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24. Januar 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


Traumfragmente vom 24. Februar 2023,
ca. 3 Uhr 30 nachts


Unser Film- und Comicredakteur Thomas Vorwerk ist unter anderem dafür bekannt, dass er mal eine Zeitlang jeweils alle fünf Jahre einen Monat lang Traumtagebuch führte. Leider verträgt sich dieses Hobby nur schwer mit einem vernünftigen Job (also im Gegensatz zu seiner langen Zeit als zum Teil HartzIV-gestützter Filmkritiker), weil man häufig, wenn man nachts mal aufwacht, erst mal eine halbe bis ganze Stunde an der PC-Tastatur sitzt und einem dadurch wichtige Zeit, die man zum Schlafen nutzen sollte, durch die Lappen geht. Aber in diesem Fall fand er das Erträumte interessant genug für die Nachwelt und bat auch noch seinen HTML-Sklaven, zu entscheiden, ob man dies ungeachtet der auffälligen Diskrepanz zu üblichen satt.org-Inhalten publizieren könne.
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In letzter Zeit träume ich wieder mehr, aber auch eine Menge Mist mit Horrorelementen. Hier befinde ich mich in den kindlich / frühpubertären Gefilden meiner niedersächsischen Provinzkindheit, irgendwo zwischen Hoya (in meiner realen Chronologie bis 1981) und Verden / Eitze (entsprechend ab 1981). Das Ganze wirkt aber rein »architektonisch« eher wie die Trümmerfrauen- / Nachkriegszeit in Berlin.

Ich befinde mich angeblich bei den Dreharbeiten eines Splatter-Horror-Klassikers aus den 1970ern, filmästhetisch wirkt es aber wie eine Mischung aus den frühen schwarzweißen Nouvelle-Vague-Klassikern von François Truffaut (Les quatre-cents coups) und Jean-Luc Godard (Weekend, und ja, ich weiß, dass der in Farbe war, als Beispielfilm passt der aber besser als der viel zu entspannte A bout de souffle). Angereichert mit der Atmosphäre von Texas Chainsaw Massacre.

Diese »Dreharbeiten« finden in einem halbverfallenen Häuserkomplex statt, das sich wie ein an einer Stelle offenes fast fußballfeldgroßes Quadrat um eine Art Kiesgrube verteilt. Interessantes Detail aus meiner Schulzeit (ca. 1985 / 86 mit ca. 18 / 19 Jahren: damals drehte ich mit Videokamera und den besten Schulfreunden tatsächlich in einer Sandkuhle. Axel Walther verletzte sich damals bei einem spektakulären Sprung / Sturz am Rücken).

Im Traum bin ich aber noch nicht an der entsprechenden Stelle. Den »Dreharbeiten« (Kameras oder so sieht man nicht) darf ich in einer Art Zeitreise-Einladung von meinem Filmkritikerkollegen Thomas Groh beiwohnen, der damals noch deutlich jünger ist als ich ihn je erlebt habe. Und vermutlich aufgrund fehlender Referenzen in meinem Bildgedächtnis aussieht wie Jugendfreund Lutz Dammer (mit dem zusammen ich auch einen Film drehte, den man tatsächlich noch für eine Retrospektive meiner frühen Schauspielkarriere organisieren könnte).

Was bei den »Dreharbeiten« passiert: Ich werde quasi aus dem Gebäudekomplex »verdrängt« und kann Lutz / Thomas nur irgendwo in der Entfernung (quasi auf einer anderen Seite des Quadrats) erhaschen.

Aus dieser Situation entsteht ansatzweise ein Horrorelement, denn ich werde von einem halbwüchsigen Jungen verfolgt (ich fühle mich fast genötigt, bei jeder Bildbeschreibung zu erwähnen, dass alles schwarzweiß ist, unterdrücke dies aber). Während ich einer sehr langen 50er-Jahre-Neorealismus-Straße folge, läuft dieser Junge immer wieder über dort stehende LKWs (filmisch wie aus Le Salaire de la Peur, aber vermutlich inspiriert durch Szenen im Mark-Millar-Comic Night Club #2, den ich gestern abend las, und wo man von Autodach zu Autodach hüpft - allerdings parken die dort nicht, sondern fahren).

