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10. Januar 2011
Dominik Irtenkauf
für satt.org

  Sólstafir: Köld
Sólstafir: Köld
Spinefarm Records (Soulfood)
» myspace


Isländisch herb:
Eine Liebescombo

Kalt ist die Musik, entsprechend des isländischen Titels der neuesten Platte »Köld«, die jedoch auch schon zwei Jahre zurück liegt. Rau und ruppig: vornehmlich Rockmusik, unterlegt mit der musikalischen Vergangenheit der Band: Black Metal. Wieder einmal lauert dieses nicht totzukriegende Biest unter der schuppigen Oberfläche. Die Erscheinung auf der Bühne muss nicht unbedingt Metal sein. Die Gitarristen wirken eher wie Cowboys, die auf dem Rücken ihrer Pferde nach Deutschland geritten sind. Ein Song der noch aktuellen Scheibe hört auf den Titel ‚Pale Rider‘. Die Verlassenheit des einsamen Revolverhelden scheint durch und ich erinnere mich an eine Diskussion mit dem isländischen Regisseur Fridrik Thor Fridriksson, der von der Faszination der Isländer für amerikanische Western erzählte. Aðalbjörn Tryggvason schmiegt sich ans Mikrofon, schwenkt die Gitarre und hält sie in die Höhe, schrubbt die Saiten entlang - das sattsam bekannte Black Metal-Riff ertönt aus den Lautsprechern. Schnell schrill schreiend kalt.

Doch das Konzert am 22. Dezember in Stuttgart - zumindest während des Sólstafir-Auftritts - wirkt gar nicht sehr nach Metal. Eher rockt hier eine besonders raue Seventies Rock-Band. Zuweilen wird es gar psychedelisch, wenn der zweite Gitarrist »Pjuddi« seine Solos anstimmt. Irgend etwas drückt von unten gegen das Metalkostüm. Besonders, wenn Aðalbjörn in Isländisch singt, wirken Sólstafir alles Andere als eine Metalband. Ist es das Land, das im Gletschereis und Vulkanasche eine andere Mentalität in die Musik bringt? Aðalbjörn trägt einen Thorshammer um den Hals.

Auf »Köld« ist nur der Song, der die Liebe im Titel trägt, kürzer als sieben Minuten: ‚Love Is The Devil (And I Am In Love)‘. Unter den Schuppen des wilden Biests schlägt ein wundes Herz. Die isländische Literatur ist voll dieser Geschichten. Eine andere Band dieses Genres - Solefald aus Norwegen - erzählten auf ihren zwei Alben, die unter dem Obertitel »An Icelandic Odyssey« zusammengefasst wurden, vom Schicksal eines Hofdichters, der die Königin zu sehr mit seinen Worten bezirzte und dem der König und sein neidvoller Anhang eine Affäre mit der königlichen Gattin angedichtet hatten. Er wird geächtet und muss fliehen. Ähnlich ergeht es dem lyrischen Ich auf der Sólstafir-Scheibe »Köld«. Nur daß dieses Ich bereits von Beginn an verloren ist. »No I don't know where to go / No I don't know how to show / I just don't know it«, wobei dies noch der bleiche Reiter sagt. Noch in der Verlorenheit zeigt er Stärke, weiterzumachen, trotz der ganzen Schmerzen. »Is it worth the pain to keep on fighting« - im ‚Necrologue‘ nimmt diese Frage eine morbide Wendung. Man ist schon so gut wie tot, und macht dennoch weiter, weil ... ja, warum eigentlich? Weil es noch was zu sagen gibt.

Es wirkt trivial, doch: das Leben ist mitunter tragisch. Schicksalsschläge werfen Menschen zurück, bringen sie an den Rand der Belastbarkeit, flüstern den Todesgedanken ins Ohr. Der Halt geht mitunter verloren: die Frau, die Familie, die Kinder, das Haus, die Heimat, der Sinn im Leben. In einer Wüste aus Schotter und Eis richten sich die Isländer ein: viele junge Leute verlassen das Land in Richtung Großbritannien oder Skandinavien. Andere bleiben, wie die Mitglieder von Sólstafir und sie thematisieren nicht genrefreundliche Inhalte, wie die nordische Götterwelt. Oder vielleicht doch - kann es sein, dass auf »Köld« die uralte literarische Tradition unter scheinbar alltäglichen Schilderungen hervorscheint?

