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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




19. Juli 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


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Mittwoch, der 17. Juli 2019 (Woche 29)


Immer hilfreich für neue Leser: unsere Erklärseite!



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  Little Bird #5

Little Bird #5 (of 5)

Writer: Darcy van Poelgeest; Artist & Cover: Ian Bertram; Colorist: Matt Hollingsworth; Letterer: Aditya Bidikar; Designer: Ben Didier; Image Comics; $ 3,99

Ich habe lange nach Worten und Vergleichskünstlern gesucht, um das Artwork von Little Bird zu beschreiben. Dem Ziel am nächsten gekommen ist vielleicht dieser Versuch: als wenn Anders Nilssen, Frank Quitely, Moebius und Dave Cooper gemeinsam eine blutige, womöglich spätnachts in einer Sake-Bar entstandene Zusammenarbeit von Katsuhiro Otomo und Hayao Miyazaki als Comic umgesetzt hätten.

Little Bird, eine Heldin, die nicht annähernd so hilflos ist wie ihr Name klingt, muss sich in einer kriegerischen Welt behaupten, die auf einem nordamerikanischen Konflikt aufbaut, in dem man zwar die Staaten und Nationalflaggen von Kanada und der USA noch gut wiedererkennen kann, die aber in ein totalitäres religiöses Regime (ratet, welches Land...) und eine fast niedergestreckte Rebellion verwandelt wurden.

Dazu passend dreht sich das Ganze um eine Familiengeschichte, die ebenfalls Grundzüge von Star Wars erkennen lässt, dabei aber weitaus martialischer wirkt. Little Bird und ihre Vorfahren erweisen sich dabei als nur schwer zu töten, und ein Großteil der Geschichte wird über Flashbacks erzählt, die oft in Träumen wiedergekäut werden.

Spoiler-Vermeider sollten nicht unbedingt auf das nächste Bild klicken. Ihr wart gewarnt!

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© Darcy van Poelgeest & Ian Bertram

In Heft #1 ließ Autor Darcy van Poelgeest gleich mal verlauten, dass es für diesen Fünfteiler keine Standard-Pläne für eine bald darauffolgende Paperback-Sammlung gäbe (Update in Heft 5: Zum Jahresende wird es ein Hardcover geben), und so kann man durchaus mal darüber nachdenken, sich die Einzelhefte zu besorgen, solange man sie noch bekommt (teilweise gab es zweite Auflagen).

Das Ende von Heft 5 (alias »Chapter 5«) lässt durchblicken, dass die Geschichte noch nicht zuende erzählt ist bzw. man auf dem bisher erzählten aufbauen könnte. Das ist sehr erfreulich, dann graphisch wie auch erzählerisch ist Little Bird einer dieser Comics, den man ungeachtet meiner Versuche in diesem Text) nicht einfach in eine Schublade, eine Tradition wegsortieren kann. Vom reinen Action-Gehalt steckt das letzte Heft keinesfalls zurück gegenüber den gern mit Cliffhangern versehenen früheren Heften, aber gleichzeitig findet man hier auch eine im Ansatz zurückgenommene, fast lyrische closure, die das Ganze noch profunder erscheinen lässt (vergleiche auch meine Erwähnung von Miyazaki und Otomo, auch wenn nichts ferner liegt, als hier japanische Erzähltraditionen zu vermuten).

Ich habe zwar erst drei der neuen Comics gelesen, bin mir aber schon sicher, dass dies meine Empfehlung der Woche wird. Und bevor ich es vergesse zu erwähnen: die Farben von Matt Hollingsworth (ich mag mich irren, aber der arbeitet gefühlt schon seit Jahrzehnten vor allem für Dark Horse) lassen die auch in Schwarzweiß beeindruckenden Zeichnungen von Ian Bertram wirklich strahlen. Ich wähle das Verb strahlen mit Bedacht, denn ich vermeide übertriebene Superlative - aber nichts trifft es passender.


