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24. März 2014
Dominik Irtenkauf
für satt.org

  Kamchatka, Münster, Hot Jazz Club am 01. März 2014
Kamchatka, Münster, Hot Jazz Club am 01. März 2014
Fotos: Christoph Martin Labaj
Kamchatka, Münster, Hot Jazz Club am 01. März 2014
Kamchatka, Münster, Hot Jazz Club am 01. März 2014
Kamchatka, Münster, Hot Jazz Club am 01. März 2014

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Two Wooden Stones, Münster, Hot Jazz Club am 08. März 2014
Two Wooden Stones, Münster, Hot Jazz Club am 08. März 2014
Fotos: Alina Strzempa
Two Wooden Stones, Münster, Hot Jazz Club am 08. März 2014
Two Wooden Stones, Münster, Hot Jazz Club am 08. März 2014
Two Wooden Stones, Münster, Hot Jazz Club am 08. März 2014

Kamchatka
Münster, Hot Jazz Club
am 01. März 2014

Spannend war es, zu sehen, wie sich ein Klub, der in Münster für Jazz- und Bluesrock-Konzerte bekannt ist, für eine Band öffnet, in der zumindest zwei metalaffine Musiker mitwirken: Bassist Per Wiberg, vor allem bekannt durch seine Keyboarddienste bei der progressiven (Death-) Metalband Opeth (Vergangenheit) und bei den Stoner Rockern Spiritual Beggars (Gegenwart), und Drummer Tobias Stranvik, der an diesem Abend auch ein Shirt der Band Kylesa trägt. Letztere stammen aus den den USA und komponieren eine metallische Version von Stoner Rock. Die Bühne im Hot Jazz Club befindet sich auf gleicher Höhe wie die Zuschauer, in der ersten Reihe erlebt man also ein sehr intimes Miteinander mit den schwedischen Musikern.

Pünktlich um 21 Uhr entern sie die Bühne. Der Klub ist bis hinten gefüllt – rechts neben der Bühne stehen Eßtische, an denen das Stammpublikum vor dem Konzert noch ein Abendmahl zu sich nimmt. Man bemerkt durchaus älteres Publikum. Auf den Stehplätzen zeigt sich eine bunte Mischung: Bluesrocker mit schütterem Haar, Metaller, die sich ein offenes Herz bewahrt haben und Retro-Rocker mit Vollbart und Wollpullover. Ungefähr im letzten Drittel des Konzerts, das immerhin gute 2 Stunden dauert, plappern fortwährend zwei sonnengebräunte und haargefärbte Mittvierzigerinnen, als ob die Musik beiläufige Unterhaltung sei. Der Hot Jazz Club wird nach wie vor als Etablissement für Speis, Trank und leichte Unterhaltung angesehen, so ist zu vermuten. Obwohl in regelmässiger Folge Konzerte stattfinden, scheinen das manche Besucherinnen nicht richtig bemerken zu wollen.

Das Trio inszeniert auf der Bühne ein Feuerwerk aus Rhythmus und Gitarrenvirtuosität, die sich stets im Kontext des Bluesrocks bewegt. Sicher – der »Doorknocking Blues« bringt bereits im Titel den Stil zur Sprache. Doch auch ohne solche Hinweiser kann man KAMCHATKA als eine mäandernde Musik zwischen Blues, Rock und Stoner Rock verorten. Die Schweden fallen durch interessante Improvisationen auf – bevor sie in ihre Stücke von den bisher veröffentlichten Alben übergehen, improvisieren sie noch. Diese instrumentellen Ausflüge werden vom Publikum mit frenetischem Applaus quittiert. Die Musiker zeigten sich sichtlich erfreut über diesen Zuspruch. Ein großer Vorteil war die intime Atmosphäre – auch wenn man weiter hinten im Publikum stand, schwitzte man zu den teilweise recht hardrockigen Stücken KAMCHATKAs mit. Besonders Tobias Stranvik überzeugt durch ein aggressives Drumming, das er mit unzähligen Wirbeln auflockert. Wiberg ist dabei eher der melodierhythmische Ruhepol im Hintergrund, wenn er auch in »Thank You For Your Time« aus sich herausging und den Bass wie eine Gitarre bearbeitete. Sänger und Gitarrist Thomas »Juneor« Andersson verschafft dem Auftritt die nötige Solidität im Blues. Im Hot Jazz Club trifft solch eine Musik auf genau das richtige Publikum. Doch nicht nur Blues-Liebhaber zucken bei diesen Stampfern mit. KAMCHATKA hören sich live um einiges energetischer als auf Platte an. Sie spielen nicht wenige Songs von der neuen Scheibe »The Search Goes On«: »From Coast To Coast«, »Tango Decadence«, »Pressure«, »Broken Man« und »Dragons« – wie man sieht: eine ganze Reihe von neuen Tracks. Das schwedische Trio macht auch vor etwas verzerrten Gitarren nicht Halt, besonders bei den letzten zwei, drei Stücken kommt die Stoner Rock-Seite zum Vorschein. (Damit erfreuen sie eindeutig die anwesende Metalgemeinde Münsters.)

