In einem dieser Tage erschienenen Essay erklärt der Berliner Autor
Michael Rutschky "Wie wir Amerikaner wurden" (Ullstein. 208 Seiten, 20,00 Euro). Mit "wir" meint Rutschky das westliche Nachkriegsdeutschland – und als Gründe für die rasche Amerikanisierung der Bundesrepublik benennt er die popkulturellen Exportschlager Rockmusik und Kino. Ein weiteres wichtiges Medium, daß amerikanisches Gedankengut in die Kinderzimmer und Köpfe trug, waren Comics, allen voran die Bildgeschichten von Walt Disney. 1951 erschien die erste deutsche Ausgabe des Comicmagazins "Micky Maus", die Serie entwickelte sich zum Verkaufsschlager und läuft bis heute in immer noch beeindruckender Auflage (fast 500.000 verkaufte Hefte pro Woche). Unter dem Titel "The Duck Family" widmet das Ernst Barlach Museum in Wedel bei Hamburg noch bis zum 8. August drei der besten und einflußreichsten Disney-Comiczeichnern eine Ausstellung: Carl Barks, Al Taliaferro und Floyd Gottfredson. Der Titel der Ausstellung ist allerdings irreführend, da der letztgenannte Comicmacher nicht als Entenzeichner, sondern als der "Mouse-Man" berühmt wurde.
1928 gab Micky Maus sein umjubeltes Debüt auf der Kinoleinwand und im Sog des Erfolges startete zwei Jahre später ein täglicher Comiczeitungsstrip mit dem schwarzen Nager. Im Mai 1930 beauftragte Walt Disney Floyd Gottfredson (1905-1987) damit, den Strip zu zeichnen und zu schreiben – und das tat dieser fortan ohne Unterbrechung bis zu seiner Pensionierung 1975. Vor allen Dingen in der ersten Hälfte seiner Schaffenszeit prägte Gottfredson wie kein zweiter den Micky-Maus-Comic. Sein Strich war aufregend und ausdrucksstark, Gottfredsons machte ausgiebig Gebrauch von Speedlines, Sternen, sprühenden Schweißtropfen und wirbelnden Staubwolken. Auch die Erzählungen waren wild und atemberaubend. Gottfredson lieferte keine abgeschlossenen Humorstreifen ab, sondern entwarf lange, packende und abwechslungsreiche Abenteuerhandlungen – die Maus reiste in exotische Länder, suchte legendäre Schätze, mußte sich mit fiesen Schurken herumschlagen und sich vor teuflischen Folterapparaten in acht nehmen. Formal wie auch inhaltlich zählen die frühen Bildgeschichten von Floyd Gottfredson zu den anarchischsten und phantasiereichsten Werken der Zeitungscomics.
1938, in dem Jahr, in dem mit "Action Comics" das erste Comicheft mit Superman am Zeitungskiosk erschien, erhielt auch Donald Duck seinen eigenen Tagesstrip. Gezeichnet wurde er bis zu dessen Tod von Al Taliaferro (1905-1969). Taliaferro gab Donald Duck die bis heute gültige Gestalt, er war ein eleganter Zeichner, der die Mimik und Gestik der Enten ausformulierte und das Figureninventar um Tick, Trick und Track und Oma Duck bereicherte. Obwohl die Geschichten in der Regel recht schlicht waren und auf eine harmlose Pointe zusteuerten, prägte Al Taliaferro mit seinem Werk das Bild und die Welt von Entenhausen annähernd so sehr wie es später der bedeutendste Autor und Zeichner des Disney-Konzerns tat: Carl Barks.