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  Superman's Pal Jimmy Olsen #1

Superman's Pal
Jimmy Olsen #1
(of 12)

Writer: Matt Fraction; Artist & Cover: Steve Lieber; Colorist: Nathan Fairbairn, Letterer: Clayton Cowles; DC Comics; $ 3,99

In Leviathan Rising bot man uns schon einen Vorgeschmack auf diese zwölftteilige Serie von Autor Matt Fraction (Sex Criminals, Hawkeye). Aber auf die Art und Weise, wie Fraction seinen Spaß mit den nicht immer ganz ernstzunehmenden Silver-Age-Abenteuern des rothaarigen Büroboten hat, war ich nicht vorbereitet. Unterstützt durch den ebenfalls seine helle Freude an der Aufgabe abfeiernden Zeichner Steve Lieber springt Fraction von Vignette zu Vignette und bildet dabei eine Jahrhunderte umspannende Familienfehde zwischen den Olsens und den Luthors ab.

DC house ad

Es beginnt etwa mit einem (sehr kurzen) Abenteuer von »Jimmy Olsen's Great-Great-Grand-Something« mit Namen Joachim Olsson, der aus Schweden in die Staaten kam (alle männlichen Mitglieder der Familie scheinen einen Vornamen zu haben, der mit J beginnt) und etwa alle vier Seiten beginnt scheinbar eine neue Geschichte mit einem Titelhelden, der jedesmal nach dem selben syntagmatischen Konstrukt, mit leichten Variationen in einen Halbsatz gekleidet wird. Und das dann teilweise auch noch mit einer Einführung wie »DC Comic super duper proudly presents«.

Und so, wie Superman damals seine Probleme mit Kryptonit in unterschiedlichen Farben hatte, verwandelt sich jetzt »Superman's Problem Jimmy Olsen« etwa in eine Weltraumschildkröte, die völlig unabsichtlich eine riesige Statue zu Ehren von Luthor in größere Kieselsteine aufreibt. Wobei sich Fraction nicht einmal mit dem vagen Hauch einer Erklärungspflicht, wie es zu dieser Verwandlung kam, abgibt.

Ich muss zugeben, dieses Heft ist so fluffy und sinnfrei wie ein Hot Dog, aber es macht Spaß. Ich bin mir sicher, ich müsste Zeichner Steve Lieber irgendwoher kennen (Hawkman, Whiteout), aber mir reicht es komplett aus, dass er mich an Sean Philips erinnert. Und zwar an eine erstaunlich begeisternde Disneyworld-Version von Sean Philips.

Superman's Pal Jimmy Olsen #1

© 2019 DC Comics. All Rights reserved.

Hin und wieder reichen eine altmodische Parodie mit Kinderbelustigung für mich komplett aus - und nagelt mich jetzt nicht damit fest, dass ich bei dem Wonder-Woman-Heft quasi exakt das Gegenteil behauptet habe.


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  Ghost Tree #4

Ghost Tree #4 (of 4)

Writer: Bobby Gurnow; Artist: Simon Gane; Colorist: Ian Herring with Becka Kinzie; Letterer: Chris Mowry; Consultant: Takuma Okada; IDW Publishing; $ 3,99

Auf der Suche nach dem achten Comic dieser Woche durchforstete ich mehrfach das Angebot durch. Batman #75, Beginn von »City of Bane«: unterdurchschnittlich trotz extradickem Heft einer oft großartigen Serie. Eine der eher jungen Serien, wo ich schnell zum aktuellen Heft aufschließen könne (etwa Fairlady, Excellence oder Faithless)? Irgendwie fehlte mir die Zeit. Am cleversten erschien es mir, eine Serie auszuwählen, bei der ich alle früheren Hefte schon kenne. Und da bot sich Ghost Tree #4 an - jedes frühere Heft hatte ich quasi verschlungen, die Serie verbindet eine traditionelle japanische Familiengeschichte mit Geistererscheinungen, die sich einzelnen Mitgliedern der Familie zeigen, wobei allenfalls ein Vertreter pro Generation diese Gabe zu zeigen scheint.

Hauptfigur Brandt hat ein glückliches Händchen im Umgang mit Geistern, er tauscht sich über die Familientradition mit dem verstorbenen Großvater aus, der wie Brandt Eheprobleme hatte, diese aber vor außenstehenden verbarg. Während Brandt seine Frau in den Staaten zurückließ, wird er zwischen die Welten gestürzt, ins Familienglück seiner Cousine, der emotionalen Wucht seiner Großmutter, und natürlich die neu zu erfahrende Geisterwelt mit ihren Regeln und Gefahren. Und mitten darunter: sein Opa und Brandts erste große Liebe.

