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26. September 2008
Christopher Pramstaller
für satt.org

Rutu Modan: Blutspuren

Rutu Modan:
Blutspuren

Hadera, Israel. Ein Bombenanschlag am Busbahnhof. Eine der fünf Leichen ist so stark verbrannt, dass ihre Identität nicht geklärt werden kann. Doch niemand ist gekommen, um sie zu identifizieren: keine Angehörigen, keine Freunde. Schon wenige Tage später scheint der Anschlag in Vergessenheit geraten zu sein. In Haifa hat es eine noch größere, noch mehr Tote fordernde Explosion gegeben.

Auch für den Taxifahrer Kobi Franco ist der Anschlag in Hadera eigentlich kein Thema mehr, als er drei Wochen danach von der Soldatin Numi eine Nachricht erhält, und sich mit ihr in einem Park trifft. Zu alltäglich ist die Bedrohung durch den Terror, als dass jeder Anschlag lange im Gedächtnis verhaftet bleiben würde. Doch Numi, die sich als Geliebte seines Vaters ausgibt, äußert die Vermutung, dass es sich bei der nicht identifizierten Leiche um Kobis Vater Gabriel handelt.

Im Grunde genommen hat Kobi jedoch gar kein Interesse zu erfahren, ob es sich bei dem unbekannten Toten um seinen Vater handelt. Schon vor Jahren ist der Kontakt zwischen Vater und Sohn im Streit abgebrochen und wurde danach nie wieder belebt. Nach einigem Zögern und durch die Überredungskunst Numis willigt Kobi aber doch ein, sich mit ihr auf die Suche nach der Identität der verbrannten Leiche zu machen.

Ungleicher könnte das Detektiv-Duo, das der Leser nun von Schauplatz zu Schauplatz seiner Ermittlungen begleitet, kaum sein. Sie, eine Tochter aus reichem Haus, die von Selbstzweifeln geplagt wird. Er hingegen ein fast mittelloser Taxifahrer, der bei Tante und Onkel wohnt, sein Leben nicht so recht auf die Reihe bekommt und kein Ziel vor Augen hat. Doch das Schicksal hat sie zusammengefügt, und so versuchen sie, trotz ihrer immer wieder aufflammenden zwischenmenschlichen Differenzen, das Beste aus ihrer Situation zu machen.

  Rutu Modan: Blutspuren
Am Busbahnhof in Hadera, dem Ort des Bombenanschlags. Ein Coca-Cola-Regal dient als notdürftig improvisierte Gedenkstätte.

„Blutspuren“ ist jedoch nur sehr vordergründig eine Geschichte um die Suche nach der Identität der nicht identifizierten Leiche. Diese Suche bildet lediglich das Gerüst der Handlung, das die Protagonisten an die verschiedenen Orte treibt, an denen sie hoffen der Wahrheit etwas näher zu kommen. Der Comic ist vielmehr ein Porträt des heutigen Israel, seiner Menschen und deren Alltag. Immer wieder stoßen Kobi und Numi bei ihrer Suche auf Details, die deutlich machen, wie sehr die Bedrohung durch Bomben, Terror und Tod Einfluss auf das Leben von Millionen Israelis genommen hat. So z. B., wenn die Angestellte des Bestattungsinstituts feststellt, dass es in diesem Staat ganz bestimmt keinen Mangel an Leichen gibt. Und es wird ebenso deutlich, wie sich die Menschen damit arrangiert und abgefunden haben, dass diese allgegenwärtige Bedrohung einfach besteht und am besten überwunden werden kann, wenn man sie ignoriert, ihr makaberen Humor entgegenbringt oder ein dickes Schild um sich herum aufbaut.

Als Kobi und Numi am Busbahnhof in Hadera eintreffen, dem Ort des Anschlags, wird dies besonders deutlich. Nur drei Seiten lang verweilt die Geschichte in der Cafeteria, jenem Ort, an dem die Bombe explodiert ist. Auch hier hat der Alltag schon längst wieder Einzug gehalten, das Leben ist weiter gegangen. Die Frau des Besitzers, der ebenfalls bei der Explosion getötet wurde, führt mit bandagierter Hand das Geschäft weiter. Alles nimmt hier, drei Wochen später, seinen gewohnten, pragmatischen Gang. Im Sichtfeld der Menschen ist alles beseitigt und zur Normalität zurück gekehrt. Doch die Decke, jener Bereich der nicht gleich sichtbar ist, so wie die Gefühle der Menschen, ist zerfetzt. Kabel, Latten und Verkleidung hängen wirr durcheinander. Die unsichtbaren Wunden sind verblieben und wurden noch nicht beseitigt.

Die Zeichnerin Rutu Modan, selbst 1966 in Tel Aviv geboren, wodurch sie beide Intifadas hautnah miterleben konnte, schildert die Erzählung konsequent aus Sicht der Israelis. Die Täterseite kommt nie zu Wort, und im Grunde genommen ist dies hier auch nicht notwendig. Denn nie wird von den Protagonisten Anklage erhoben, nie die Schuldfrage gestellt oder Rechenschaft verlangt. Der Anschlag nimmt den Charakter eines fast natürlichen und deshalb unabänderlichen Vorgangs an. Ganz im Gegensatz zu Joe Sacco, der mit seiner Comic-Reportage „Palästina“, den Versuch unternommen hat, ein journalistisch-dokumentarisches Bild des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern zu zeichnen, ist Rutu Modans „Blutspuren“ eine Geschichte aus dem Leben, ohne jeglichen Anspruch der Objektivität oder politischer Aufklärung.

Seit vielen Jahren zählt Modan zu den renommiertesten israelischen Comickünstlern und Illustratoren (u.a. für „New York Times“, „New Yorke“r und „Le monde“). Während sie als Kinderbuchautorin in Israel schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde, erlangte sie in Comic-Kreisen erst durch die Künstlergruppe Actus Tragicus Popularität. „Blutspuren“, das, nach der Veröffentlichung auf Englisch und Italienisch, nun auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist, ist dabei ihr erstes längeres Werk. Stilistisch orientiert sich Rutu Modan darin deutlich an der Tradition der Ligne Claire. Die Zeichnungen der Menschen und Gesichter sind reduziert, ihr Duktus wirkt weich und lebendig. Ein Lineal scheint ihr, bis auf die Zeichnung der Panelbegrenzungen, fremd zu sein. Doch Rutu Modan ist keineswegs einem Realismus in ihrer Darstellung verfallen. Ihr künstlerischer Anspruch an die eigene Arbeit wird besonders an der Farbgebung deutlich. Teilweise arbeitet sie mit fast monochromen Hintergründen und setzt dort Farbakzente, wo sie Details im Bild hervorheben will.

„Blutspuren“ ist ein Comic der subtilen Zwischentöne, von Rutu Modan feinfühlig im israelischen Alltagsleben aufgenommen und in einer emotionalen Geschichte umgesetzt. Eigentlich gibt es keinen Grund zur Kritik, denn dieser Comic ist ein durchweg gelungenes Werk. Einzig der Preis von 28 Euro für 166 Seiten Klappbroschur ist leider etwas hoch ausgefallen.



Rutu Modan: Blutspuren
Edition Moderne 2008
166 S., farbig, € 28
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