City of God
Cidade de Deus
Die Bilder flirren, die Musik vibriert. Ohne Vorwarnung reißt uns der Film an sich, wirbelt herum. Es ist ein Stakkato der Eindrücke, der Laute, der Gebärden. Ein Musikvideo auf MTV könnte nicht atemberaubender sein. Das Tempo hat uns im Griff. Doch bevor wir erschöpft zu Boden fallen, hält der Film inne und beginnt noch einmal ganz von vorn, langsam. Mit bedächtigen Schritten, lernen wir sehen.
Die City of God, die "Cidade de Deus" ist eine der berüchtigten Barackensiedlungen (Favelas) am Rande von Rio de Janeiro und Schauplatz des gleichnamigen 600-Seiten-Romans von Paulo Lins, der die Entwicklung des Drogenhandels von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre mit einer Fülle von Figuren und Geschichten schildert. Der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles hat sich der "Cidade de Deus" angenommen.
Gemeinsam mit seiner Co-Regisseurin Katja Lund, seinem Team und 110 Laienschauspielern ist Fernando Meirelles ein Glanzstück brasilianischer Wirklichkeit gelungen. Eine Auseinandersetzung mit der Existenzlosigkeit in den Favelas.
Buscapé, der schüchterne, nicht eben attraktive Antiheld führt uns durch den Film. Er ist der Beobachter am Rand des Geschehens. Die Zeit rollt sich auf in drei Geschichten.
Die 60er Jahre, der Anfang der Kriminalität, romantische fast verschwommene Bilder, Zeit des Aufbruchs und der Möglichkeiten. Die Geschichte der "Wild Angels", einer Gang mit dem Ansehen von Popstars. Doch dann läuft alles aus dem Ruder.
Die 70er Jahre, die Erben der "Wild Angels" übernehmen das Drogengeschäft, Geld, Macht und die Kontrolle über Tod oder Leben. Es riecht nach Marihuana, Musik liegt in der Luft.
In den 80er Jahren geht es ums Überleben. Ein Bandenkrieg, der alles und jeden involviert, entbrennt. Brutalität, Verwüstung, Chaos. Die Zeit des Krieges ist gekennzeichnet von Kokain und Blut. Schnelle, brutale Schnitte, die gleißende Sonne wird auf einmal grau.
Dieser Film ist ein schneller, rasanter Film, nahezu Zeitraffer, es bleibt keine Pause zum Denken. Wir werden mit Bildern, Geschichten und Rhythmen angefüllt, überhäuft, verführt. City of God ist ein Tanz in der Vorhölle.
"Diese endlose Reihe der in der Blüte ihres Lebens getöteten Jugendlichen und die Geduld mit der diese Gewalt von denen, die hier leben, ertragen wird" hat Fernando Meirelles am stärksten an der Romanvorlage fasziniert und bewegt. "Diese Verschwendung von Leben ist das Thema des Films". Es ist ein leidenschaftlicher Film, und trotzdem ist es kein Film über Leidenschaften, sondern ein Film über deren Fehlen, das Fehlen von Liebe, Geborgenheit und sozialen Kontakten. Kein Film über große Gefühle. Dafür bleibt keine Zeit in einem Leben am Rande der Existenz.
Die Favelas werden so gezeigt, wie sie sind, hart und gnadenlos, energiegeladen, pulsierend. Es herrscht die Diktatur der Strasse als Entgegensetzung zum Chaos. Die Armut ist präsent auch wenn sie nicht vordergründig thematisiert wird.
Der Film ist ehrlich, offen, brutal - authentisch. Es wird nichts beschönigt. Eher wird an manchen Stellen weggelassen, wir sehen die Schaufel, die zuschlägt, nicht wie sie trifft. Aber das ist noch schlimmer, denn die Grausamkeit unser Vorstellungskraft übertrifft die Filmrealität bei weitem.
Selbst, wo der Film gute Gangster etabliert, wird klargestellt, es gibt keine gute Gewalt. Und es gibt keinen guten Krieg!

Es geht um die Wirklichkeit, es wird nicht gewertet und es werden auch keine Lösungsmöglichkeiten angeboten. Der Film, die Realität, steht für sich.
Die Perspektive, die der Film nicht oder nur kaum zeigt, geben die Filmemacher jedoch mit ihrem Projekt "Wir vom Film" selbst. Sie erarbeiteten den Filmstoff mit den Kindern, die dort leben. Mehr als acht Monate haben sie mit den Kindern geprobt, gearbeitet, gelebt. Die Filmemacher übernahmen Verantwortung. Sie geben konkrete Hilfe und seelische Unterstützung, noch jetzt. Sie sind nicht nur dicht dran, sie sind mittendrin. Das macht den Film wahrhaftig, viele Szenen sind aus Improvisationen entstanden, die Sprache der Straße entsteht. Aus dieser Sprache und der Romanvorlage von Paulo Lins, der in der Cidade de Deus aufgewachsen ist, hat der Drehbuchautor Bráulio Mantovani ein absolut glaubwürdiges bravouröses Szenario geschrieben.
Die Kamera (César Charlone) wird Teil dieser Welt, immer dicht dran, manchmal fast zu dicht, immer unsichtbar, wie Buscapé. Es ist eine Welt aus der jeder raus will. Alexandre Rodrigues der Darsteller des Buscapé sagt: "Jeder Junge träumt davon, dass er einmal sagen kann: Mama, ich bringe Dich jetzt hier raus." Die meisten wollen dieser Realität entfliehen, Drogen, Geld, Gewalt sollen die Fluchthelfer sein. Doch der Tod ist der schnellste.
Der 13jährige Douglas Silva, Darsteller des Dadinho, sagt, der Film hat ihm gezeigt, "dass es manchmal nur einen winzigen Schritt braucht, um das eigene Leben zu ruinieren". Buscapé geht diesen Schritt nicht, er ist zu schüchtern für eine kriminelle Karriere, er findet sein Talent in der Fotografie. Er bleibt der Vorsichtige, der Beobachter aus der zweiten Reihe. Nein, der Antiheld wird am Schluss nicht der Held. Das macht ihn zum Überlebenden. Und darum geht es in den Favelas ums Überleben.
Der Regisseur Fernando Meirelles ist ein erfolgreicher Werbefilmproduzent Brasiliens und das merkt man dem Film an, jede Sekunde ist genutzt, hervorragend genutzt. Wie Werbung wirkt der Film nach. Es ist ein Film zum Danach-Denken, ein Film der die Frage nach dem Warum nicht beantwortet, aber herausfordert. Ein unbedingt sehenswerter Film.