Nach Heft #4 ist jene Eigenart, die all meine Erwartungen und das Leseerlebnis an sich überschattet, dass ich wohl irgendwie übersehen haben muss, dass die Serie nur auf vier Hefte konzipiert war. Jedenfalls heißt es auf der letzten Seite »The End« und Brandts Rückkehr zu seiner Frau entsprach so gar nicht dem bisherigen Verlauf der Serie.

Ghost Tree #4

© Curnow, Gane, Herring / © 2019 Idea and Design Works, LLC. All Rights reserved.

Noch bis Seite 9, nach einem (im Rahmen der Serie) Action-Spektakel, dachte ich, das sich die Geschichte weiter entfalten würde, zusätzliche Geheimnisse zu erwarten wären, es eher zu einer Art Konfrontation zwischen Brandts Frau und seiner Jugendliebe kommen würde.

Doch je deutlicher mir wurde, dass es im Rahmen der Geschichte eine komplette Kehrtwende gibt, umso passend erschien mir dies auch. Im Kern erinnerte mich Heft 4 sogar an James Sturms Off Season, eine Hardcover-Graphic-Novel vom Beginn des Jahres, die politischen Kommentar und autobiographisches Ehe-Trauma auf perfide, aber ungemein reife Weise verbindet. Mit der gleichen stillen Traurigkeit, nur ohne Donald Trump.

Zu den leisen Tönen, die Autor und Zeichner gekonnt einfangen, passen die Passagen mit dem gefährlichen Monster im nachhinein gar nicht mehr so gut, vielleicht hätte man sich auf die realistischen Ansätze konzentrieren sollen. Doch dann wäre etwas ganz anderes daraus geworden, was vielleicht auch mich nicht für drei Hefte lang in seinen Bann zog. Nicht nur wegen der Verkaufsperspektive der Einzelhefte wirkt also alles durchdacht und auch befriedigend. Nur eine kleine Prise Salz, irgendeine geheime Zutat fehlt noch für einen fast perfekten Eindruck, wenn auch nicht für den typischen Heftchen-Käufer, sondern eher für den kontemplativen Leser, der sich auch von etwas Übersinnlichkeit nicht verschrecken lässt.


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  Collapser #1

Collapser #1 (of 6)

Writers: Mikey Way & Shaun Simon; Artist & Cover: Ilias Kyriazis; Colorist: Chris Peter; Letterer: Simon Bowland; DC Comics; $ 3,99

Bisher hatte ich mit DC-Serien aus der Rubrik »Young Animal« noch kein Glück. Vermutlich bin ich nicht jung genug oder mein Tieranteil ist zu gering. Vielleicht habe ich auch das ganze Konzept nicht ganz verstanden: Für mich wirken diese Serien wie Vertigo-Stuff, der auch 15jährige anspricht und stärker im DC-Universum verankert ist (siehe Milk Wars)

Auch mit Collapser wurde ich zunächst nicht warm, legte das Heft erst angelesen zur Seite, doch als ich nach dem zweiten Einstieg die ersten Seiten noch mal rekapitulierte, funktionierte es irgendwie besser.

Liam James ist ein Krankenpfleger und aufstrebender DJ, der emotional etwas blockiert scheint und in einem andauernden persönlichen Dialog feststeckt. Standard für vergleichbare Comicserien: er kämpft sich durch seinen Alltag und landet nebenbei unversehens in einer Comicgeschichte, bei der er aufgrund eines schwarzen Lochs, das Teil seiner Person (und Persönlichkeit?) ist, zur Gefahr für »diese und alle anderen Galaxien« wird.

Wenn man der Geschichte Zeit gibt, sich zu entfalten, ist das Einstiegsheft erstaunlich gut durchdacht. Es gibt viele Hinweise auf spätere Entwicklungen, etwa den reptiloid wirkenden Paketboten oder das Traumtreffen mit seiner Mutter. Obligatorisch für solche Heldennarrative mit jugendlichen Antihelden ist auch, dass sie zunächst einfach nur weg wollen - oder zurück zur Normalität.

Collapser #1

© 2019 DC Comics. All rights reserved.

Das Artwork erinnert mich passenderweise an alte Hefte des Grant-Morrison-Runs von Doom Patrol: 70 % Ted McKeever (aber koloriert von jemandem, der mit Mr. X-Zeichnungen Werbung für eine überdrehte Disco machen will*), 15 % Dean Haspiel, 15 % Richard Case und eine Menge Sweat Drops.