Seit den späten dreißiger Jahren eroberten die Comichefte den Markt, der Zeitungscomic verlor an Bedeutung, das Medium veränderte sich: Bilder wurden bunt, Panels unterschiedlich groß, die Geschichten lang und länger. Eine neue Leserschicht entdeckte das Medium für sich: Kinder und Jugendliche. 1942 veröffentlichte Carl Barks (19Januar 2000) seinen ersten Donald Duck-Comic, über 6000 Seiten und rund 700 Geschichten sollten bis zu seiner Pensionierung 1968 folgen. Barks’ Meisterschaft beruhte gleichermaßen auf seinem zeichnerischen wie auch erzählerischen Talent. Kaum ein anderer Comicmacher hat seine Figuren so beherrscht wie er, sein virtuoses Spiel mit Schatten und Silhouetten, mit Schwarz- und Weißflächen ist bis heute unerreicht. Barks entwickelte einen zeichnerischen Minimalismus, so daß die Panels klar und konzentriert erscheinen, trotz ihrer Detailfülle und Verspieltheit. Vor allen Dingen war Carl Barks aber ein großartiger Erzähler und Mythendichter. Er schuf das Entenhausen, das wir heute kennen – eine Allegorie auf die bürgerliche Gesellschaft des letzten Jahrhunderts; eine Parallelwelt, die zugleich Vorbild und Mahnung ist.
Carl Barks hat in den letzten Jahren viele Ehrbezeugungen erfahren, zuletzt in dem verplauderten Wälzer "Wie Enten hausen" von Henner Löffler. Der Autor behauptet darin, daß das Medium Comic in Deutschland immer noch nicht die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Das ist insofern unrichtig, da fast alle Zeitungen und Zeitschriften regelmäßig aus der Welt der Comics berichten. Auch Museen zeigen häufig Comic-Ausstellungen – im Museum Ludwig in Köln ist derzeit etwa eine große Robert-Crumb-Retrospektive (14. Mai - 29. August) zu sehen. Leider aber werden diese nicht immer ihrem Gegenstand gerecht, wie die Ausstellung in Wedel beweist.
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Comics einrahmen und an die Wand hängen, wie in Wedel geschehen, ist allerdings ein wenig ergiebiges Mittel, um sich der Kunstform zu nähern. Comics werden so auf ihre bildlichen Eigenschaften reduziert, ihre erzählerischen Merkmale fallen unter den Tisch. Zwar kann man in einer Ausstellung die graphischen Qualitäten von Comics thematisieren, doch damit nähert man sich nur einem Teilaspekt des Comicmediums. Die Ausstellungsmacher in Wedel haben die Heft- und Zeitungsabdrucke, Originalseiten, Lithographien und Ölgemälde der drei Comicmacher zudem auch noch relativ wahllos und ohne Konzept zusammengehängt. Die Schau zeigt kaum mehr, als daß Disney-Figuren von verschiedenen Zeichnern und Malern in verschiedenen Techniken abgebildet werden – und da noch Platz war, verirrten sich auch noch überflüssigerweise vier Bilder von Allyson Vought und von Sowa und Reiser in die Ausstellung. Der Besucher ist ratlos und erhält außer kurzen biographischen Abrissen zu den drei Comickünstlern keine weiteren Informationen. Die Einfallslosigkeit der Schau demonstriert die "Kinderabteilung" im Untergeschoß des Hauses: An die Wände wurden ein paar Comicheftreproduktionen genagelt und in der Ecke ein Fernseher mit zwei Stuhlreihen aufgebaut – Video rein, Alltag raus, fertig ist das Reich der Maus!
Das ist schade, denn mit mehr Mühe und etwas mehr Sachkenntnis hätte man mit den zur Verfügung stehenden Exponaten durchaus eine kleine, dem Gegenstand angemessene Ausstellung hervorbringen können. Über die Entwicklung und Eigenarten der Zeichner informieren und ihre Unterschiede thematisieren können, die Veränderungen der Disney-Produktion, die Auswüchse des Fantums … So aber kann man sich die Reise nach Wedel und den Eintrittspreis sparen. Wer etwas über Donald-Duck-Comics und seine Macher erfahren will, sollte lieber zum nächsten Zeitschriftenhändler gehen und sich die aktuelle Ausgabe von "Die tollsten Geschichten von Donald Duck" (Ehapa. 72 Seiten, 2,70 Euro) kaufen.