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13. März 2010
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Sven Jachmann
für satt.org |
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Vom Placeboeffekt der Liebe
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Lina Walde: The great Love'n Romantic Swindle Eigenverlag, Kassel 2010 12 Seiten. 4,50 Euro inkl. Porto » evaundeva.blogspot.com Der Comic kann für drei Euro plus Portokosten direkt bei der Autorin per eMail bestellt werden. |
„The great Love‘n Romantic Swindle“ – der Titel ist eine Anspielung auf die Absage des Authentizitätsversprechens der Rockmusik, auf jenen filmischen Hybrid aus Dokumentation und Mockumentary, den die Sex Pistols und Regisseur Julian Tempel als letztes Lebenszeichen ihrer kurzen Karriere hinterließen – „The great Rock’n‘ Roll Swindle“.
„The great Love’n Romantic Swindle“ hingegen erzählt vom Ende einer Liebe. Ob die so kurz gewesen sein mag, wie die Zeit der Sex Pistols, ist nicht ersichtlich. Die gerade mal zwölfseitige Geschichte setzt nämlich unmittelbar beim Schluss, besser gesagt beim Schluss-Machen an. Aber sie operiert mit einem ähnlich gebrochenen Versprechen auf Authentizität, wie es einst die Sex Pistols taten. Der Comic wird explizit als autobiographisch ausgewiesen. Und das verspricht zumindest, dass einige der geschilderten Szenarien real life erlebt wurden. So einfach ist es dann allerdings doch nicht. Aber eins nach dem anderen.
Man kann sicher behaupten, dass sich Hamburg und Berlin institutionell als wichtige Comiczentren in Deutschland fest etabliert haben. Ausstellungen, Projekte, Vorträge, Forschung, Anthologien, große wie kleine Verlage – hier bündelt sich die Kreativität. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, den output und die ungewöhnlichen Publikationsbemühungen in anderen Regionen zu übersehen. Der 2007 in Kassel gegründete Rotopol Verlag beispielsweise, der von ehemaligen Absolventen der dortigen Kunsthochschule ins Leben gerufen wurde, ist ein gutes Indiz für die Bemühungen einiger Comicschaffender, jenseits der konventionellen Veröffentlichungspolitiken, trotz ungewohnter Formate und kleiner Auflagen, ein Forum für das Sperrige zu präsentieren. Vieles davon ist mit einer Abkehr von narrativen Formen verbunden und integriert stattdessen angrenzende Bereiche wie Design und Illustration. Das kann sich indes dann als problematisch erweisen, wenn das Design zum puren Fetisch gerinnt, das Aufbrechen der Form zur verspielten Präsentation dessen wird, was eben noch so möglich und bislang unerprobt geblieben ist. Dann lautet das Ziel schlicht und ergreifend kontemplative Überwältigung und warum ausgerechnet die frenetischen Jubel benötigt, kann wohl nur ein zutiefst bürgerliches Herz beantworten, das bei der Rezeption erregt schlägt, während es die mit identischen Standards hantierende Superheldenstory verächtlich rügt.
Wollte man diese Dichotomie einen Augenblick aufrecht erhalten, dann wäre das selbstverlegte Debüt von Lina Walde, die ebenfalls als Illustratorin die Kunsthochschule Kassel besucht, so etwas wie der narrative Backlash, an dem sich wunderbar ablesen lässt, inwiefern die Verbindung von Unterhaltung und formaler Ambition Bedeutung transportiert, ohne zuvor als habituelle Ausweisung der Exklusivität das obligatorische Päckchen der Kunstbeflissenheit schnüren zu müssen. Optisch ist das Werk ganz klar ein Kind der D.I.Y.-Kultur: Hinter dem sehr schönen Siebdruckcover verbirgt sich ein schwarzweißer, im besten Sinne dreckiger und rauer Strich, der seine skizzierten Ursprünge nicht leugnet, sondern förmlich ausstellt. Vielleicht liegt es am Inhalt, dass er an den Mythos der Perfektion denken lässt, denn der Plot erzählt gleich von zweierlei Mythen: dem der Liebe und, dank des Vermerks des Autobiographischen, auch von jenem der Authentizität.