*Ja, ich weiß, das heißt jetzt Club, aber ich komme halt aus einer anderen Zeit - und die Farben sind auch eher aus den Neunzigern.

Sehr hübsch sind auch die kleinen Details, die alles lebendiger wirken lassen: der Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel, die Setlist für seinen großen Durchbruch, die er nebenbei zusammenstellt. Oder der Umstand, dass der 2002 verstorbene Chef des Spätis natürlich auf einem alten Handy »Snake« spielt.

Der typischen Comicfiguren wie einen intergalaktische Kopfgeldjäger (oder so was ähnliches) hätte man etwas subtiler einbauen können, aber zumindest macht dieses Einstiegsheft Lust auf mehr.


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  The Orville: New Beginnings #1

The Orville:
New Beginnings #1
(of 2)

Writer: David O. Goodman; Artist: David Cabeza, Colorist: Michael Atiyeh, Letterer: Richard Starkings & Comiccraft's Jimmy Betancourt; Dark Horse Comics; $ 3,99

Ich bin Old-School-Trekkie, lehne das J.J. Abrams-Reboot ab, habe noch keine einzige Folge Star Trek Discovery gesehen (weil ich lieber warte, bis die DVDs billiger werden, als mich mit dem ganzen Streaming-Gedöns zu belasten) - und habe Galaxy Quest, Firefly / Serenity und The Orville in meiner Liebe für all things trek einbegriffen. Der Humor von Seth McFarlane begeistert mich nicht in jedem seiner Projekte und seine Tendenz in The Orville, dauernd Anspielungen auf heutige Zustände zu machen, wirkt mitunter absurd, aber der Trek-Geist in dieser Serie ist mitunter großartig. Die Social-Media-Folge mit einem Planeten, wo das Gesetzessystem auf einer Art von Likes und Dislikes basiert, hat mich vollends verzückt und als Bortus zu Beginn der zweiten Staffel erklärte, er müsse aus bestimmten Gründen zu seinem Heimatplaneten, war das die beste Verballhornung des Pon Farr, die ich mir vorstellen konnte.

Nun hat Dark Horse, der Verlag, der stark darunter leidet, dass er mehrere seiner wichtigen Franchises verloren hat, den Zuschlag bekommen, die ersten zwei Comics zur Serie zu produzieren, und als Autor konnte man David A. Goodman gewinnen, der nicht nur die ebenfalls hervorragende Folge »Krill« schrieb (im Comic baut er einen Hinweis darauf mit ein), sondern auch das letzte Aufeinandertreffen diverser Darsteller aus The Original Series, die Futurama-Folge Where no fan has gone before.

Ich mache es kurz: Zeichner David Cabeza bekommt die likenesses der Figuren ziemlich gut hin, aber die Story lässt deutlich zu wünschen übrig. Das ist nicht ganz allein das Verschulden von Goodman, es ist auch einfach so, dass ein 24-Seiten-Comic (oder streng genommen 22) storymäßig einfach deutlich weniger Platz hat als eine Fernsehfolge. Nach diversen Heften von Buffy, Trek oder den Simpsons wurde das für mich immer deutlicher, dass muss man auf irgendeine Weise kompensieren. Goodman, der in »Krill« ziemlich gut Spannung, Humor und sogar Humanismus nebst Emotion kombinierte, versagt auch dabei, den nötigen Schuss Orville-typischen Humor einfließen zu lassen. Der Einstieg, die erste Seite, überzeugt noch, aber die love stroy von Kelly kommt viel zu langsam in Schwung (man weiß ab dem »nice to meet you« wozu die männliche Figur eingeführt wurde), die Gags um Aliens, die wie Pinguine oder Tausendfüssler aussehen, wirken strapaziert, und der Cliffhanger um den Grund, warum zwei Crewmitglieder auf einem fremden Planeten gestrandet sind, hat auch nicht den Impetus, der einen in die Geschichte einbindet.

The Orville: New Beginnings #1

© 20th Century Fox Film Corporation. All Rights reserved.

