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November 2002
Thomas Vorwerk
für satt.org

Führer Ex
Deutschland 2002

Führer Ex

Regie:
Winfried Bonengel

Buch:
Winfried Bonengel, Ingo Hasselbach, Douglas Graham

Kamera:
Frank Barbian

Schnitt:
Monika Schindler

Musik:
Loek Dikker

Darsteller:
Christian Blümel (Heiko Degner), Aaron Hildebrand (Tommy), Jule Flierl (Beate), Luci van Org (Elisabeth Degner), Harry Baer (Friedhelm Kaltenbach), Dieter Laser (Eduard Kellermann), Jürgen Lingmann (Hagen), Henning Perker (Bonzo), Matthias Freihof (Stasi-Offizier)

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Führer Ex


Die ursprüngliche Idee für diesen Film führte zunächst zum Buch "Die Abrechnung (Ein Neonazi steigt aus)" von Bonengel und Hasselbach, das in den USA unter dem Titel "Führer Ex" erschien, und laut Edward Norton auch zu nicht geringen Teilen den Film "American History X" inspirierte. Nun sind der Regisseur und sein Co-Autor auch selbst dazu gekommen, die mitunter von autobiographischen Erlebnissen Hasselbachs beeinflusste Geschichte zu verfilmen, wobei ihr erklärtes Ziel war, dem Zuschauer den Vorgang zu offenbaren, der aus einem jungen DDR-Anarcho und Punk einen überzeugten Neonazi machen kann.





Führer Ex

Führer Ex

Führer Ex

Führer Ex

Führer Ex



Umso mehr überrascht es dann natürlich, warum der entscheidende Zeitraum, in dem eine der Hauptfiguren des Films diesen charakterlichen Wandel durchmacht, im Film einfach ausgespart wird.

Spielfilmdebütant Bonengel weiß dabei in den ersten zwei Dritteln seines Films durchaus zu überzeugen. Das erste Drittel schildert die intensive Freundschaft von Heiko und Tommy, die Mitte der 80er am liebsten gemeinsam nach Australien verschwinden würden. Doch stattdessen machen sie lieber "blau" und versuchen in Diskos vergeblich, Frauen abzuschleppen. Bereits hier zeigt sich die Gewaltbereitschaft der beiden, wenn sie erreichen wollen, krankgeschrieben zu werden, was an Selbstverstümmelung grenzt, wobei man sensiblen Zuschauern nur raten kann, kurz wegzuschauen. Angetrunken und mit Gipsverband kommt Tommy dann auch noch auf die Idee, eine DDR-Flagge in einem Stadion zu verbrennen, was zu seinem ersten Gefängnisaufenthalt führt, während Heiko (dramaturgisch wenig überzeugend) dem Zugriff der Staatsgewalt entkommt.

Während Heiko nun endlich seine Jungfräulichkeit mithilfe der vermeintlich "sensiblen" Beate verliert, erfährt Tommy im Knast, daß die Nationalsozialisten die einzige Gruppierung ausmacht, die innerhalb der DDR Widerstand gegen den Staat leistet. Co-Autor Hasselbach, der ähnliche Erfahrungen machte, zitiert in einem Interview "aktuelle Studien" laut denen "fast 80 Prozent der damaligen Ostnazis die Wurzeln ihrer Ideologie in DDR-Strafanstalten fanden".

Wieder entlassen, taucht Tommy mit einer SS-Tätowierung auf dem Arm und selötsamen Anschauungen im Kopf bei Heiko auf und vögelt bei der ersten Gelegenheit erstmal dessen Freundin. Doch die alte Freundschaft überwindet solche Probleme und schon bald starten die beiden ihren bis zu einem gewissen Punkt überzeugenden Fluchtversuch um dann gemeinsam im "härtesten Knast der DDR" zu landen.

Zuvor fragte Heiko seinen Kumpel noch "Wie ist das Leben im Knast?", woraufhin dieser antwortete "Wie überall in der DDR. Nur enger!"

Im zweiten und zentralen Teil des Films erfährt man, wie es dort tatsächlich zugegangen sein soll. Der Knastfilm-Teil des Films kann durchaus mit Klassikern des Genres wie "The Shawshank Redemption" oder "Papillon" mithalten, zumindest was die Intensität der Ereignisse angeht. Neben der vom berüchtigten "Friedhelm" geführten Nazi-Organisation gibt es den hinterhältigen "Bonzo" (Henning Peker in seiner Paraderolle als Riesenarschloch, die er bereits in "Toter Mann" zeigte) und den vermeintlich netteren "Hagen", die es beide auf Heiko Hintern abgesehen haben …

Die Ereignisse überschlagen sich, und plötzlich bringt ein ausnahmsweise geglückter Ausbruchsversuch Tommy nicht nur aus dem Knast, sondern gleich nach Bayern.

Im dritten Teil des Films treffen sich die Freunde nach dem Fall der Mauer wieder, doch ab hier vermag der Film zumindest mich nicht mehr zu überzeugen. Tendenzen, die schon zuvor negativ auffielen, wie das Dreschen platter Phrasen oder durch Lautstärke auch nicht überzeugender wirkende Argumente, übernehmen den Film, die allmählich gestiegene Gewaltbereitschaft explodiert, schließlich muss nicht nur ein südländischer Verkäufer von Thüringer Bratwürsten unter der allzu deutschen Ordnung leiden, sondern ausgerechnet einige Punker (also die Wurzeln der Freundschaft unserer zwei Protagonisten) werden übelst zusammengeschlagen, und als Tommy aussteigen will, soll Heiko ihn auf Befehl Friedhelms erschießen.

Wie bereits eingehend erklärt, ist es ein unverständlicher Fehler in der Dramaturgie des Films, warum nach einem verständlichen Einlenken des unter dem Knastdruck gebrochenen Heiko plötzlich eine Ellipse dessen eigentlichen Wandel ausspart. Und so, wie der Zuschauer dessen vollständigen Wandel nur ansatzweise nachvollziehen kann und dazu gezwungen wird, diesen hinzunehmen, hat auch Tommy, der zuvor immer der weniger zurückhaltende von den beiden war und auch mal alten Männern Bierkrüge über den Schädel schlägt, plötzlich Gewissensbisse, wenn er eine blutüberströmte alte Bekannte wiedersieht. Und so, wie man dann den Überblick über die Motivationen und Grenzen der Figuren verliert, verliert auch den Film den Boden unter den Füssen und man ist einfach nur froh, wenn es endlich vorbei ist.

Besonders überraschen mich folgende Worte des Regisseurs: "Manchmal habe ich daran gezweifelt, dass man diese Art von Kino in Deutschland überhaupt machen kann". Weder an halbgaren Charakterstudien, an brutalen Gewaltschilderungen noch an wenig überzeugenden Nachstellungen der deutsch-deutschen Geschichte gibt es meines Wissens ein Unterangebot im deutschen Kino, man denke nur an "Wie Feuer und Flamme" oder "Drei Stern Rot". Gerade, wenn man bedenkt, daß die Message dieses Films durchaus wichtig ist, und jeder einzelne Neonazi, der durch diesen Film oder die Organisation "Exit" den Ausstieg aus der rechten Szene findet, den Wert dieses Films beweist, rein qualitativ ist das Produkt "Führer Ex" ein Ärgernis, insbesondere, weil die ersten zwei Drittel des Films soviel besser sind als das allzu bittere Ende.