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Tocotronic Es ist egal, aber
Die Band hier und heute vorzustellen, wäre ebenso unsinnig wie die Bemerkung, daß Franz Kafka ein berühmter Schriftsteller oder Salvador Dalí ein populärer Malerfürst ist. Also komme ich just auf den aktuellen und vierten Longplayer (wenn man das Minialbum „Nach der verlorenen Zeit“ hinzubezieht) „Es ist egal, aber“ des Hamburger Trios zu sprechen. Vorneweg: Die Platte/CD/Mc ist etwa 45 Minuten lang, umfaßt 18 Titel und ist mindestens genauso gut wie ihre drei Vorgänger, dies bedeutet: wer die Musik von Tocotronic bislang mochte, - und das dürfte die Mehrheit der bundesrepublikanischen Junggebliebenen sein - braucht gar nicht erst weiterzulesen, sondern kann sofort in den nächsten Plattenladen eilen und sich dort das Album kaufen. Die Leute aber, die Wert auf mein Urteil legen, sind herzlich dazu eingeladen, mit ihrer Lektüre einfach fortzufahren. Prima! Als ich mir vor einigen Wochen die Vorabmaxi „Sie wollen uns erzählen“ anhörte, kam ich ein wenig ins Grübeln, denn das Titelstück konnte mich nicht so recht überzeugen, allein das nicht auf „Es ist egal, aber“ veröffentlichte, melancholische Schlußstück „Deine Party“ vermochte mich wahrlich zu begeistern. Insgeheim hatte ich wohl die Befürchtung, daß Tocotronic gewaltsam eine musikalische Weiterentwicklung herbeiführen wollte, die mir persönlich vielleicht nicht so behagt. Dem war GottseiDank aber nicht so, denn zwar hat sich auf dem aktuellen Tonträger im Vergleich zu den früheren einiges verändert, doch das für mich Wesentliche blieb weiterhin unberührt; sprich: larmoyante, unverstellte und direkte Texte im Zusammenspiel mit krachiger und ehrlicher Rockmusik - geil! Zwar setzte die Band - für sie ungewohnt - in einigen Liedern auch mehr oder weniger aufdringliche Streicher ein („Ein Abend im Rotary Club“ oder „Du bist immer für mich da“), doch die positiver zu bewertende Weiterentwicklung zeigt sich ganz klar in der ausgefeilteren Gitarrenarbeit in Stücken wie „Meine Schwester“, „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“ oder „Gehen die Leute“. Auch der Gesang von Dirk von Lowtzow hat an Facetten gewonnen, wie „Für immer Dein Feind“ beweist. Während mir auf der letzten Platte „Wir kommen um uns zu beschweren“ hauptsächlich die längeren, stimmungsvollen Instrumentalpassagen in Liedern wie „Ich möchte irgendwas für dich sein“, „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ oder „Ich bin ganz sicher schon einmal hiergewesen“ gefielen, begeistern mich auf „Es ist egal, aber“ ganz unterschiedliche Arten von Stücken: kurze, knallige Punkhymnen („Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“), knappe, dennoch ausladende Rockseifenopern („Vier Geschichten von dir“) ebenso wie Arne Zanks flott vorgetragene Popidylle „Liebes Tagebuch“. Halten wir somit fest, die Musik auf „Es ist egal, aber“ klingt „ähnlich, aber doch anders“ (P.A. Bangen) als früher. Textlich fielen mir auch ein paar Entwicklungen und Andersartigkeiten auf. Viele Lieder erzählen so heute weniger eine Geschichte (wie häufig auf „Digital ist besser“ und „Nach der verlorenen Zeit“), sondern werfen häufig nur noch schlaglichtartige Gefühlsschatten. Auch der Grundton der Texte hat sich teilweise verschärft, es dominieren heutzutage eher abgeklärt-resignative Worte anstatt wie früher naiv-euphorische oder wütend-peinliche. Doch all diese aufgezeigten Veränderungen verändern nichts an der Tatsache, daß Tocotronic für mich zu den besten deutschen Musikgruppen zählt und sich bislang jede ihrer Platten zu kaufen und zu hören lohnt. Und der Rest, alles vorher Gesagte, ist somit eigentlich egal …
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