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17. August 2008
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Felix Giesa
für satt.org |
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Ach, die Liebe ...„Ja, ich hab’s mir doch gedacht! Typisches Weiberzeug!“ wird sich der superheldensozialisierte Comicleser vermutlich denken, wenn er „Pomme d’amour – 7 Geschichten über die Liebe“ zur Hand nimmt. Schreiben in dieser wunderschönen Anthologie doch ausnahmslos Frauen über das vermeintlich kitschigste Thema par excellence. Doch mit dieser Überlegung ist man einem Klischee auferlegen, wie Barbara Yelin im Gespräch beim diesjährigen Comic-Salon zu verstehen gibt. Yelin ist eine von sieben Frauen, die in „Pomme d’amour“ eine Kurzgeschichte veröffentlicht haben. „Nachdem die Idee der Anthologie geboren war, stand das Thema für alle Beteiligten von Anfang an fest.“ Es handelt sich bei den einzelnen Beiträgen schließlich keineswegs um Geschichten vom Niveau eines Groschenromans, sondern viel mehr „um jeweils einen philosophischen Essay über die Liebe, irgendwo zwischen Realität und Fantasie.“ Was das Spektrum der Geschichten sehr gut absteckt. Einer der eher fantastischen Essays ist „Liebeszauber“ von Paz Boïra. „In wie fern lässt sich die Liebe wissenschaftlich erfassen und beschreiben?“ scheint die grundlegende Fragestellung ihres bildnerischen Aufsatzes zu sein. Sinnbildlich für die noch einseitigen Wahrnehmungsverhältnisse zu Beginn einer Beziehung, zirkelt ein kleiner Mann immer im Kreis um eine auf einem Stuhl sitzende, viel größere Frau. Da sie ihn nicht bemerkt, öffnet er ihr sein Herz. Erst andeutungsweise, dann wahrhaftig. Boïra zeigt uns, was sie eine „physica subterranea“ nennt, die sich zwischen den Bereichen Vernunft, Experiment, Harmonie und Symmetrie spannt. Ihre mittelalterlich-alchemistische Bild-Sprache taucht sie dabei in ein kräftig-sattes Rosa, nur gelegentlich aufgehellt durch lindgrüne Striche und gelbe Flächen. Diesem kräftigen Farbenspiel setzt sie eine feine Strichführung entgegen. Schnörkellos sind Mann und Frau, mit wenigen Schraffuren entstehen ihre Körper. Die Poesie, das Verliebte sich alleine auf der Welt wähnen, greift Boïra zum Schluss hin erneut in einer an frühe Astrologieabbildungen erinnernden Darstellung auf: Beide sind allein auf ihrer Weltscheibe, umgeben von einer kugelrunden Sphäre. „Liebeszauber“ stellt von der Experimentierfreude bezüglich der Bildsprache eine Ausnahme in „Pomme d’amour“ dar. Wortlos und stattdessen mit Symbolen erzählend hebt sie sich von den eher herkömmlich erzählten sonstigen Geschichten sehr ab. Das überrascht, wenn man bedenkt, dass mehrere der Kontribuentinnen bereits kräftig bei „Spring“ mitgemischt haben. Dieses reine Frauenprojekt, im freien Raum zwischen Comic, bildender Kunst und Illustration, „vereint eben zu viel anderes“, sagt Barbara Yelin. „,Pomme d’amour’ sollte im Unterschied zu ,Spring’ jedoch ein echtes Comicbuch sein.“ Das es dennoch wieder ein reines Frauenprojekt wurde, ergab sich, „da die Arbeit bei ,Spring’ sich bewährt hat. Die Kommunikation ist leichter, wir sind uns alle viel ähnlicher.“ So bildete ein Teil des Spring-Kollektivs den Grundstock und der Rest wurde aus dem Freundeskreis rekrutiert. Ehemalige und aktive Springerinnen sind neben Paz Boïra auch claira Lenkova, die graphisch noch nie so stark war, Ulli Lust, Laureline Michon und eben Barbara Yelin. Daneben finden sich die in Orang schon häufig gedruckte Verena Braun und die bisher vollkommen unbekannte Élodie Durand, die mit ihrem deutschsprachigen Debüt vollkommen überzeugen kann. Besonders aber Laureline und Barbara beeindrucken neben dem zeichnerischen Können durch eine erzählerische Reife und ein Gespür für Geschichten, dass man überrascht fragen muss: „Wie kann das sein? Wo kommen die auf einmal her?“ Jahrelang kriegt man immer nur kleine Häppchen ihrer Comics gefüttert und auf einmal bekommt man dann ein solch aufregendes Werk vorgelegt! Da wundert man sich, warum bisher noch keine umfangreichen Arbeiten hierzulande verlegt wurden.