Vielleicht ein popliger Einwurf, aber ich finde sogar, dass man in die einzelnen Seiten einfach jeweils ein oder zwei Panel mehr hätte einbauen können. Statt teilweise einer Menge leerer Platz über manche der Köpfe hätte man so den Lesern mehr bieten können.


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  Age of X-Man: Omega #1

Age of X-Man:
Omega #1

Writer: Zac Thompson & Lonnie Nadler; Artist: Simone Buonfantino; Colorist: Tríona Farrell, Cover: Phil Noto; Letterer: VC's Clayton Cowles; Marvel Comics; $ 4,99

Ich bin kein Freund von Crossover-Events. Der beste Crossover-Moment der Comicgeschichte ist für mich immer noch die Stelle, wo in der Cereal Convention in Sandman #14 mal am Rande erwähnt wird, dass ein besonderer Gaststar nicht wird kommen können, und man den »Family Man« und seine Backstory in der zeitgleich erscheinenden Hellblazer-Ausgabe (bin gerade zu faul, die Nummer rauszusuchen) präsentiert bekommt, inklusive eines nodds in Richtung des anderen Hefts. Neben der Subtilität des Vorgehens ist hier besonders classy, dass die Querverbindung nicht dazu genutzt wurde, das jeweils andere Heft zu umwerben. Gefühlt 85 % der Leser des einen Heftes haben damals aber auch das andere gelesen, es war also ein netter Bonus, den Gaiman und Delano sich vielleicht nebenbei im Pub ausgedacht haben.

Age of X-Man war für mich etwas besonderes, dieses Crossover steht für mich stärker als irgendwas für meine Rückkehr zum gesteigerten Comic-Konsum, die im Endeffekt auch diesen Wochenüberblick mit sich brachte. Seit Ende letzten Jahres habe ich mich wieder häufiger in meinem Comicshop herumgetrieben, und irgendwann im März oder April sah ich Heft 1 von Marvelous X-Men herumliegen, noch dazu wegen eines geringfügigen Schadens sehr preiswert. Kann man ja mal austesten, und ich stellte fest, dass ich zwar längst nicht alle Zusammenhänge verstanden habe, aber die Story interessant fand. Eine Woche später erkannte ich Age of X-Man: Alpha als ein damit in Zusammenhang stehendes Heft, kaufte mir dies - und ich kam direkt am nächsten Tag zurück, holte mir alle bisher erschienenen Hefte der sechs Serien dieser seltsamen Utopie, las die auch sehr schnell und orderte ein oder zwei Tage später dann auch Abos für alle Serien.

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die Trade Paperbacks der Einzelserien bereits auf Amazon angekündigt waren, dachte mir aber, wenn ich einige der Serien nach zwei Heften abbreche, komme ich immer noch billiger weg - und kann deutlich schneller weiterlesen.

Ich habe dann im April einen längeren Vorstellungsartikel zum Crossover vorbereitet, wollte zunächst eine monatliche Rubrik starten (in der zweiten Ausgabe wollte ich die fünf Image-Comics vergleichen, die alle bei den Eisner Awards für »best new series« nominiert sind), aber stattdessen kümmerte ich mich um die andere X-Men-Serie, The Uncanny X-Men (wo in Heft 1-10 u.a. die Vorgeschichte zu Age of X-Man geliefert wurde), besorgte mir teilweise anderes und versickerte zunehmend im Comic-Sumpf. Meine selbstgewählte Analogie zu einer Lesesucht ist nicht nur ein Scherz am Rande, da steckt auch viel Wahrheit drin. Außerdem bekam ich mal wieder bestätigt, dass ich mit Deadlines in zwei Wochen oder fünf Monaten (Grüße an die Leser meiner Magisterarbeit!) nicht so gut mit klarkomme, sondern unter dringlichem Druck am besten arbeite - da hat man dann auch die Ausrede, warum man nicht alles genau recherchiert hat - die Zeit fehlte.

Nun habe ich alle 32 Hefte im Regal stehen (gelogen, die meisten liegen auf dem Bett und warten darauf, in cleverer Weise eingetütet zu werden), und ich bin ein großer Fan dieser Welt geworden. Age of X-Man: Alpha ist mein absolutes Lieblingsheft, die Zusammenarbeit von Zeichner Ramon Rosanas (Astonishing Ant-Man, Iron Hammer, Star Wars: Age of Rebellion: Finn, das Generations-Heft mit Wolverine) und Koloristin Tríona T. Farrell hat mich von einem »Superhelden-Heft, gezeichnet wie von Chris Ware« schwärmen lassen (Selbstzitat aus dem unvollendeten Skript, feast your eyes on this artwork...)

