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28. Februar 2011
Wolfgang Buchholz
für satt.org

  Christiane Rösinger - Songs of L. And Hate
Christiane Rösinger:
Songs of L. And Hate

(Staatsakt)


»Die Rösinger« in Hamburg

»Die Rösinger« – das klingt zwar nicht nett, soll aber als großes Kompliment verstanden werden, sagt man das doch eher im Kontext von »die Leander«, »die Knef« oder »die Dietrich«. Vom fröhlichen Indie-Pop (Lassie Singers) über intelligenten Singer-Songwriter-Pop (Britta) bis hin zu klavierbegleiteten Chansons (Solo) reicht das musikalische Spektrum von Christiane Rösinger. In Deutschland gibt es wenige Künstlerinnen dieses Kalibers, die über Jahre hinweg solche tolle Musik mit bemerkenswerten Texten machen. International fallen mir Patti Smith und Marianne Faithfull oder Kim Gordon und PJ Harvey ein. Obwohl Christiane Rösinger auch als Buchautorin, Journalistin, Clubbetreiberin und Labelinhaberin aktiv war und ist, blieb sie doch mehr oder weniger ein Insidertipp. Mittlerweile fünfzig Jahre alt hat sie im letzten Jahr ihr erstes Solo-Album »Songs of L. and Hate« veröffentlicht. Musikalisch nah bei Leonard Cohen oder Neil Young verortet, covergestalterisch Dylan zitierend, hat sie in Zusammenarbeit mit dem gleichwohl kreativen und hochtalentierten Andreas Spechtl von »Ja, Panik« eines der besten deutschen Alben in 2010 veröffentlicht. Ich war gespannt, wie die Live-Performance zur neuen Platte ausfallen würde.

An einem Samstag im Februar gab es dann ein Rundherum-Wohlfühl-Paket in Hamburg: Am Nachmittag spielte der Verein meines Herzens am Millerntor und am Abend trat die »Grande Dame des deutschen Indie-Pops« im Übel & Gefährlich auf. Nachdem ich mich nach der desolaten Vorstellung am Nachmittag etwas gesammelt hatte, ging es mit dem Lastenaufzug in die oberen Etagen des Bunkers der »Hamburg School of Music«, wo sich der Club befindet. Frau Rösinger ist angesagt: Der Laden war ziemlich voll, das Publikum gemischt, in Frankfurt war ihr Konzert zwei Wochen vorher restlos ausverkauft. Neben Spechtl am Klavier besteht die Band aus Stefan Pabst (»Ja, Panik«-Bassist und »Schätzmeister«) am Schlagzeug und aus der verdammt jung aussehenden Tanja Pippi (Jolly Goods) an der Gitarre.

Los ging es mit »Sinnlos« und trotz der Tief-Traurigkeit der Lieder sah man sehr viele zufrieden lächelnde Gesichter im Publikum. Christiane Rösinger ist die gute alte Freundin, bei der man gerne sein Herz ausschüttet und bei der man das eigene oder fremde Unglücklichsein in guten Händen weiß. Und nett ist sie auch noch, geholperte Versionen und falsche Texte goutiert man mit Wohlwollen.

Als die Stimmung zu gut wurde, bemerkte sie: »Euphorie ist ein nicht dauerhaft zu empfehlendes Gefühl«. Sie spielte das neue Album komplett, ein paar Lieder von Britta und auch den einen oder anderen Lassie-Singers-Klassiker – großartig war insbesondere »Jeder ist in seiner eigenen Welt, aber meine ist die richtige«. Das Nico/Jackson Browne-Cover »These days« erweist sich als denkbar schlechtes Lied zum Bierholen, wenn man in der zweiten Reihe steht. Bei diesem Song war das Publikum mucksmäuschenstill in der »Schatzstadt Hamburg«, in der acht von zehn der neuen Lieder eingespielt wurden – und auch bei »Kleines Lied zum Abschied« oder dem Cohen-Cover »One of us can not be wrong« mit dem Rösinger und Spechtl das Konzert beendeten. Vorher war aber auch liederweise Euphorie erlaubt, so bei der »Pärchenlüge« oder dem frei improvisierten Britta-Stück »Wer wird Millionär«. Doch am Ende muss man wieder runterkommen, sagte die Rösinger. Das galt heute so oder so. Wenig später nahmen wir mit Spechtl und seinem Klavier den Lastenaufzug nach unten. Die Hamburger Nacht war verdammt kalt und es hatte geschneit. Das passte doch.

Christiane Rösinger (Foto: Claudia Heynen)
Christiane Rösinger (Foto: Claudia Heynen)