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Zugegeben, der Jim Hawkins des Films kann erwachsene Betrachter nicht wirklich in Euphorie versetzen. Seine Frisur erinnert mich ebenso wie die alleinerziehende Mutter und das Faible für Düsen-Skateboards an einen pubertierenden Querulanten aus meinem Heimatdorf. Ob gleichaltrige Kids sich mit diesem Charakter identifizieren können, kann ich nicht beschwören, muß es aber annehmen. Doch die Hauptfigur war schon bei Stevenson ein relativ "unbeschriebenes Blatt", ein Platzhalter für den jugendlichen Leser, der in die Abenteuer hineingezogen wird wie in Kiplings "Dschungelbuch" oder Twains "Mississippi-Büchern". Der Rest von Stevensons Vorlage wurde gehörig verändert. Zwar sehen die Schiffe ähnlich aus, doch sie segeln durchs All. Warum man trotzdem das Deck schrubben muß und Muscheln darauf warten, vom Holz gekratzt zu werden, wird nicht wirklich erklärt, und das ist auch nicht von Nöten, denn soviel Phantasie (mit Verzicht auf übertriebenem Realismus) kann man dem Zuschauer wohl noch abverlangen. Aus dem Holzbein Silver wurde ein Cyborg mit borgähnlichem Auge, pneumatischer Beinprothese und einem Universal-Werkzeug am rechten Unterarm, das selbst "Edward Scissorhands" vor Neid erblassen lassen würde. Die technologischen Ersatzteile des alten Schiffkochs wurden sämtlich mit Computeranimation lebendig gemacht, und ich habe selten ein derart funktionierendes Zusammenspiel zweier heutzutage meist konkurrierender Animationsstile gesehen. Der hinterhältige Verräter des Buches wird hier ein wenig geschwächt, eine Freundschaft zu Hawkins wird ausgeführt, die im Buch nur gelinde angedeutet wird. Stattdessen gibt es einen neuen Bösewicht, der offensichtlich nicht von Stevenson stammt, sondern eher von den "Alien"-Filmen inspiriert zu sein scheint, insbesondere, wenn er durch enge Schächte wuselt und am Schluß "über Bord" geht. Die andere bei „Alien“ geklaute Szene ist das Gerippe Captain Flints, das statt des "Pointers" auf der Insel ziemlich genau die Stellung des Navigators einnimmt, den die Crew der "Nostromo" in Ridley Scotts Klassiker zu Beginn vorfinden. Flints Namensvetter, der Papagei, der zumeist laut fluchend auf der Schulter Silvers saß, wird hier zu "Morph", einem possierlich-kuscheligen Gestaltwandler, der wie ein Papagei zumeist nur imitiert, was er wahrnimmt, dieses aber nicht nur akustisch, sondern auch visuell. Die zweite Comic-Relief-Figur des Films (irgendwie erinnert mich dieses ungleiche Paar auch ein wenig an den Dschinn und den Teppich in "Aladdin", der ja vom selben Team gedreht wurde) ist "B.E.N.". Ein Roboter als moderne Variante des drei Jahre auf der Insel zurückgelassenen Robinsonersatzes des Romans - ebenfalls eine gelungene Umsetzung, auch, weil der von Martin Short (den man ertragen kann, wenn man ihn nicht sehen muß) gesprochene B.E.N. wie eine Mischung aus C3-PO, Bender und dem Esel aus "Shrek" erscheint. Von den anderen Figuren des Romans, die bleibenden Eindruck hinterlassen, wurden die grausigeren weggelassen. Wie etwa der Blinde Pew, der dem "Old Buccaneer" ein Zettelchen in die Hand drückte, das dessen baldiges Ableben zuvornimmt. Auch wird im All nicht soviel gesoffen wie auf dem Meer. Statt "Yo-ho-ho, and a bottle of Rum" stimmt man hier nur mal kurz den Disney-Song "Yo-ho, yo-ho, a pirate's life for me" an. Der "Old Buccaneer" selbst ist hier ein an eine Schildkröte erinnernder Außerirdischer, die Assoziationen mit dem methusalemischen Alter ergeben sich von selbst. Gestorben wird bei Disney auch nicht soviel wie bei Stevenson. Zwar wird der vermeintliche Unfalltod Arrows (sieht hier ulkigerweise aus wie Ben Grimm von den "Fantastic Four") hier sehr viel stärker inszeniert (um die Geschichte voranzutreiben und den neuen Oberschurken ins Spiel zu bringen), aber statt mitanzusehen, wie Silver einem meutereiunwilligen Crewmate die Kehle durchschneidet, wird das Verhängnis der meistens Piraten ausgespart. Wenn am Ende des Films "Stargate" und "Der Schatz im Silbersee" aufeinandertreffen (meines Erachtens kein Höhepunkt des Films, aus dem Drehbuch-Dilemma aber ein nachzuvollziehender Schritt), wird kein Wort mehr darauf verwendet, wie es wohl den nicht entkommenen ergehen wird. Verglichen mit dem "Marooning" dreier Piraten auf der verwunschenen Insel ein glimpflicher, weil elliptischer Schluß. Eine andere Veränderung des Endes betrifft natürlich den hier weiblichen und von Emma Thompson gesprochenen Captain, dem ein Happy End beschert wird, das direkt von "Susi und Strolch" übernommen zu sein scheint. Doch als Disney-Fan weiß man auch dieses zu schätzen, wie man als Freund der englischen Sprache Frau Thompson und ihre Dialoge zu preisen weiß, die fast schon an Klassiker der Englishness in den Reihen Disneys erinnert wie "Mary Poppins" oder Shere Khan. Nun noch etwas zum SF-Gehalt. Wie schon bei "Lilo & Stitch" spart man nicht an Zitaten. Der weibliche Captain hat die selben Probleme mit der angemessenen Anrede wie Janeway im Voyager-Pilotfilm, die Eingangssequenz erinnert an das Pod-Race in "Episode 1", doch der für Trekkies schönste Moment ist es, wenn Dr. Doppler zu Hawkins sagt: "Damnit, Jim! I'm an astronomer, not a doctor!" Doch auch der bloße Handlungsort All wird ähnlich mysteriös dargestellt wie das Meer bei Stevenson. Statt eines Sturms gibt es eine Supernova und ein Schwarzes Loch, und wie aus einem ganz anders aussehenden Himmelsobjekt ein geschäftiger Weltraumhafen wird, ist sehr viel spektakulärer als das übliche "Land in Sicht" aus dem Ausguck. Jeder Leser dieser Zeilen, der meine Begeisterung auch nur teilweise nachvollziehen kann, und sich für zwei der drei Themenkomplexe "Stevenson", "Science-Fiction" und "Disney" interessiert, wird bei diesem Film auf seine Kosten kommen.
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