Age of X-Man: Alpha #1 (Zac Thompson, Lonnie Nadler, Ramon Rosanas)

© Marvel Entertainment. All rights reserved.

Obiges Bildbeispiel stammt NICHT aus dem besprochenen Heft, sondern aus Age of X-Men: Alpha!

Davon abgesehen mochte ich sehr die jungen Mutanten in Nextgen, die unerwartete Liebesgeschichte in X-Tremists, Kurt Wagners Ausflug in eine Art Swinger-Club und den hübschesten Knast aller Zeiten in Prisoner X. Jede Serie hatte ihren eigenen Look und einen eigenverantwortlichen Autoren, nur Zac Thompson und Lonnie Nadler übernahmen nicht nur das »Hauptheft« Marvelous X-Men, sondern auch die bookends Alpha und Omega (die man dann auch im entsprechenden Paperback zusammengepackt hat). Leider erfuhr ich schon recht früh, dass man für das Omega-Abschlussheft nicht wieder Ramon Rosanas verpflichtet (mich hatte es verzaubert, wie die Koloristin seinen sehr kräftigen Strich einfach durch andere Farbwahl statt schwarz anders wirken ließ).

Von Simone Buonfantino kannte ich zwar das Captain-Marvel-Special »Braver & Mightier«, aber wo das Autorenteam sich mehrfach Mühe gab, direkt ans Alpha-Heft anzuknüpfen (etwa durch die Alltagsbeschreibung in einer Welt voller Mutanten mit Superkräften auf Seite 2 oder den umgekehrten Zoom von Globs Auge auf seine Situation auf Seite 7), bietet Buonfantino nichts vom Norman-Rockwell-Charme des Anfangsheftes, sondern schwelgt in Actionsequenzen und einem fast cartoonesken Stil. Da konnte dann auch Tríona T. Farrell nicht wirklich etwas »retten«, denn ihr Job ist es natürlich, den Zeichner zu unterstützen und nicht auf seine (meines Erachtens) Versäumnisse hinzuweisen.

Age of X-Man: Omega #1 (Zac Thompson, Lonnie Nadler, Simone Buonfantino)

© Marvel Entertainment. All rights reserved.

So bietet Age of X-Man: Omega zwar die Zusammenführung der sechs Heftserien, die seit dem Einstiegsheft ganz ihren eigene Weg beschritten (auch, wenn es überdeutlich war, dass der ganze Narrativ ganz aufeinander abgestimmt war, damit wiederkehrende Themen wie die verbotene Liebe sich in unterschiedlichen Arten ausprägen konnte), aber hier wirkt es so, als hätten sich die ca. 28 wichtigsten Figuren einfach zusammengefunden, um zu entscheiden, wie man mit dem Schöpfer dieser Welt verfahren müsse. Und daraus wird teilweise ein viel zu hübsch geordnetes Aufsagen von moralischen Kernsätzen: »Relationships define the X-Men but ultimately pervert their cause«, »Our responsibility lies in the real world, with our friends, our family« usw.

Unglaublich, aber wahr: diese moralinsaure, dialogtriefende Passage nimmt gut sieben Seiten des Heftes ein, mit dem Konflikt davor und der nachfolgenden Auflösung kommen gefühlt zwei Drittel des Heftes zusammen, und statt einer Geschichte fühlt sich das wie ein inszenierter Verbal-Diskurs an, der auf mich trotz aller Notwendigkeiten für den Abschluss der Serie enttäuschend antiklimaktisch ausfiel. Versteht mich an dieser Stelle nicht falsch, ich wollte keine Klopperei, aber auch keine quengelige Gruppentherapie. Das hat Age of X-Man nicht verdient, für mich war diese Utopie mit deutlichen Fehlern trotzdem eines der prägenden Comic-Ereignisse dieses Jahres.

Interessant ist übrigens (auch wenn es auf mich eher wieder wie Marketing wirkt), dass das Heft mit dem Durchschreiten einer Art Tür endet, und man direkt im Anschluss die Werbung für Jonathan Hickmans nächste Woche erscheinende neue Miniserie House of X setzt - wo abermals Mutanten (wenn auch nicht die selben) durch eine Art »Tür« schreiten.

