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September 2003
Jörg Digmayer
für satt.org


Alan Moore, David Lloyd:
V wie Vendetta

Verlag Thomas Tilsner, Bad Tölz 2003

Alan Moore, David Lloyd: V wie Vendetta

286 S., br, üf
EUR 24,00
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sattLink:
Interview
mit Alan Moore

Alan Moore,
David Lloyd:
V wie Vendetta


Der Tilsner-Verlag legt die Messlatte verdammt hoch. Ausgerechnet den hundertsten Geburtstag von George Orwell hat man in Bad Tölz zum Anlass genommen, um den Klassiker "V wie Vendetta" von Alan Moore und David Lloyd neu aufzulegen, in Großformat, in einem Band und - dem Original getreu - in schwarz-weiß.




Alan Moore
Der Autor: Herr Moore

Ob Alan Moores düstere Zukunftsvision auf einer Höhe mit Orwells "1984" steht? Moore sieht wie Orwell das England der näheren Zukunft als totalitär-faschistischen Überwachungsstaat. Ein Opfer dieser Diktatur schreitet allein zum Vernichtungsfeldzug gegen den Kollektivmoloch. Die Geschichte, die zwischen 1981 und 1988 entstand, bietet intelligente Spannung und düstere Atmosphäre, inhaltlich nie so originell oder so tief wie das Vorbild Orwell, aber fesselnd von Anfang bis Ende, glaubwürdig, rätselhaft und provokant. Moore liebt es, seine Leser zum Mitraten und Mitdenken herauszufordern, seine dezidierten Standpunkte reizen zum intellektuellen Widerspruch. Allen Text packt er wohldosiert in blitzsaubere Dialoge, er schafft es, ohne Gedankenblasen oder Erläuterungen auszukommen. Nur Ort und Zeit der Handlung werden skizziert, alles weitere ergibt sich aus dem, was seine Figuren einander zu sagen haben. Die Übersetzung von Uwe Anton bringt diese große Leistung auch auf Deutsch recht gut rüber, aus einem schottischen Dialekt macht sie allerdings ein grauenvolles Pseudoberlinerisch, und Alan Moores leichtfüßige Kabarett-Chansons geraten ihr zu schwerblütigen holprigen deutschen Knittelversen. Ein guter Übersetzer muss noch lang kein großer Dichter sein, aber hier hätte das Verlagslektorat einschreiten müssen!


Alan Moore, David Lloyd: V wie Vendetta


Die schwarz-weiße Grafik bietet die einzig denkbare Umsetzung der Geschichte. Jede Farbe würde da stören. David Lloyd verzichtet auf Raster und Grau, er tuscht schwarz, lässt weiß, dazwischen gibt es nichts. Gesichter wachsen so aus den Landschaften ihrer Schattenrisse, das harte grelle Hell steht gegen das nuancenlose Schwarz. Lloyd folgt dem Licht, er braucht kaum Umrisslinien, er lässt nur das Schwarz, wo kein Licht hinkommt. Ein gigantischer Rorschachtest ohne größere Interpretationsspielräume. So simpel das wirkt, es erfordert natürlich Raffinement und Können, und es strahlt dazu Symbolkraft aus: Die Unerbittlichkeit der Positionen im Zweikampf wird in der Darstellung gespiegelt. Wir kennen das kalte pessimistische Licht von den englischen Zukunftsfilmen aus den sechziger Jahren, der "Herr der Fliegen" etwa oder "Dr. Strangelove". Aber Lloyd geht noch weiter, so weit, bis er die vermeintlichen ideologischen Extreme wieder zusammenbringt. Am Ende steht der radikale Anarchist V in seinem absoluten Kampf um Freiheit oder Tod wieder in der ästhetischen Nachbarschaft zu seinen ideologischen Widersachern. Lloyd spielt an diesen Stellen mit dem Feuer, die Parallelen zur Verehrung opferbereiter Fanatiker, wie sie die Propaganda des Nationalsozialismus und deren Ästhetik gefeiert hat, ist zu spüren. Angesichts des Ausmaßes, mit dem Moore und Lloyd mit Vor-Bildern und Zitaten jonglieren, angesichts der Intensität, mit der sie das Spiel mit Zeichen und Symbolen ganz bewusst betreiben, kann das kein Zufall sein. Insofern tritt Moore heraus aus der Reihe der gutmeinenden und ironiefreien Warner in der Nachfolge Orwells und präsentiert sich als frecher, post-moderner Enkel des moralischen Utopisten, der wahrscheinlich entsetzt wäre von derlei intellektuellen Kapriolen. Der Anlass der Neuveröffentlichung ist also vielleicht doch nicht zu hoch gegriffen.