from Night Club #2, see review underneath

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Dabei wiederholen sich folgende Elemente: der Junge sucht sich zwischendurch immer wieder so was wie Dachziegel (Größe etwa wie 5-6 gestapelte Bierdeckel, aber deutlich gefährlicher, wenn man sie abbekommt) und wirft damit nach mir, verfehlt mich aber immer nur knapp. Ich habe übrigens keinen Schimmer wie groß oder alt ich in dem Traum bin, aber der Junge ist kleiner als ich (interessantes Detail, das mir erst nach dem Film auffiel: mein 3,5 Jahre jüngerer Bruder ist am 24. Februar 1971 geboren, und er warf auch mal mit einem vergleichbar großen Marmorfeuerzeug nach mir, als wir beide noch bessere Dreikäsehochs waren. Das Marmording, das beim schnellen Hochspringen meinerseits in etwa 20 cm Höhe unsere Wohnzimmerwand traf, hinterließ dort ein unschönes Loch in der gänzlich weißen Tapete, das ich so gut wie möglich »zubastelte«, weil wir vermutlich beide ziemlichen Stress mit den Eltern bekommen hätten).

Wie gesagt wiederholt sich die Szene. Der Junge verschwindet zwar immer wieder, wenn er sich Wurfmaterial besorgt, aber ich kann meinen Vorsprung auch nicht wirklich ausbauen. Und die LKWs stehen wie in einem Videospiel à la Frogger oder Paperboy immer wieder zur Verfügung. Beim etwa fünften Wurf auf mich (wird auch für meinen Traumregisseur langsam langweilig) verwünsche ich den Jungen insgeheim, er soll doch am besten vom LKW fallen (auch dies ein narratives Element aus dem erwähnten Comic). Und er tut mir den Gefallen.

Das erwartete Splat des Jungen entzieht sich aber meines Sichtwinkels, und stattdessen (noch während ich träumte, fragte ich mich, wie man diesen Stund / Spezialeffekt wohl umgesetzt hat) taucht mit immens genialem Timing stattdessen eine noch recht junge, aber irgendwie italienisch-kurvige Frau auf, die quasi die Bewegung des Jungens schnitttechnisch übernimmt, indem sie ein Rad schlägt. Schwarzweiß-Detail: sie trägt ein Kleid mit polka dots wie einst Liselotte Pulver in One, Two, Three.

Ich glaube, der Traum ging noch so 4-6 Sekunden, ehe ich aufwachte, aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Zum ersten Mal seit ca. vier Jahren schreibe ich den Traum aber mal auf.


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Es gehört zu den allgemein akzeptierten Spielregeln, dass man Bildzitate aus einem Comic nur benutzen darf, wenn man auch eine Kritik zum Werk liefert. Also bitteschön.


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  Night Club #2

Night Club #2

Autor: Mark Millar; Zeichner / Cover-Künstler: Juanan Ramírez; ColoristIn: Fabiana Mascolo; Letterer: Clem Robins; Erscheinungsdatum: 18. Januar 2023, Image Comics, $ 1,99 (ja, das ist verflucht günstig!)

In Night Club nutzt Mark Millar Elemente aus der Vampir-Mythologie und kombiniert sie mit jugendlichen Möchtegern-Superhelden in bunten Wrestling-Masken (die hier auch als Schutz gegen das Sonnenlicht getragen werden). In Heft #1 wollen Danny, Sam und Amy noch spektakuläre Videos drehen, um damit berühmt zu werden, aber Dannys Fahrrad-Stunt auf einem hohen Gebäude endet in einem Krankenhausbett, bis ihn dort ein wohlgesinnter Vampir mit hehren Plänen aufsucht, denn für die Heilungsmöglichkeiten von gutgenährten Vampiren sind zerdepperte Wirbelsäulen wohl eine Kleinigkeit.

In Heft #2 spielt Detective Laskaras kaum mehr eine Rolle, den Danny will erst mal seinen besten Freunden die Möglichkeit geben, auch die Superkräfte von Vampiren zu erlangen. Das ist zwar ein bisschen pubertär, aber durchaus amüsant.

Wie so oft spielt Millar mit den Genre-Elementen, macht daraus aber sein ganz eigenes Ding, und Zeichner Ramírez ist ihm mit seinen künstlerischen Fähigkeiten nicht unbedingt untergeordnet. In den ersten beiden Heften der auf erst mal sechs Hefte ausgerichteten Serie (ein Millar-Standard, vergleiche The Magic Order, Prodigy oder Sharkey the Bounty Hunter) gibt es genügend Storyelemente, um geneigte Leser bei Laune zu halten. Wird Sams Schwärmerei für Amy zu etwas führen oder orientiert diese sich am attraktiveren Danny? Wird die Hintergrundgeschichte das Alltagsleben der Schüler noch mal aufwirbeln oder zieht Millar seine etwas phlegmatischen Kaschierungstaktiken langfristig durch? Und welche Rolle spielt Basketball in Heft #3?