Keinerlei Bezug zum Comic, aber dennoch erwähnenswert ist übrigens, dass auf der Rückseite des Heftes mit einem Superhelden namens »The Freshman« Werbung gemacht wird. Nicht für einen Comic (oder Mentos - ach nee, das war ja der »Freshmaker«!), sondern für ein auch hierzulande bekanntes Deodorant. »Save the World«, »Stop the Stink« - klingt hochgradig bescheuert, aber bei pubertierenden Comiclesern mag das als Kaufanreiz tatsächlich funktionieren. Was ich nur nicht ganz begriffen hat: wenn das Produkt mit »Frozen Lemon & Eucalyptus« für Frische und einen »ice chill« sorgen soll, warum hat der Superheld dann flammende Fäuste. Die Duftnote ist ja nicht verbranntes Achselhaar. Aber, wie gesagt, mit dem Comic hat das nun wirklich nichts mehr zu tun... abgesehen vom Umstand, dass unten auf der Seite tatsächlich das Marvel-Logo prangt. Falls dazu das erste Heft erscheinen sollte, werde ich dies sicher hier vorstellen!


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  Wonder Woman: Come back to me #1

Wonder Woman:
Come back to me #1
(of 6)

Writers: Amanda Conner & Jimmy Palmiotti; Artist: Chad Hardin; Colorist: Alex Sinclair; Cover: Amanda Conner; Letterer: Travis Lanham; DC Comics; $ 4,99

Ich hatte irgendwie die vage Hoffnung, dass nach Superman: Up in the Sky und Batman Universe die dritte »recyclete« Miniserie der bei DC auch gern mal als »trinity« bejubelten Helden, Wonder Woman: Come back to me, meinen Erwartungen an dieses Triumvirat gerecht werden könnte.

Doch weit gefehlt. Die Story könnte man noch schmeichelhaft als straight und altmodisch umschreiben. Ein Waldbrand, bei dem Wonder Woman die Feuerwehrleute verblüfft, in dem sie mit den Waldtieren spricht. Wobei aber keinem aufzufallen scheint, dass diese sich schon davor wie Bambi-Statisten oder Märchenfiguren von den Zeugen Jehovas betrugen. Auch Prinzessin Dianas Beziehung mit dem Piloten Steve (Trevor, oder wie hieß er noch mit Nachnamen?) umfährt großräumig die Gefahr, auch nur in den Bereich PG abzudriften. Und der Rest der Geschichte (hier übrigens noch in die alten Kapitel aufgeteilt) ist ganz auf den Cliffhanger am Schluss ausgerichtet, der auf mich wie aus einem B-Movie der der 1930er wirkt.

Zeichner Chad Hardin ist mir kein Begriff, aber die Art und Weise, wie er seine Titelheldin durch die Geschichte posen lässt (2x öffnet sie effektvoll eine Tür und die narrative Funktion der Bilder könnte kaum rudimentärer ausfallen), wirkt ebenfalls wie für das Kinderprogramm am Samstag-Nachmittag. Worüber ich an anderen Stellen gerne meckere, macht Hardin immerhin zu seiner Paradedisziplin: Er kann gut Tiere zeichnen und gibt sich viel Mühe mit den Hintergründen. Als Kaufanreiz reicht das aber nicht ansatzweise.

Wonder Woman: Come back to me #1

© 2019 DC Comics. All rights reserved.


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  Loki #1

Loki #1

Writer: Daniel Kibblesmith; Artist: Oscar Bazaldua; Colorist: David Curiel; Cover: Ozgur Yildirim; Letterer: VC's Clayton Cowles; Marvel Comics; $ 3,99

Ich hatte schon erwähnt, dass ich kein großer Fan von Crossovers bin. Von War of the Realms habe ich glaube ich nur ein Avengers-Heft gelesen (weil man dort ganz hübsch DC-Helden verarscht hat), ich habe wegen dräuender Tie-In-Issues sogar mein Captain-Marvel-Abo gecancelt. Und der ganze Leviathan / Year of the Villain-Kram lässt mich auch erstaunlich kalt, die Absolute Carnage / Summer of Slaughter-Kiste werde ich vielleicht sogar komplett boykottieren (auch, wenn es die Zusammenstellung von wöchentlich acht Heften empfindlich erschweren würde - aber ich lese auch sehr ungern Comics, um sie von vornherein verreißen zu wollen).