Dass »Juneor« seine Ansagen etwas unsicher in schwedisch-melodischem Englisch in den Raum entlässt, macht noch deutlicher, dass die Schweden vor allem wegen der Musik in Münster aufgeschlagen haben. Das Bearbeiten der E-Gitarre, die Bedienung des Wah-Wah-Pedals und anderer Effekte hat nicht die Absicht, den großen Macker im Saal zu mimen, sondern dem dargebotenen Blues Leben einzuhauchen. In einem überschaubaren Klub, der auch Restaurant und Kneipe zugleich ist, entfalten solche Auftritte ihre Wirkung. Das war deutlich zu spüren und natürlich – zu hören.

Two Wooden Stones
Münster, Hot Jazz Club
am 08. März 2014

Die Leipziger Band mit Wurzeln in Frankreich, da Sänger und Akustikgitarrist Shélhôm im Jahr 2008 von dort nach Leipzig gezogen ist, macht genau eine Woche nach Kamchatka im selben Klub in Münster Station. Die Ausgangslage ist eine ziemlich andere: eine knappe halbe Stunde vor Konzertbeginn ist der Platz vor der Bühne noch ziemlich leer. Erneut sitzt Ü-40-Publikum an den Eßtischen rechts neben der Bühne. Ein weiterer Teil sitzt an der Bar und trinkt Alkoholisches.

Um 21:15 Uhr tauchen die Musiker auf. Sie müssen sich erneut den Weg durch den Hot Jazz Club bahnen, denn es gibt keinen abgetrennten Zugang von Backstage zur Bühne. Doch das zeichnet die Intimität aus. Two Wooden Stones beginnen mit einem Stück von der neuen Platte »Looking For Light«: »Not Today«. Shélhôm trägt einen Keltenrock und schwarze Kniestrümpfe – mal was Anderes und wohl Ausdruck der Selbstbezeichnung »Freak Folk Rock«. Doch Two Wooden Stones haben etwas Jazziges, passen also erneut in den Münsteraner Klub – vor allem Keyboarder Tiny Dawson und Drummer Jeau Champ kooperieren überzeugend, wenn es in diese Richtung geht. Leider fehlt am heutigen Abend der Kontrabassist Monsieur Simon aus unbekannten Gründen. So übernimmt Tastenmann Tiny seinen Part. Er meint: »Das ist kein Zuckerschlecken!« Und Frontmann Shélhôm hat wieder eine deutsche Wendung hinzugelernt. Der Auftritt ist musikalisch seriös, aber atmosphärisch witzig gestaltet – spätestens bei der Animation des Publikums zur Kanon-Begleitung bei der Single-Auskopplung »Sold My Soul« haben Two Wooden Stones das anwesende Publikum für sich gewonnen. Die Stücke gehen leicht ins Ohr, setzen sich aber auch fest.

Vor der Bühne stehen wohl an die anderthalb Dutzend junge Frauen. Die Männer halten sich vereinzelt am Tresen (von mir mal abgesehen). Man könnte auf Studentinnen tippen. Jedenfalls zeigen die Zuschauerinnen begeisterte Gesichter. Doch Two Wooden Stones spielen an diesem vorfrühlingshaften Samstagabend nicht nur zur Bespassung – der Sänger weist immer wieder auf komplexe politische Situationen hin. Durch autobiographischen Bezug nennt er die libanesische Hauptstadt Beirut: ein Song ist dem genius loci der von Bürgerkrieg noch gezeichneten Stadt gewidmet: »Al Hari’a«. Das Drum-Intro erinnert durchaus an Irish Folk-Bands wie die Dropkick Murphys, ja könnte sogar bei einer Punkversion gut passen. Shélhôm stampft entsprechend mit seinen Füßen, als er auf der Akustikgitarre die Melodie anschlägt. Nach jedem Song muss er seine insgesamt 2 Gitarren stimmen. Er habe nur alte – vermutlich hängt er an seinen schönen Stücken und nutzt sie, bis das Holz zerfällt. Ein durchaus sympathischer Zug – hat beinahe etwas Schwäbisches. Das Stimmen wäre nicht weiter tragisch, wenn nicht ein Mann am Stehtisch hinter uns (der Fotografin und mir) über seine wichtigen Projekte quatschte. Ist es zu viel verlangt, ein Konzert vor allem als Gelegenheit zum Musikgenuss zu verstehen?

Nach einer Dreiviertelstunde bietet sich die Band eine Zigarettenpause aus. Man bedenke die Geschichte des Jazz: Bands wurden für mehrere Abende für ein Lokal engagiert und die Musiker spielten nicht so sehr als Performer, sondern mehr als Hintergrundkulisse. Da waren Zigarettenpausen nur natürlich. Zwischen diesen beiden Polen tendiert auch das Publikum im Hot Jazz Club. Vielleicht wäre es eine Idee, mal eine »herkömmliche« Band zur Speisebegleitung zu engagieren und andersrum? Nach der Pause bringen sie noch einige Stücke vom neuen Album: »Looking For The Light« (in einer von Krieg gezeichneten Zeit) oder »Animal«. Gemischt natürlich mit Stücken vom Debüt. Die Atmosphäre eines Jazzklubs, d.h. eines überschaubaren Lokals mit ausreichend Gelegenheit für Speis und Trank, hat den Two Wooden Stones ein perfektes Milieu geboten. Die Besucher zerstreuen sich nach dem Konzert noch in die bereits frisch gewordene Nacht. Im April geht die Band auf eine Naher-Osten-Tour – man darf gespannt sein, wie sich dort die Atmosphäre in den jeweiligen Klubs ausnehmen wird.