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Juni 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Ten
F/Iran 2002

Ten (R: Abbas Kiarostami)

Buch
und Regie:
Abbas Kiarostami

Kamera:
Abbas Kiarostami

Schnitt:
Abbas Kiarostami, Vahid Ghazi, Bahman Kiarostami

Musik:
Howard Blake

Darsteller:
Mania Akbari (Fahrerin), Amin Maher (Amin), Kamran Adi, Roya Arabashi, Amene Moradi, Mandana Sharbaf, Katayoun Taleidzadeh

Kinostart:
10. Juli 2003

Ten




Ten (R: Abbas Kiarostami)

Ten (R: Abbas Kiarostami)

Ten (R: Abbas Kiarostami)

Ten (R: Abbas Kiarostami)

Abbas Kiarostami wurde bei einem Film-Workshop von einem Studenten angesprochen: "So einen Film können nur Sie mit ihrer Reputation machen. Wenn ihn einer von uns gedreht hätte, hätte ihn niemand akzeptiert." Kiarostami meinte dazu, daß man viel Erfahrung brauche, um etwas so einfaches zu erschaffen. Und zuallererst muß man begreifen, daß einfach nicht gleichbedeutend ist mit leicht. Dazu fällt ihm noch eine Geschichte ein, die ihm Milan Kundera mal erzählt hatte: Jener habe bemerkt, wie sich der Wortschatz seines Vaters mit dem Alter immer mehr verringerte, bis er sich, am Ende seines Lebens, auf zwei Wörter reduziert hatte: "Alles seltsam! Alles seltsam!"

"Ten" ist eine Art "Halbe Treppe", nur noch viel minimalistischer, was die Regie angeht. Kiarostami nahm eine Autofahrerin, die in (nicht ganz) zehn Fahrten mit unterschiedlichen Mitfahrern von zwei fest installierten Kameras (je eine auf den Fahrer- und den Beifahrersitz) gefilmt wird. Fiktion und Dokumentation verschmelzen, der Regisseur macht es sich (metaphorisch gesprochen) auf dem Rücksitz bequem, und heraus kommt ein seltsames filmisches Experiment, daß zwar einige versteckte Ellipsen und zumindest eine andere Einstellung aufweist, aber ansonsten den Minimalismus zur Haupttugend erklärt, wie man es nur selten erlebt.

Das Ergebnis ist natürlich nicht immer überzeugend. Am spannendsten ist die erste Fahrt, während der man ausschließlich den aufsässigen, etwa zehnjährigen (Film-)Sohn der Fahrerin sieht, und man sich schon fragt, ob man die vermeintliche Hauptfigur des Films vielleicht gar nicht zu Gesicht bekommt.

Der Sohn bekommt immerhin auch einen Namen, und er ist der häufigste Mitfahrer. Und in der Art und Weise, wie er mit seiner Mutter spricht, wie für ihn das Kabelfernsehen des Vaters wichtiger ist als die Liebe der Mutter, der er generell immer Manipulation und Lüge unterstellt, zeigt sich, wie das Patriarchat im Iran funktioniert. Die anderen Frauen, u.a. die liebeskranke Schwester, eine Greisin und eine Prostituierte haben viel zu sagen über die Rolle der Frau, die Fahrerin selbst am meisten, doch der kleine Junge, der sich durch die Gegend chauffieren lässt, der immer alles besser weiß, der auch mal heimtückisch ist, aus seinen negativen Gefühlen keinen Hehl macht und für sein Alter schon sehr abstrakt denken kann, reißt den Film in einer erschreckenden Weise an sich, und sagt dadurch mehr über die Rolle der Frau aus, als es die Frauen könnten, die sich von ihren Beherrschern nicht freimachen können.

Kiarostamis Film ist kein Roadmovie, sondern ein Kammerspiel, nur eben ein Kammerspiel in einem Auto. Dadurch wird der Zuschauer schon sehr strapaziert, und jemand, der sich wie ich nicht um die Reputation des Regisseurs schert, weil "Ten" ihr erster Ausflug ins Reich Kiarostamis ist, wird vielleicht dem Studenten recht geben, und das Experiment filmisch als gescheitert einstufen, auch wenn es sich politisch sicher gelohnt hat. Aber zumindest kann man Kundera senior recht geben: "Alles seltsam! Alles seltsam!"

Besonders seltsam ist übrigens die zehnte Fahrt, die als abgekürzte Wiederholung wahrscheinlich die "Zukunft" der Geschichte andeuten soll, oder vielleicht auch einfach (wie die Einstellung mit der Prostituierten außerhalb des Autos) demonstrieren sollte, daß Kiarostami sich auch nicht um seine eigenen Regeln schert, wie man es ja auch von den Dogma-Filmern kennt.