung ist dabei einmalig. Und so wird die Musik selbst zu einem pulsierenden Lebewesen, welches ständig unterwegs ist, aber nie anzukommen scheint. Wie der Künstler selbst, möchte man meinen. Denn nach der plötzlichen Auflösung seines mittlerweile zum Kult avancierten Labels Skull Disco aus Bristol und Aufenthalten in der Türkei und Ungarn ist nun Berlin seine neue Wahlheimat. In diesem Sinne kann die Musik als paradigmatisch stehen für eine globalisierte Musiklandschaft, die an den Grenzen der eigenen lokalen Prägungen keinen Halt macht und lieber einem Eklektizismus frönt, der den Beat jenseits der geraden Bassdrum für westeuropäische Clubs salonfähig macht.