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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





15. September 2012
Felix Giesa
für satt.org

Durchgeblättert
Porno, Porno² und kein Porno

  Sophia Martineck: Hühner, Porno, Schlägerei – Eine deutsche Dorfgeschichte
Sophia Martineck:
Hühner, Porno, Schlägerei.
Eine deutsche Dorfgeschichte

Berlin: Avant 2012
52 Seiten, Euro 14,95
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Sophia Martineck, die bereits einige kürzere Comics im Spring-Magazin veröffentlicht hat, hat nun beim Avant Verlag ihr Debüt veröffentlicht. Hühner, Porno, Schlägerei ist nicht nur ein großartiger Titel, sondern weist mit seiner schlagzeilenartigen Wirkung auch den inhaltlichen Weg: entlang tatsächlicher Berichte aus Lokalzeitungen hat Martineck ein Bilderbuch über den Verfall des fiktiven Dorfes Niederböhna verfasst. Unbekannt ist das alles nicht, wenn dort von Schlägereien auf dem Dorffest, Streitereien wegen eines Taubenschlags oder der Ablehnung gegenüber einer Gruppe Sinti und Roma, die hier wenigstens so heißen dürfen, erzählt wird. Das mag dann sogar nachgerade das Erschreckende daran sein: alles hat man schon einmal gehört, alles hat man schon einmal gelesen. In der kühlen und exakten Präsentation von Martinecks Buntstiftzeichnungen jedoch kann der Betrachter durch die abstrakte Außenperspektive dieser Alltagskatastrophen hindurchschauen und entdeckt die menschlichen Abgründe hinter dem lethargischen und monotonen Alltag. Was aber die Form von Hühner, Porno, Schlägerei betrifft, fühlt man sich an Bilderfibeln und Bildsachbücher erinnert; die matten Buntstiftzeichnungen lassen an solche Bücher der späten 1950er Jahre denken. Darin dürfte ausreichend Konzept stecken, begann doch zu dieser Zeit der Aufschwung für alles, was in Martinecks Abgesang auf das deutsche Dorf bereits im Verfallen begriffen ist.

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  Bettgeschichten. Comics für Erwachsene. Hrgg. v. Naomi Fearn und Reinhard Kleist
Bettgeschichten.
Comics für Erwachsene.
Hrgg. v. Naomi Fearn
und Reinhard Kleist

Stuttgart: Zwerchfell 2012
104 Seiten, Euro 20,00
Ab 18 Jahren
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Kein Porno im Titel, dafür jede Menge Porno zwischen den Buchdeckeln bietet die überraschende Anthologie Bettgeschichten. Comics für Erwachsene aus dem Zwerchfell Verlag. Schmuddelgeschichten in einem Kleinverlag, der sich damit, höhö, gesundstoßen will, mag da einer denken. Doch dann stellt man fest, das niemand anderes als Naomi Fearn und Reinhard Kleist den Band herausgeben. Das ist dann schon mal einen Blick wert – und ist vom Ergebnis dann auch überrascht. Nicht nur haben Fearn und Kleist ihren Atelierskollegen Mawil mit ins Bett geholt, sondern auch zahlreiche altbekannte, aber auch junge Zeichnerinnen und Zeichner sind dabei. Damit liegt hier die ausgereifte Version der vor Jahren in der Renate-Reihe erschienen Pornogeschichten vor. Überhaupt überrascht die Vielzahl Zeichnerinnen, die hier erotische beziehungsweise eher pornographische Bettgeschichten erzählen. Wobei die wenigsten Geschichten tatsächlich im Bett ihren Höhepunkt haben. Inhaltlich überraschen die einzelnen Scharmützel denn auch wenig, Mawils kleine Mädchen sind genauso dabei wie Calle Claus verstörende Phantasie, die hier eine Menge Waldpilze beinhaltet; ebenso die devote Rachenummer von Frank Schmolke oder die Satyrgeschichte von Christian Turk. Es sind dann aber doch einige Sexabenteuer, die aus der Reihe fallen. So etwa Maike Plenzkes „Mittagspause“, welche die Anthologie eröffnet. Eine liebevoll erzählte girl-on-girl-Szene, mit lustigen Einfällen und ausgeführt in herrlichen Zeichnungen. Einen schönen Kontrast bietet da Reinhard Kleists boy-on-boy-Action in „Turbojacke“, wobei sich der Witz der Geschichte wohl nur erschließt, wenn man wenigstens gelegentlich mal Turbonegro gehört hat und ihr Verdikt kennt, Punkerjungs fickten sich wenigstens gegenseitig, bevor sie mit Tussen ins Bett gingen. Das ist zum Ende hin genauso überraschend und frisch wie Naomi Fearns ménage à trois, in der sie die Figuren ihrer sonst eher „familienkompatiblen“ Zuckerfisch-Comics ordentlich rammeln lässt. Insgesamt also ein Band, der ein paar leckere Schmankerln parat hält und durch fein gearbeitete und produzierte Comics zu begeistern mag.

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  Strichnin 4
Strichnin 4
Augsburg: FH Augsburg 2012
96 Seiten, Euro 9,00
» Verlag


Eine gänzlich andere Anthologie stellt Strichnin dar. Mittlerweile die vierte Nummer der von Mike Loos und seiner jeweiligen Illustrationsklasse in Augsburg herausgegebenen Reihe liegt vor, nachdem man vor zwei Jahren bereits den Max und Moritz-Preis für eine studentische Publikation einheimsen konnte. Die Reihe dokumentiert jeweils die gelungensten Ergebnisse eines Seminars, das Seminarthema ist dabei logischerweise das Thema des erscheinenden Bandes: diesmal wurden Dinge gesucht und ihnen eine Vor- oder Folgegeschichte angedichtet. Das klingt zwar sehr nach creative writing, bietet aber tatsächlich gelungene Unterhaltung. So etwa in Eva Gräbeldingers Struwwelpeter 2.0, wenn dort die Mappe vom Hans-guck-in-die-Luft und der Fliegende Robert zusammenfinden. So unterschiedlich die einzelnen Fundstücke sind, so unterschiedlich sind deren Fortsetzungen als Comics – und naturgemäß auch die Qualität. Das Strichnin darüber hinaus ein Magazin der Augsburger Hochschule ist, somit auch über sich selbst berichtet, zeigen inhaltliche Teile, die diesmal auch ein Interview mit Timo Decker bringen. Dieser hat bereits zur ersten Nummer beigetragen, arbeitet mittlerweile als selbstständiger Illustrator und hat seine Abschlussarbeit, Red Button Boy, veröffentlicht. Die arbeitsvorbereitende Erfahrung, welche die Zeichnerinnen und Zeichner anhand der Arbeit an Strichnin machen, dass dürfte unbestritten sein, ist ein riesiger Gewinn für diese. Allein deswegen kann man nur darauf hoffen, dass trotz des großen Aufwandes, den jede Nummer der Reihe bedeutet, diese weitergeführt wird.

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