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9. November 2010
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Felix Giesa
für satt.org |
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Animierte Welten aus PapierPop-up-Bücher erfreuen sich im Bereich der Kinderliteratur seit einigen Jahren gehäuft großer Beliebtheit. Erneut, muss man hinzufügen, denn bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts waren besonders die Aufstell- und Bewegungsbücher Lothar Meggendorfers wahre Renner. Sind eine Vielzahl dieser Titel heute wieder als Reprints erhältlich, so gesellen sich aber auch Bücher zeitgenössischer Künstler hinzu, die ebenfalls die bildnarrativen Möglichkeiten mit haptischen Strukturen in die Dreidimensionalität überführen. Wenn in der heutigen Zeit von einer wahren Bilderflut die Rede ist, dann sind damit in erster Linie immaterielle Bilder gemeint: Bilder auf dem Fernsehschirm, der Kinoleinwand oder dem Computerbildschirm. Die Aufmerksamkeit gegenüber dem materiellen Bild tritt dahinter zurück. Auch der Comickünstler setzt sich schon seit Jahren mit dieser Entwicklung auseinander. Zahlreiche Webcomics überführen den Comic in eine permanente Immaterialität, aus der er nur mit ausreichend Leserzuspruch in die gedruckte Form geholt werden kann. Jedoch gelingt nur selten, was Scott McCloud in Comics neu erfinden forderte, als er ausführte, der Comic könne in der Gegenwart nur bestehen, wenn er sich den neuen Gegebenheiten anpasse und alle Grenzen des Blattes hinter sich lasse. Das in dieser Entwicklungsphase ausgerechnet quasi teilanimierte Bücher erfolgreich sind, entspricht wohl einerseits einem aus der Verunsicherung durch das immaterielle Bild heraus entstandenem Verlangen nach einer ›Wiedererfahrbarkeit‹ des Bildes, andererseits können Pop-up-Bücher jedoch auch als Schnittstelle zwischen analogen und digitalen Bilderzählungen fungieren. Pop-up-Comics stellen da nur eine logische Entwicklung dar. Fanden sich zuerst vorrangig Titel aus dem Superheldenbereich* wie Will Eisner’s The Spirit: A Pop-up Graphic Novel (2008), finden sich nun mit den Literaturadaptionen Sam Itas auch Arbeiten, die nicht einfach nur vorhandene Comicpanel um Pop-up-Elemente ergänzen.
20.000 Meilen unter dem Meer (2010) kann hier als gutes Beispiel für Möglichkeiten des medialen Erzählens in der Kinderliteratur dienen. Ähnlich wie Isabel Kreitz in Pünktchen und Anton (2009) muss er die Handlung an vielen Stellen kürzen, sogar noch mehr, da das Buch insgesamt nur sieben Aufklappblätter hat. Auf der Handlungsebene stellt sich somit nur die Möglichkeit, Höhepunkte herauszustellen und durch ein Pop-up-Element dreidimensional erfahrbar zu machen. Hier sind solche Höhepunkte der Besuch in Atlantis oder der Angriff des Riesenkraken. Auf der erzählerischen Ebene fällt hier besonders der Verzicht auf den Ich-Erzähler auf, wodurch der Charakter eines Erlebnisberichts verloren geht. Dieser wird jedoch durch den Charakter des Pop-up-Buches als Spielbuch transformiert. Der Leser muss aktiv die diversen Klappen öffnen, Scheiben drehen und Tableaus aufstellen, wodurch er wesentlich stärker an der Handlung beteiligt wird, als beim bloßen Betrachten einer Comicseite. Das hier eine Nähe zum Computerspiel und zum erzählenden Spiel generell nicht zu leugnen, liegt natürlich auch in der Natur des Gegenstandes begründet. Darüber hinaus findet sich z. B. in Frankenstein (2010) ein Ausziehelement, das jeweils eine Sprechblase mit einem neuen Panel paart. Ähnlich einer Laterna magica wird hier eine manuelle Bildführung in das Buch integriert. Somit liegt der Gewinn von Itas Büchern darin, wirkmächtige Momente der Handlung dreidimensional erfahrbar zu machen. Dass sie dabei erzählerisch gegenüber dem Original manchmal einbüßen, schmälert die Leseerfahrung keineswegs.
Sam Ita gestaltet den Kraken aus 20.000 Meilen unter dem Meer: |
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