Panorama
Wolfsburg
Nicht nur spielt wieder Nina Hoss die Hauptrolle, auch die Crew ist größtenteils dieselbe wie bei "Toter Mann". Und auch das Skript und die Atmosphäre des nun wieder für die Kinoauswertung gedachten neuen Films von Christian Petzold erinnern an den für eine TV-Produktion vielbeachteten Vorgänger. Doch statt von Hitchcock scheint dieser Film von Kieslowski inspiriert zu sein.
Der Autoverkäufer Philipp streitet sich über Handy mit seiner Freundin. Dann fällt auch noch die Freisprechanlage vom Armaturenbrett und ehe er sich versieht, hat er einen Jungen auf seinem Fahrrad überfahren. Philipp begeht Fahrerflucht, entscheidet aber später, sich zu stellen. Doch wenn er halben Herzens mal bei der Polizei anruft oder gar das Krankenhaus aufsucht, kommt immer etwas dazwischen. und als er dann erfährt, daß sein "Opfer" nicht nur auf dem Weg der Besserung zu sein scheint, sondern das Unfallauto fälschlicherweise auch noch für einen Ford hält, kümmert er sich lieber um seine angeknackste Beziehung und reist mit Katja nach Kuba.
Doch kaum zurück, holt ihn die Vergangenheit auf, denn am Strassenrand steht nun ein Holzkreuz …
Laura, die Mutter des überfahrenen Kindes, leidet verständlicherweise noch schlimmer als der schuldzerfressene Philipp. Statt sich wieder in den Alltag und ihren Job einzugliedern, versucht sie den "Mörder" ihres Sohnes zu finden, was wegen des Fords, der keiner ist, eine vergebliche Suche ist. Schließlich stürzt sich die unter psychologischer Betreuung stehende Frau von einer Brücke, und ausgerechnet Philipp, der sich schon länger seltsam zu ihr hingezogen fühlt, rettet sie.

Bereits jetzt wird dieser Film als Favorit für den Panorama-Publikumspreis gehandelt, und die Chancen stehen auch nicht schlecht. Petzold selbst erwähnt in einem Interview auch mal Claude Chabrol, der ja mit "Que le bête meure" schon 1969 einen Fahrerflucht-Film gedreht hat. Und auch mit Chabrol kann sich Petzold teilweise messen, aber "Wolfsburg" lässt eines vermissen, was ihn zu einem der besten Petzold-Filme machen könnte (und was man auch bei einigen der eher mittelmäßigen Chabrol-Streifen vermisst): Ein Ende, das wirklich überzeugt.
Dies ist natürlich ein unfairer Vorwurf, denn Petzold zeigt nur Rückgrat, wenn er seine Geschichte bis zum Ende durchspielt. Bereits bei "Toter Mann" schien das Ende vorprogrammiert, doch der Regisseur und Autor zog sich noch ganz geschickt aus der Affäre. Beim Plot von "Wolfsburg" wird jedoch schnell klar, daß es zu keinem wirklich befriedigenden Ende kommen kann. Ein Happy End würde ein intelligenter Zuschauer niemals schlucken, aber nach den teilweise wunderschönen Szenen der Annäherung zwischen den zwei angeknacksten Hauptdarstellern (auch hier lassen sich bereits zu früh einige wiederkehrende Momente in der bisher schmalen Filmographie des Regisseurs erkennen) will man auch nicht, daß die rache vollzogen wird.
Kann das Retten der Mutter den Mord am Sohn wiedergutmachen?
Kann eine Beziehung funktionieren, die auf dieser Prämisse aufgebaut ist?

Nein und Nein! Und so gerät das Ende eben etwas holprig, und auch, wenn man Petzold dafür loben muß, wie er seine "Lösung" inszeniert hat, bleibt schon durch das eigenartige Déja-vu-Gefühl ein fahler Beigeschmack.
Dennoch: Hervorragende Darsteller, ein komplexes, aber minimalistisches Skript mit einigen genialen Ideen, kurzum: ein Film, der mir widersinnigerweise nur deshalb nicht hundertprozentig gefällt, weil sein Regisseur eben nicht wie sein Hauptdarsteller Fahrerflucht begeht, sondern sich der Verantwortung für die von ihm erdachte Geschichte stellt, und das Beste aus den unumgänglichen Konsequenzen macht. Sogar ungeachtet dessen, daß ihm klar sein mußte, man könne ihm vorwerfen, ihm gingen bereits die Ideen aus und er wiederhole sich.
Somit habe ich meinen einzigen Vorwurf gegen den Film bereits selbst argumentativ ausgehebelt. Somit hat Petzold mich wohl doch überzeugt.