Die Geschichte beginnt, wie gesagt, dort, wo nichts mehr zu retten ist. Gedankenverloren erklimmt die Hauptfigur die verwinkelte Treppe zu ihrer Wohnung, wo sie ihrem Freund unterbreitet, dass sie endlich ausziehen wird. Der will sein Unglück nicht verstehen, und so wandelt sich die anfängliche Irritation in pure Abscheu. Es wird ein lauter Abschied. Zum Schluss schreit er ihr auf den Treppen, die nun eine expressionistisch bedrohliche Architektur angenommen haben, hilflos „Und das war mein Opera-Poster!“ hinterher. Ein schönes Beispiel für den mentalen Ausnahmezustand, den unglückliche Liebe eigentlich bedeutet. Plötzlich werden banale Alltagsgegenstände mit einer peinigenden Historie ausgestattet und der Zwang zu kränken kanalisiert das Wissen darum, dass ohne ihn nur noch Gleichgültigkeit den Gefühlshaushalt dominieren wird. Für den Verlassenen gerät jede Handlung seines einstigen Partners zur narzisstisch codierten Chiffre und so werden wir ausgiebig Zeugen davon, wie diese Prozedur abläuft. Die Hauptfigur flieht zu den Eltern und Freunden, derweil sie ihre Aufgaben für die Uni zu bewältigen versucht. Die Perspektive des Freundes kommt nicht vor, trotzdem bleibt er konstant in Gestalt unbeholfener wie dramatischer Telefonanrufe, die in der Regel zwar mit Ignoranz abgekapselt werden, aber natürlich dennoch Spuren hinterlassen, präsent. Das Umfeld reagiert mit Küchentischweisheiten auf die Situation, die individuelle Spezifik der Tragik bleibt unvermittelt. Erträglich wird das Ganze nur durch Momente von Situationskomik, aber auch die täuscht nicht über das Geflecht aus Abhängigkeit und Fluchtversuchen hinweg, das sich als existenzielle Art der leiblosen Liebe offenbart – eine Möbiusschleife der Emotionen.
Wie aber wird nun der Authentizitätsfalle entgangen? Wollte man die Geschichte tatsächlich unbedarft für bare Münze nehmen, müsste man Walde gnadenlose Egozentrik unterstellen. Da macht allerdings die Konzeption der Panels einen Strich durch die Rechnungen. Die Physis der Figuren ist Ausdruck ihrer psychischen Befindlichkeiten. Das variiert zwischen cartooneskem Charme und der Plünderung kultureller Ikonographien, bspw. wenn die Reise aus der Stadt die Figur in Godzilla-Manier durch die viel zu kleinen Gebäude stampfen lässt oder ihr Gesicht urplötzlich jenem aus Edvard Munchs Schrei gleicht, nachdem die Mutter beim Korrekturlesen einer Hausarbeit über den Nationalsozialismus die verhängnisvolle Frage stellt, wer denn nun eigentlich diese Shoah sei. Dieses Verfahren verhindert die blanke Identifikation wie es ebenso die Aufmerksamkeit auf die Mikroeinheit Beziehung lenkt. Das Strukturale wird zum Mittelpunkt; der Voyeurismus, ein wenig Anekdote aus dem beschädigten Beziehungsleben zu erhalten, hat keine Chance. So greifen schließlich beide Mythenstränge ineinander: Was dem Authentischen an Überzeugungskraft entzogen wird, lässt sich gleichermaßen in der Gefühlswelt der Figur beobachten: Der Anlass, die Sicherheit der Autobiographie zu brechen, gleicht dann in etwa der Flucht vor der bangen Frage danach, welche Art Gefühl denn nun das richtige sei. Das Fazit, das hier über die Liebe gefällt wird, ist jedenfalls eindeutig: Sie ist eine sozial erwünschte Spielart der Schizophrenie.
Im Kern bleibt ein rüdes Debütwerk mit Esprit, Attitüde und gebotener inhaltlicher wie visueller Schnodderigkeit, voller Charme, Witz und Tragik. Romantiksympathisanten hingegen werden wenig Trost finden.
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