In den Sagas geraten Einzelne in Konflikt mit der Gemeinschaft, ecken an, begehen unwiderrufliches Unrecht, werden geächtet, von Vater und Familie verstossen - aus diesen Konstellationen ergeben sich Storys von Leben und Tod. Black Metal hat es an sich, eher die deprimierenden Seiten des Lebens zu betrachten. Dann wird es zuweilen richtig kalt, man bibbert vor Erregung oder Angst. Streitet mit dem Vater, der es nicht mehr ertragen kann, dass der eigene Sohn unter demselben Dach, zudem ohne Frau, lebt. Dabei weiß der Vater nicht, was den Sohn bewegt, daß er jede einzelne Schneeflocke in seinem Herzen spürt, wenn er aus dem Fenster blickt. Ähnliches Szenario findet man im Video zu Sólstafirs Song ‚Love Is The Devil (And I Am In Love)‘. Von Angesicht zu Angesicht ist eine Liebeserklärung unmöglich; Briefe müsste man schreiben, aber das verbittet die Situation. Schließlich sieht man sich jeden Tag.

Und aus Trotz sucht man die Fehler beim Anderen. Weil die Liebe unter der rauen Oberfläche lauert, kennt man die schrecklichsten Arten, sich gegenseitig auf die Folter zu spannen. Bevor man sich versieht, ist man tot.

Absolutes Rauchverbot im Jugendklub. Will man eine Zigarette rauchen, muss man in die Kälte. Dort stehen sie, die loyalen Anhänger, und nutzen die Umbaupausen. Es schneit nicht. Doch Schnee ist für Heiligabend vorhergesagt - Weiße Weihnacht überall. Die Statistik der Selbstmörder steigt um die Feiertage, denn das Fest der Liebe ohne Gesellschaft verbringen zu müssen, das ist zuviel für das Menschenherz. Silvester aus Protest gegenüber der Partykultur allein im Wohnzimmer zu verbringen und noch vor dem Jahreswechsel ins Bett zu gehen, ist etwas Anderes, als den Weihnachtsschmaus ohne Partner erleben zu müssen. Diese Ohnmacht vor der Sehnsucht nach Geselligkeit und die Unmöglichkeit - die Gründe sind so vielfältig wie Menschenschicksale – dieser Sehnsucht nachzugehen, versetzt Sólstafir als Metalmusiker in die Lage, Themen anzusprechen, die viel mehr Hörer ansprechen können, als es die Szene zu erfüllen vermag.

Stellt sich nun die Frage: Sind Sólstafir Black Metal oder sind sie es nicht?

Musikalisch haben sie ihre Wurzeln eindeutig in diesem Sub-Genre des Heavy Metals. Konzeptionell wird die Frage schon ein wenig kniffliger: die vier Musiker tragen kein Corpsepaint, was mittlerweile jedoch kein Ausschlußkriterium mehr darstellt; in ihren Songs treten klirrendkalte schnelle Gitarrenriffs auf, die dem Black Metal zuzuordnen sind; ideologisch berufen sich Bands, die am Rande dieses Sub-Genres operieren, auf die starke Fokussierung auf Individualismus, der ihnen einen Freischein für stilfremde Einflüsse verschafft. In diese Kategorie passen Sólstafir.

Gewisse Szenen legen besonders auf Innovationshemmung Wert. Das hören entsprechende Kultisten nicht gern, doch sind der Toleranz in musikalischen Dingen gewisse Hemmschwellen gesetzt. Sólstafir müssen sich daran nicht halten, weil sie seit Beginn ihrer Laufbahn klargemacht haben, daß sie es nicht mit Erfüllung, sondern Verzweiflung halten. Musikjournalisten begründen diese abseitige Position mit der Herkunft der Band. Island gilt als Garant für das Atypische. Auch in musikalischer Hinsicht. Worin diese Kreativität wurzeln mag, kann nur höchst spekulativ beantwortet werden. Vielleicht liegt es an der isolierten Lage der Insel. Vielleicht am kalten Nordwind, der einem beinah die Rübe wegbläst. Möglicherweise auch an einer gewissen kulturellen Konstante: menschlichen Überlebens in einer unwirtlichen Umwelt. Vielleicht sind die einzelnen Sólstafir-Platten Ausdruck einer tiefergehenden Ökologie: den emotionalen Haushalt des Menschen angesichts drohender Vulkanasche und Kälte am Leben zu halten. In diesem Sinne sind sie Black Metal, denn die Erprobung intensiver Emotionalität drückt sich bereits, wenn auch nicht nur akustisch aus. Der Titeltrack zum Album ist in Isländisch gehalten. Dabei behandelt das Album in ganzer Länge eine Erweckung abgestorbener, vielleicht unterkühlter Lebenskräfte - und das mit allen Mitteln der Rockmusik im Gewand des Black Metals. Letzterer verfügt über eine längere Erfahrung mit Kälte. Und ist es nicht eben jene Kälte, die uns an Weihnachten - auch 2010 - die Liebe einflösste, uns strömen machte vor lauter Freude?

In Zuffenhausen wird eben nicht nur Porsche gebaut, sondern auch geliebt. Sólstafir kamen auf bleichen Rossen, um die Schwärze der Winternacht zu küssen. Und wer kann da schon metallisch hart bleiben? Lieben oder untergehen. Das ist eben auch Black Metal: seinem Weg zu folgen, und wenn es die Liebe ist.