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The National – Trouble will find me 4AD /Beggars Group 2013 » Bandseite » amazon
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Der Bariton des Matt B.
Warum The National eine große Band ist? Sie hat die Größe, Sätze wie »I keep feeling small and smaller« zu singen, ohne wehleidig zu wirken. Und sie hat die Größe, »I was teething on roses, I was in guns and noses« zu reimen, ohne albern zu wirken.
Warum das sechste Album Trouble Will Find Me ein großes Album ist? Der politischste Satz ist »If I stay here trouble will find me, If I stay here I'll never leave« (Sea of Love) und sagt vier Mal »Ich«.
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»Oh Mann, das ist ja deprimierend«. Selten war der Satz ein größeres Kompliment als bei The National.
Selten war der Stich in die Brust sanfter, als bei den ersten Zeilen, die Matt Berninger auf Trouble Will Find Me singt:
»Don't make me read your mind, you should know me better than that
It takes me too much time, you should know me better than that« (I Should Live In Salt).
Weitere Zeilen blitzen auf und bleiben hängen:
»I have only two emotions, Careful fear and dead devotion« (Don't Swallow The Cap)
oder
»I didn't ask for this pain it just came over me« (Pink Rabbits).
Sanft ist der Stich nur, wenn er nicht die eigene Brust trifft oder wenn es nicht der eigene Schmerz ist, in dem man sich suhlen muss. Auf Trouble Will Find Me ist es nicht der eigene, es ist Matt Berningers Schmerz. Deswegen ist »Ich« das wichtigste Wort auf dem Album. Selbst das »Du« der ersten Zeile ist zurückgeworfen auf das »Ich«, das fordert: »DU solltest MICH doch besser kennen«. Selbst der politischste Satz »If I stay here trouble will find me, If I stay here I'll never leave« ist nur deshalb so politisch, weil er sagt: »ICH müsste eigentlich etwas ändern, denn ICH bin unzufrieden«.
Das »Ich«, das nicht ich bin, bringt die wohltuende Distanz. Aus der Entfernung sieht die Melancholie gut aus. Da fühle ich mich doch gleich größer, wenn Matt Berninger singt »I keep feeling small and smaller« (I Need My Girl). Ich möchte bei Sonnenschein losfahren, auf Play drücken und wenn ich ankomme, ist der Himmel grau und es regnet. Ich will mal wieder richtig Herbst. Genau wie es in »Don't Swallow The Cap« heißt: »And if you want To see me cry, Play ‚Let It Be’ Or ‚Nevermind’.
Deswegen ignoriere ich Zeilen wie
»And all the L.A. women
Fall asleep while swimming
I got paid to fish her mind
And then one day I lost the job« (Humiliation)
oder Reime wie:
»I see you rushing now
Tell me how to reach you
I see you rushing now
What did Harvard teach you?« (Sea Of Love).
Ich skippe die sehr mit-pfeifbare Melodie von »Don't Swallow The Cap«, skippe das Schlagzeug von »Sea Of Love«, das mich auf die Tanzfläche treiben möchte.
Ich tappe mit dem größten Vergnügen in die Gesangsfalle und lasse mich von Matt Berningers sonorer Stimme in eine Melancholie brummen, die die Lieder gar nicht immer hergeben oder nur, wenn man den Humor der Band ignoriert.
Bei Graceless will mein Fuß aber endgültig etwas anderes als mein Herz: Fuß will Rhythmus und Herz will Herbst. Da muss ich mir dann vorstellen, wie die Lieder klängen, wenn sie nicht von Matt Berninger, sondern sagen wir, von Hot Chip gesungen würden. Wie die stilvoll-mitreißenden Poplieder, die sie sind, würden sie klingen. Die kleinen, beschwingten Melodien würden noch ein wenig beschwingter mit Keyboards akzentuiert. Die Gitarren wären nicht krachig, dafür der Gesang klar und sonnig. Und es würde funktionieren. Genauso wie es funktioniert, wenn Matt Berninger – mal von leichten, mal von rockigeren Gitarren begleitet – im schwermütigen Bariton singt und den Liedern eine Tiefe gibt, in die es die HörerInnen wohlig mitzieht.
Mögen andere The National vorwerfen, dass Trouble Will Find Me nicht so abwechslungsreich ist wie High Violet oder dass »Sea Of Love« nicht »Fake Empire« ist. »Sea Of Love« wird mindestens so viele Menschen berühren und länger als einen Sommer begleiten, wie »Over And Over« von Hot Chip Menschen zum Tanzen gebracht hat. So lange The National das schaffen, ist Trouble Will Find Me ein ganz wunderbares Album.