Zu Beginn von Loki #1 bekommt man einen kurzen Abriss, was in War of the Realms passiert war (mit mehreren ironischen Brechungen, weil Loki dies oder das »yet again« widerfuhr), und dann soll eigentlich die Geschichte losgehen - aber ich wurde augenblicklich zurückgeworfen zum Jimmy-Olsen-Heft (siehe eine ganze Rutsche weiter oben).

Man vergleiche folgende Bildausschnitte:

Kapitelüberschriften aus Loki #1 und Superman's Pal Jimmy Olsen #1

© oben Marvel Comics © unten DC Comics

Das glaubt doch jetzt keiner: Anspielungen auf den selben David-Bowie-Film, wobei nur der »Mann« ausgetauscht wurde - und beide mal exakt die selbe Schriftart (wobei ich hier das Detail, dass beide Hefte den selben Letterer haben, nicht in seiner Bedeutung unterschätzen würde). Gibt es noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen Loki und Jimmy Olsen? Beide haben skandinavische Wurzeln, stehen im Schatten bekannterer Heldenfiguren, und stürzen in ihrem ersten Heft aus einer größeren Höhe herab. Aber das war's dann langsam auch.

Loki scheint immerhin ähnlich stark von der DC-Comic-Geschichte beeinflusst wie Jimmy Olsen, denn der »King of Lies« führt nun ein Casino und erinnert bei seinen ersten Auftritten durchaus an die DC-Figur Lucifer. Da gibt es vermutlich ohnehin etymologische und mythologische Verbindungen, aber die Herangehensweise ist schon ein wenig schwach.

Immerhin braucht es nur zwei Seiten, bis es zu einer typischen Marvel-Klopperei kommt. Und ich hatte eigentlich schon fast keine Lust mehr weiterzulesen. Es folgt dann das obligatorische Zusammentreffen mit Thor (für mich auch die Gelegenheit, aktuelle Veränderungen im Status Quo wahrzunehmen), und immerhin ist Zeichner Oscar Bazaldua kein Abtörner (wenn auch die Koloration ein wenig zu überzogen mit Modefarben um sich schmeißt).

Doch dann neue Details, die man nicht übersehen kann: Lettering-Stile, wie sie direkt von Todd Kleins Arbeit beim Sandman gestohlen scheinen. Und Loki, der übrigens einen Kopfschmuck trägt, der zwei Hörnern entspricht, wird von Bruder Thor dafür gerügt, dass er den Thron von Jotunheim leer herumstehen lässt statt sich seiner Berufung zu stellen. Also auch hier 1:1 Neil Gaimans Lucifer, nur, dass man es nicht länger als drei Seiten durchhalt, bis es wieder Zeit für eine bescheuerte Klopperei ist.

Wenn es nicht zwischendurch ein paar Gags gebe (u.a. verhält sich Loki wie Eiskönigin Elsa aus Frozen und haucht einem Schneemann Leben ein), wäre es nicht zu ertragen. Dann werden die Göttinnen des Schicksals erwähnt, mit denen man sich nicht anlegen soll (mehr Sandman-Ripoff).

Loki #1

© 2019 Marvel

Ich fühle mich wirklich fast heldenhaft, wie ich auch noch die letzten drei Seiten über mich ergehen lasse - und Thor führt Loki in eine Bibliothek, wo er ihm ein Buch aushändigt, das offenbar die Zukunft Lokis offenbaren kann (Lucien und Destiny lassen grüßen).

Die letzte Seite bringt dann auch noch einen Flash Forward in diese Zukunft. Und es interessiert mich kein Stück, wie man hier prominente Marvel-Figuren einbringt. Der anstrengendste nervigste Comic, den ich in einigen Monaten gelesen habe.

Für nächste Woche anvisiert:
Rezensionen zu Curse of the White Night #1 (of 8), Dear Justice League (gegen meinen Vorsatz, mich auf Hefte zu beschränken), History of the Marvel Universe #1 (of 6), House of X #1 (of 6), Marvel Team-Up #4 & Paper Girls #30 (of 30) (das ist mal wieder nur die Vorauswahl).