Laureline Michons Liebesgeschichte heißt „Rotes Basilikum“ und hat sogar eine Elfenprinzessin als Hauptaktrisse. Auch wenn es sich nur um eine Verkleidung handelt, endet die edle Garance nach einer Party als damsel in distress und braucht einen Ritter in scheinender Rüstung; hier dargestellt von einem kurdischen Rollerfahrer. Im Gegensatz zu ihrer Arbeit in Spring zeichnet Michon hier wesentlich klarer, bedient sich formal stärker der Comicsprache, was sich in einem strengen Paneling äußert. Die Zeichnungen sind weniger verwischt, sondern bestechen durch eine klare Linienführung; auch wenn sich die Zeichnerin viel Platz für Spielereien gelassen hat. Und auch vor dem Einsatz von Farbe schreckt sie nicht zurück. In weiche Pastellfarben hüllt sie die abwechselnden Handlungsorte – bis sich Prinzessin und Ritter finden und sie schließlich pastellen vor schwarzem Hintergrund erstrahlen. Beim zweiten Lesen fragt man sich jedoch, ob der Rollerfahrer wirklich ein so unbescholtener Retter ist, wenn man erkennt, dass er bereits auf der ersten Seite vor dem Haus der Mädchen steht. Weniger mädchenhaft-verspielt und von der Liebe träumend, als viel mehr energisch und schon beinahe an der Liebe und dem Leben verzweifelnd präsentiert sich Barbara Yelins Selbstfindung einer 30jährigen in „Stand-By“. Sarah ist im Moment einfach alles zu viel: die Arbeit, der Freund, ... und als Konsequenz leidet sie unter Schlaflosigkeit. Schon seit drei Wochen nicht mehr. Wie sehr da alles ins Driften gerät, veranschaulicht die Zeichnerin direkt auf der Seite: Keine feste Panelstruktur, Räume nur angeschnitten, verdeutlicht sie so die haltlose Situation ihrer Protagonistin. Schlecht gelaunt, nörgelnd und fluchend treibt Sarah so durch den Tag, um schließlich nachts betrunken, ihrer Handtasche beraubt, alleine auf der Straße zu stehen. Ihr einsamer Spaziergang durch die nächtliche Stadt, hinaus in den Wald, gehört zu den poetischsten Momenten des gesamten Bandes. In dunkle Grüntöne hüllt sie die Umgebung, was jedoch zu keinem Zeitpunkt bedrohlich wirkt, sondern immer hoffnungsvoll. Und wenn sie dann zusammen mit einem ehemaligen Knacki unter den Bäumen sitzt und den Sonnenaufgang betrachtet, dann ist nicht nur sie endlich zufrieden. Diese eindringliche Alltagserzählung zeugt von einer beeindruckenden Reife. Denn auch dadurch begeistert „Pomme d’amour“: Hochwertiger Vierfarbdruck auf schwerem Papier, schick im Hardcover gebunden und mit einem wunderschönen Schutzumschlag versehen. „Dieses Format war nur Dank Delcourt und einiger Förderung möglich. So konnten wir auch von der Gestaltung her unserem eigenen künstlerischen Anspruch gerecht werden.“ Das jetzt wenigstens diese Anthologie in deutscher Sprache vorliegt, haben wir Lydia Schönberger zu verdanken. Hätte diese sich nicht für das Projekt begeistert, dann wäre es vermutlich auch gar nicht auf Deutsch erschienen. Ihr kleiner Leipziger Verlag Die Biblyothek hatte die Möglichkeit, zusammen mit Mirage, einem Sublabel von Delcourt, zu drucken und so gehörig Kosten zu sparen. Denn Verträge und Pläne zur Veröffentlichung gab es anfangs nur mit den Franzosen. Ob es sich hierbei nun eher um reine Frauengeschichten handelt, muss schlussendlich jeder für sich entscheiden. Man sollte dabei nur bedenken, dass es „im Comic wenig gute Geschichten gibt, die wirklich erzählen.“ Und bei „Pomme d’amour“ finden sich nicht nur „7 Geschichten über die Liebe“, sondern auch „Geschichten die berühren“ – wie Anke Feuchtenberger es auf der „Max-und-Moritz-Gala“ verlangt hat.
Pomme d’amour – 7 Geschichten über die Liebe Abbildungen aus Pomme d’amour: claire Lenkova schafft es, in ihrer Geschichte die Tristesse des grauen DDR-Alltages in den matten Farben auf der Seite wiederzugeben. Wird sie ihn erhören? Paz Boïra lässt den Mann in seiner Hingabe so sehr strahlen, dass er sogar das weibliche Rosa übertrifft. Gerahmt von Bäumen, die Nacht im Rücken, den Sonnenaufgang betrachtend: Wo soll man besser über Liebe und Träume reden können? (Barbara Yelin) Wenn man sich von der Liebe leiten lässt, kann der Weg einen an die unwirklichsten Orte führen. Laureline Michon schickt ihre Prinzessin in einen geheimen Kräutergarten im Heizungskeller. |
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